Entscheidungsstichwort (Thema)

Schiedsgutachtenvertrag

 

Leitsatz (amtlich)

a) Wird in einem langfristigen Mietvertrag vereinbart, daß bei grundlegender Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse die Mieten den veränderten Verhältnissen angepaßt werden sollen und, falls eine Einigung der Vertragsparteien nicht zustande kommt, ein Sachverständiger die erhöhte Miete verbindlich festzusetzen hat, so kann dem Sachverständigen als Schiedsgutachter auch die Entscheidung der Frage übertragen werden, ob eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist (im Anschluß an BGHZ 48, 25).

b) Diese Vereinbarung ist ein Schiedsgutachtenvertrag und bedarf nicht der Form des § 1027 ZPO.

c) Unterläßt es der Schiedsgutachter, einen Berechnungsmaßstab für die von ihm bestimmte Erhöhung des Mietzinses anzugeben, so muß das Gutachten als offenbar unbillig gewertet werden.

 

Normenkette

BGB § 319; ZPO §§ 1025, 1027

 

Verfahrensgang

LG Münster

OLG Hamm

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenate des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. Mai 1973 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin vermietete dem Beklagten auf Grund Vertrages vom 6. Mai 1966 Geschäftsräume in ihrem Hause H…straße … in A… gegen einen monatlichen Mietzins von 1.700 DM zum Betrieb eines Lebensmittel-Supermarktes. Das Mietverhältnis war für die ersten 5 Jahre unkündbar. Für die folgende Zeit ist dem Beklagten das Recht zu dreimaliger Option für jeweils weitere 5 Jahre eingeräumt worden. Mit Rücksicht auf die vorgesehene lange Vertragsdauer vereinbarten die Parteien in § 9 eine Wertsicherungsklausel folgenden Wortlauts.:

„Mit Rücksicht auf die voraussichtliche lange Mietdauer wird auf Wunsch des Vermieters folgende Wertsicherungsklausel vereinbart:

Sollte durch eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse sich herausstellen, daß durch diese Änderung Leistung und Gegenleistung in einem offensichtlichen Mißverhältnis zueinander stehen, so soll auf schriftlichen Antrag eines der beiden Vertragspartner der Mietzins erhöht oder ermäßigt werden.

Unberücksichtigt bleiben soll dabei der wirtschaftliche Aufschwung, den der Laden durch die erfolgreiche Arbeit des Mieters genommen hat. Der Antrag ist der anderen Vertragspartei per Einschreiben mitzuteilen.

Ausgegangen werden soll dabei von dem Mietzins, wie er bei Bezugsfertigkeit des Ladenlokals gezahlt wird.

Sofern die zwischen den Parteien alsdann unverzüglich einzuleitenden Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen, entscheidet über die zukünftige Miethöhe für das laufende Kalendervierteljahr und für die Zukunft endgültig und bindend ein fachkundiger Schiedsgutachter, der auf Antrag der einen oder anderen Partei von der zuständigen Industrie- und Handelskammer zu benennen ist.

Nachzahlungen oder Erstattungen für die Vergangenheit können jedoch nur für den Zeitraum verlangt werden, der vom 1. des Monats, in dem die spezifizierte begründete Erklärung der die Angleichung verlangenden Vertragspartei der anderen Partei per Einschreiben zugegangen ist, bis zur endgültigen Neufestsetzung des Mietzinses vergangen ist.”

Nachdem die Klägerin den Beklagten am 6. September 1971 vergeblich aufgefordert hatte, mit ihr über eine Mietzinserhöhung zu verhandeln, verlangte sie mit Schreiben vom 21. September 1971, dessen Annahme der Beklagte verweigerte, ab 1. Oktober 1971 einen monatlichen Mietzins von 3.400 DM. Vom Haus- und Grundeigentümerverein A… und Umgebung e. V. entsprechend beraten, ließ die Klägerin die Industrie- und Handelskammer M… bitten, einen Schiedsgutachter entsprechend § 9 des Mietvertrages zu benennen. Daraufhin wurde der Sachverständige P… bestellt, der am 2. Dezember 1971 ein Schiedsgutachten erstattete. Der Sachverständige gelangte darin zu dem Ergebnis, daß eine grundlegende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten und ein Mietzins von 2.400 DM monatlich fortan gerechtfertigt sei.

