Rn 1

Hintergrund der §§ 165, 166 InsO, ist die Einbeziehung der gesicherten Gläubiger in das Insolvenzverfahren und die Ausdehnung der insolvenzrechtlichen Haftungsverwirklichung auf Absonderungsrechte.[1] Mit der Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren sollte aber ausdrücklich keine Umverteilung von Vermögenswerten gesicherter Gläubiger auf ungesicherte Gläubiger oder auf den Schuldner und auf die an ihm beteiligten Personen erfolgen.[2] Es sollte mit anderen Worten daran festgehalten werden, dass die Insolvenz kein Umverteilungstatbestand ist. Eine Umverteilung bewirken auch nicht etwa die , auch wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger hiernach nicht mehr 100 Prozent des Erlöses aus der Verwertung der Sicherheit durch den Insolvenzverwalter erhalten. Denn es werden lediglich die Kosten der Feststellung und der Verwertung vorab aus dem Verwertungserlös entnommen. Über die reine Kostentragung hinaus, der das Prinzip der Kostenverursachung zugrunde liegt und die insofern für eine angemessene Lastenverteilung sorgt, wird den gesicherten Gläubigern mithin kein Sonderopfer abverlangt.[3]

 

Rn 2

Nicht übersehen wurde freilich, dass mit ihrer Einbeziehung in das Recht des Individualzugriffs der absonderungsberechtigten Gläubiger eingegriffen wird und dass ein solcher Eingriff einer Rechtfertigung bedarf. Diese Rechtfertigung soll nach Auffassung des Gesetzgebers darin liegen, dass durch die Einbeziehung "marktkonforme" Verwertungsbedingungen im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten hergestellt werden, die dazu führen, dass der Wert des Schuldnervermögens maximiert wird. Insofern spricht laut Gesetzesbegründung "eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Insolvenzmasse dann am wirtschaftlichsten verwertet werden kann, wenn dieser Verbund [gemeint ist der technisch-organisatorische Verbund des Schuldnervermögens; Anm. Verf.] erhalten bleibt".[4] Dies rechtfertige es, einen automatischen Verwertungsstopp und ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters vorzusehen.[5] Nur so könne die Zerschlagungsautomatik überwunden werden, die bereits auf den ersten Seiten der Allgemeinen Begründung des Entwurfs der Bundesregierung einer Insolvenzordnung als Übel des damals geltenden Konkurs- und Vergleichrechts ausgemacht worden ist:[6] "Da annähernd vier Fünftel des bei insolventen Schuldnern vorhandenen Vermögens mit Aus- und Absonderungsrechten Dritter belastet sind, zerschlägt der Zugriff der gesicherten Gläubiger auf das Sicherungsgut das Betriebsvermögen. Betriebe werden lahmgelegt; ihre Fortführung oder Veräußerung wird unmöglich."

 

Rn 3

Da die starke materielle Rechtsposition des aussonderungsberechtigten Gläubigers () unangetastet bleiben sollte,[7] wurde die Einbindung der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren in der Reformdebatte sogar als "Schicksalsfrage" der avisierten Reform des Konkurs- und Vergleichsrechts bezeichnet.[8] Letztlich ist die Antwort auf diese "Schicksalsfrage" das Ergebnis einer Abwägung der von der Verteilung des Verwertungsrechts tangierten Interessen, also einerseits das Interesse aller Gläubiger an einer optimalen Haftungsverwirklichung, die regelmäßig zur Unternehmensfortführung oder sonstigen geordneten Abwicklung eine Wahrung der technisch-organisatorischen Einheit des schuldnerischen Vermögens voraussetzt, und andererseits das Interesse der gesicherten Gläubiger an einer vorrangigen und zügigen Befriedigung ihrer gesicherten Forderungen, die allerdings die zuvor erwähnte Zerschlagungsautomatik in Gang setzt.

 

Rn 4

Der ratio legis der Einbeziehung der gesicherten Gläubiger in das Insolvenzverfahren und die Ausdehnung der insolvenzrechtlichen Haftungsverwirklichung auf Absonderungsrechte nach , liegt damit (auch) eine Realfolgenorientierung zugrunde, namentlich die Maximierung des Wertes des schuldnerischen Vermögens. Die Realfolgenorientierung des Verwertungsrechts tritt bisweilen nicht offen zu Tage, weil das Gesetz – insbesondere in den , – bestimmte Realfolgen im Tatsächlichen vermutet: Es spricht etwa – wie zuvor gesagt – eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Insolvenzmasse dann am wirtschaftlichsten verwertet werden kann, wenn der "technisch-organisatorische Verbund" des schuldnerischen Vermögens erhalten bleibt. Dahinter steht aber die Auflösung des zuvor genannte Interessenkonflikt durch eine Realfolgenorientierung, wobei hinsichtlich der Bewertung der Realfolgen keine Eigenwertung anzustellen ist, sondern ihre Bewertung anhand der Zielvorgaben der , erfolgt, sich also insbesondere an der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung bei gleichzeitiger Vermeidung einer Umverteilung orientiert. Diese Realfolgenorientierung ermöglicht bei Rechtsanwendungsfragen (Auslegung und Rechtsfortbildung) das Finden begründeter Antworten (siehe etwa die Diskussion über die vorausgesetzte "Besitzqualität" im Zusammenhang mit dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 Rn. 14 ff.).

[1] Zu diesem Regelungsanliegen siehe Begründung zum...

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