Rz. 82

Der Leibrentenvertrag ist zwar im Erbgesetz in dem Abschnitt Erbverträge geregelt, stellt aber keinen Erbvertrag, sondern einen schuldrechtlichen Vertrag mit gewissen erbrechtlichen Folgen dar. In der Praxis ist er ein gängiger Vertrag. Er ist gegenseitig verpflichtend und entgeltlich. Durch diesen Vertrag verpflichtet sich eine Partei die andere Vertragspartei bis zu ihrem Ableben zu unterstützen, unterhalten, pflegen usw. und im Gegenzug verpflichtet sich die andere Partei das Eigentum an bestimmten Gegenständen, in der Regel an Immobilien, an die andere Partei zu übertragen.

 

Rz. 83

Die Übertragung des Eigentums durch Leibrentenvertrag kann entweder zum Zeitpunkt des Ablebens, was den Regelfall darstellt, oder bereits nach Vertragsschließung, was seltener vorkommt, stattfinden. Im ersten Fall sollte diese Vereinbarung zum Schutz der unterhaltsgebenden Partei im Grundbuch vermerkt werden. Im zweiten Fall sollte das Recht auf Leibrente zum Schutz der eigentumsübertragenden Partei eingetragen werden. Die unterhaltgebende Partei ist kein Erbe und muss daher keine Erbvoraussetzungen erfüllen. Die unterhaltgebende Partei kann jedoch auch ein Erbe sein bzw. eine Person, die gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist. In diesem Fall bleibt die Erbenstellung vom Bestehen des Vertrages unberührt.

 

Rz. 84

Der Gegenstand des Leibrentenvertrages bildet keinen Nachlassbestandsteil und wird der unterhaltsgebenden Partei ggf. nicht auf ihr Erbteil zugerechnet, Art. 146 Abs. 6 ErbG FBuH, Art. 150 Abs. 6 ErbG BD BuH. Diese Bestimmung gibt es im ErbG RS nicht. Da es diese Regelung aber auch im alten Erbgesetz der Sozialistischen Republik BuH gab, die gleiche Regelung für den Leibrentenvertrag und den Übergabevertrag galt und diese im geltenden ErbG RS weiterhin für den Übergabevertrag beibehalten wurde – Art. 131 ErbG RS –, kann es sich nur um ein gesetzgeberisches Versäumnis handeln. Aus der historischen und systematischen Auslegung würde hervorgehen, dass die Vorschrift des Art. 131 ErbG RS auch auf den Leibrentenvertrag angewendet werden kann.

 

Rz. 85

Der Leibrentenvertrag muss in Form eines notariell beurkundeten Rechtsgeschäfts abgeschlossen werden, Art. 147 Abs. 1 ErbG FBuH, Art. 139 Abs. 2 ErbG RS, Art. 151 Abs. 1 ErbG BD BuH. Mit diesen ausdrücklichen Bestimmungen aller drei Erbgesetze in BuH ist eine lange Debatte, welche nach dem Inkrafttreten der Notargesetze hinsichtlich der Form des Leibrentenvertrages entfaltet wurde, endgültig beendet worden. In der Praxis mancher Gerichte wurde für die Gültigkeit des Leibrentenvertrages die Einhaltung doppelter Formvorschriften verlangt: sowohl nach dem zu dieser Zeit geltenden alten Erbgesetz der Sozialistischen Republik BuH (Schriftform und Belehrung seitens des Richters) – als auch die Form der notariellen Beurkundung, solange Immobilien vertraglich umfasst waren, was in der Regel der Fall war. Diese Auslegung wurde auch von einem Teil der Doktrin unterstützt,[71] von anderen jedoch vehement abgelehnt.[72] Besonders tückische Folgen hatte diese ohnehin problematische Auslegung, welche keine Rücksicht auf die Auslegungsregel "lex posterior derogat legi priori" nahm,[73] wenn nach der Vertragsschließung beim Notar und vor dem Gerichtstermin für die Vertragsschließung vor Gericht die eigentumsübertragende Partei verstorben war. Die Streitigkeiten, die aus der Zeit vor dem neuen ErbG FBuH entstanden und noch vor den Gerichten anhängig sind, sollten mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der Föderation BuH ein vorhersehbares Ende finden.[74] Dieses Dilemma sollte spätestens seit dem Beginn der Anwendung des ErbG FBuH abgelegt werden. Die Übergangsvorschrift dieses Gesetzes hat nämlich alle Leibrenten- und Übergabeverträge, welche vor seinem Inkrafttreten notariell beurkundet waren (allerdings ohne zusätzliche Mitwirkung des Gerichts) als rechtsgültig erklärt, Art. 270 Abs. 2 ErbG FBuH. Die gleiche Bestimmung gibt es seit 2017 auch im Brčko Distrikt BuH, Art. 274 Abs. 2 ErbG BD BuH.

 

Rz. 86

Der Leibrentenvertrag ist unter den vertraglichen Verfügungen mortis causa in der Praxis wohl der am häufigsten vorkommende und wirkungsstärkste Vertrag, da mittels dieses Vertrags maßgeblich, stärker als durch den Erbvertrag und andere vertragliche Verfügungen, die Erbfolge beeinflusst werden kann. Insbesondere kann durch den Leibrentenvertrag die Anwendung des Pflichtteilsrechts umgangen werden.[75]

[71] Vgl. Mutapčić, S. 612; Bevanda/Čolaković, S. 285 ff.; Povlakić, Transformacija stvarnog prava, S. 83; Softić, V., S. 29–32.
[72] Softić, V., S. 29–32; näher dazu Povlakić, Učešće notara u ostavinskom postupku, S. 31.
[73] Siehe Povlakić, in: Povlakić/Schalast/Softić, Art. 108 Rn 5; Softić, V., S. 28–32.
[74] Das Oberste Gericht der Föderation hat in der Entscheidung 39 0 P 009228 11 Rev. vom 12.2.2013 entschieden, dass das Notargesetz FBuH als lex posterior Vorrang vor dem Erbgesetz genießt.
[75] Näher Povlakić, in: Povlakić/Softić Kadenić, Da li je potrebno uvesti nove forme raspolaganj...

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