Gestützt auf dieses Schiedsgutachten verlangt die Klägerin für die Zeit ab 1. Oktober 1971 monatlich 2.400 DM Mietzins.

Das Landgericht hat der Klage nach Beweiserhebung stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung bestätigt. Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet, erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, § 9 Mietvertrag enthalte eine Schiedsgutachtenabrede „im eigentlichen Sinne”, die dem Schiedsgutachter zwei Aufgaben und Befugnisse übertrage, nämlich

  1. festzustellen, ob durch eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse sich ergebe, daß Leistung und Gegenleistung in einem offensichtlichen Mißverhältnis zueinander stehen, wobei der Mietzins bei Bezugsfertigkeit den Ausgangswert markiere

    und

  2. die zukünftige Miethöhe „endgültig und bindend” zu bestimmen.

Daß der Schiedsgutachter auch über die für eine Änderung des Mietzinses entscheidende Vorfrage zu befinden gehabt habe, ergebe sich zwingend daraus, daß sein Tätigwerden für den Fall des Scheiterns der Parteiverhandlungen vorgesehen sei, sich folglich auf all das habe erstrecken müssen, was die Parteien selbst hätten prüfen und abwägen müssen. Nur dann habe seine Entscheidung über die Situation hinweghelfen können, die durch die Uneinigkeit der Vertragspartner entstanden sei. Weder in der Beurteilung der Vorfrage noch in der Festsetzung der ab 1. Oktober 1971 angemessenen Miete könne dem Schiedsgutachten mit dem Einwand offensichtlicher Unrichtigkeit erfolgreich begegnet werden.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings wendet sich die Revision zu Unrecht dagegen, das Berufungsgericht habe die in § 9 Mietvertrag getroffene Vereinbarung einheitlich als Schiedsgutachtenklausel gewertet und nicht eine Aufspaltung in eine Schiedsgerichts- und eine Schiedsgutachtenabrede (die eine auf die Vorfrage, die andere auf die Festsetzung der künftigen Miete bezogen) vorgenommen. In der einheitlichen Wertung befindet sich das Berufungsgericht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 17. Mai 1967 – VIII ZR 58/66 = BGHZ 48, 25ff.). Danach wird durch Betrauung mit der Entscheidung der sog. Vorfrage der Aufgabenkreis eines Schiedsgutachters nicht überschritten. Seine Tätigkeit kann neben der Ermittlung von Tatsachen auch deren rechtliche Einordnung mit umfassen, und zwar auch in der Weise, daß die von ihm zu treffende Tatsachenfeststellung ohne Beantwortung der vorgreiflichen Rechtsfrage nicht möglich ist (Senatsurteil vom 17. Mai 1967 a.a.O. S. 30, 31). Im damals entschiedenen Falle handelte es sich dabei, wie im vorliegenden, darum, ob eine „grundlegende Veränderung der Verhältnisse, insbesondere eine unzumutbare Verschiebung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung” eingetreten sei. Ist die Beurteilung einer derartigen Vorfrage den Befugnissen eines Schiedsgutachters nicht wesensfremd, so durfte das Berufungsgericht davon ausgehen, daß bei Uneinigkeit ein Schiedsgutachter tätig werden sollte. Dagegen bestehen um so weniger rechtliche Bedenken, als die Parteien, die über Lebens- und Geschäftserfahrung verfügen, in dem Mietvertrag auch sonst sachgerechte Regelungen getroffen haben. Alles spricht dafür, daß sie den Begriff Schiedsgutachter – versehen mit der für seine Aufgabenstellung charakteristischen Kennzeichnung „fachkundig” – mit Bedacht gewählt haben. Unter diesen Umständen ist es unerheblich, daß in § 9 Mietvertrag der ausdrückliche Hinweis auf § 319 BGB fehlt. Die Überprüfbarkeit eines jeden Schiedsgutachtens in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 319 BGB steht außer Frage (vgl. Palandt, BGB, 33. Aufl. Anm. 2 d zu § 317). Die Revisionsbegründung läßt überdies, wie übrigens schon die Berufungsbegründung, jeden konkreten Anhaltspunkt dafür vermissen, daß die Parteien etwas anderes als das ausdrücklich Gesagte gemeint haben könnten.

