Leitsatz (amtlich)

Die Erfolgsaussicht (§§ 76 I FamFG, 114 I 1 ZPO) darf im Verfahren über die Regelung des Umgangs (§ 1684 III BGB) nicht danach beurteilt werden, ob der Vortrag des Beteiligten geeignet ist, das von ihm angestrebte Verfahrensergebnis zu erreichen. Verfahrenskostenhilfe ist vielmehr schon dann zu bewilligen, wenn der Verfahrensgegenstand einen ernsthaften Anlass zu eingehender Überprüfung erkennen lässt und zu erwarten ist, der Beteiligte werde Tatsachenschilderungen und Rechtsansichten vortragen können, um seine Rechte geltend zu machen.

Der Erfolg der Rechtsverfolgung (§ 114 I 1 ZPO) in Kindschaftssachen liegt nicht in der Aussicht, die beantragte Regelung durchzusetzen oder eine hoheitliche Maßnahme abzuwenden, sondern in der Erwartung, der Beteiligte werde Tatsachen oder Rechtsmeinungen vortragen können, die bei der Prüfung der Regelungs- und Eingriffsvoraussetzungen und bei der Ausübung des Auswahlermessens zu berücksichtigen sein werden, in die die Rechte und Interessen sowohl beider Eltern als auch des Kindes einzustellen sind.

 

Verfahrensgang

AG Nauen (Beschluss vom 29.02.2016; Aktenzeichen 24 F 290/15)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG Nauen vom 29.2.2016 abgeändert:

Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster Instanz Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt... beigeordnet.

 

Gründe

Die Beschwerde ist begründet.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat ausreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 76 I FamFG, 114 I 1 ZPO). Die Erfolgsaussicht darf im Verfahren über die Regelung des Umgangs (§ 1684 III BGB) nicht danach beurteilt werden, ob der Vortrag des Beteiligten geeignet ist, das von ihm angestrebte Verfahrensergebnis zu erreichen. Dieser in Streitsachen und in Antragsverfahren zutreffende Entscheidungsmaßstab würde den Besonderheiten eines Amtsverfahrens in Kindschaftssachen nicht gerecht. Verfahrenskostenhilfe ist vielmehr schon dann zu bewilligen, wenn der Verfahrensgegenstand einen ernsthaften Anlass zu eingehender Überprüfung erkennen lässt und zu erwarten ist, der Beteiligte werde Tatsachenschilderungen und Rechtsansichten vortragen können, um seine Rechte geltend zu machen.

Die Regelung, die Einschränkung oder der Ausschluss des Umgangs (§ 1684 III, IV BGB) berühren das Grundrecht des von der Entscheidung betroffenen Elternteils auf Pflege und Erziehung des Kindes (Art. 6 II 1 GG, 27 II VerfBbg). Gerade wenn einem Elternteil die elterliche Sorge nicht zusteht, ist das Umgangsrecht die wesentliche Grundlage dafür, das Elternrecht überhaupt ausüben zu können. Das staatliche Wächteramt (Art. 6 II 2 GG) dient dazu sicherzustellen, dass die Eltern das Umgangsrecht als Teil des in eine Elternverantwortung gebundenen Elternrechts am Kindeswohl ausgerichtet wahrnehmen und dabei die Rechte des Kindes beachten (BVerfGE 121, 69, 94 f.; BVerfG, NJW 2015, 3366, Abs. 11, 21; BVerfGK 9, 274, 277; 17, 407, 411 f.).

Das Verfahren zur Regelung, zur Einschränkung oder zum Ausschluss des Umgangs kann von Amts wegen begonnen werden. Eines Antrages eines Beteiligten bedarf es nicht (§ 1684 III 1, IV 1 BGB). Gelangt dem Familiengericht ein Regelungsbedürfnis zur Kenntnis, hat es ein Verfahren zu beginnen. Der auf Art. 6 II 1 GG, 27 II VerfBbg beruhende Vorrang des Elternrechts und die daraus folgende Subsidiarität des Wächteramtes stehen einem staatlichen Eingreifen ohne Anlass oder zur Durchsetzung einer von staatlichen Stellen gegen das bestehende Einverständnis der Beteiligten für zweckmäßiger gehaltenen Regelung entgegen. Andererseits wird ein Regelungsbedürfnis nicht erst durch einen das Kindeswohl berührenden Streit über die Ausübung des Umgangsrechts ausgelöst, sondern bereits durch das Rechtsschutzersuchen eines Elternteils, den Umgang durch Gerichtsentscheidung zu regeln (vgl. Staudinger-Rauscher, BGB, Neubearb. 2014, § 1684 Rdnr. 158 f.). Das Familiengericht hat dann ohne Bindung an etwa formulierte Anträge der Beteiligten eine Entscheidung zu treffen, die im Einzelfall eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte erreicht, indem sowohl die Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt werden (BVerfGE 31, 194, 206 f.; 64, 180, 188; BVerfGK 9, 274, 277 f.; 17, 407, 411; BVerfG, NJW 2015, 3366, Abs. 21).

Nicht die Schwere eines möglichen Eingriffs in die Rechte des Beteiligten vermittelt einen Anspruch auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, wohl aber die Notwendigkeit, die Gesichtspunkte des eigenen Elternrechts im Verfahren zur Geltung zu bringen (vgl.

Staudinger-Rauscher, § 1684 Rdnr. 446; Musielak/Borth-Borth/Grandel, FamFG, 5. Aufl. 2015, § 76 Rdnr. 13 f.; MüKo-FamFG-Viefhues, 2. Aufl. 2013, § 76 Rdnr. 32). Der Erfolg der Rechtsverfolgung (§ 114 I 1 ZPO) liegt nicht in der Aussicht, die beantragte Regelung durchzusetzen oder eine hoheitliche Maßnahme abzuwenden, sondern in der Erwartung, der Beteiligte werde Tatsachen oder Rechtsmeinungen vortragen können, die be...

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