Haben sie aber eine Schiedsgutachtenvereinbarung getroffen, bedurfte es der Wahrung der Formvorschrift des § 1027 ZPO nicht.

2. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Schiedsgutachter habe mit Recht angenommen, die Vertragspartner hätten in § 9 Abs. 2 Mietvertrag eine erhebliche Änderung der für die allgemeine wirtschaftliche Lage und die konkreten Leistungsbeziehungen (Geschäftsraummiete) wesentlichen Faktoren nach der allgemeinen Verkehrsauffassung zur Voraussetzung einer Erhöhung oder Ermäßigung des Mietzinses, gemacht und nicht erst den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Diese Auslegung des § 9 Abs. 2 Mietvertrag durch den Schiedsgutachter, die sich das Berufungsgericht unter Hinweis auf Sinn und Zweck derartiger Anpassungsklauseln und das Ergebnis der im ersten Rechtszuge durchgeführten Beweisaufnahme zu eigen gemacht hat, ist möglich und naheliegend (vgl. Senatsurteil vom 8. November 1972 – VIII ZR 123/71 = WM 1972, 1442). Die Vorinstanz hat weder Auslegungsregeln verletzt noch maßgebliche Gesichtspunkte außer acht gelassen. Sie hat zutreffend darauf hingewiesen, daß dem Wortlaut der Vertragsbestimmung nicht entnommen werden kann, die Parteien hätten mit einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse nur bestimmte einschneidende Ereignisse gemeint, wie Krieg, Währungsreform, galoppierende Inflation, Revolution, wirtschaftlichen Zusammenbruch und ähnliche Geschehen mit Veränderungswirkung „von Grund auf” (so der Beklagte in der Klageerwiderung und in der Berufungsbegründung). Rechtlich einwandfrei ist vielmehr die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Mietvertrag auf eine Klausel hinweist, die es ermöglichen soll, während der langen Laufzeit des Vertrages das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung trotz erheblicher Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse auszubalancieren.

Wenn demgegenüber der Beklagte behauptet, die Parteien hätten unter einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eben nur jene oben genannten einschneidenden Ereignisse verstanden, so trägt er, entgegen der Ansicht der Revision, hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Das Berufungsgericht hat die im ersten Rechtszug erhobenen Beweise (Bekundungen der Zeugen E…, R… und W… B…und E…) in Übereinstimmung mit dem Landgericht als nicht ausreichend gewertet, um die Richtigkeit der Behauptung als bewiesen anzusehen. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die im zweiten Rechtszuge hierfür zusätzlich angetretenen Beweise hat das Berufungsgericht mit der Begründung nicht erhoben, ihnen liege ein unzureichend substantiierter Sachvortrag zugrunde. Mit Rücksicht darauf, daß die vom Beklagten im ersten Rechtszug benannten Zeugen zur Vorstellung der Vertragschließenden über die inhaltliche Bedeutung der Wertsicherungsklausel nichts haben sagen können und übereinstimmend erklärt worden war, die Ehefrau des Beklagten habe an der entscheidenden Verhandlung im Beisein des Zeugen E… nicht teilgenommen, konnte das Berufungsgericht verlangen, daß die Beweisangebote näher konkretisiert würden. Damit hätte der anwaltlich vertretene Beklagte auch ohne ausdrücklichen Hinweis des Gerichts nach § 139 ZPO rechnen müssen.

3. Das Berufungsgericht hat jedoch bei der Feststellung, die Angriffe des Beklagten gegen das Schiedsgutachten seien deshalb unbegründet, weil sie seine offenbare Unrichtigkeit nicht hinreichend darlegten, übersehen, daß der Sachverständige keine Berechnungsgrundlage für die von ihm festgesetzte Mietzinserhöhung von 41% angegeben hat. Er hat sieh damit begnügt, die Prozentsätze für die Steigerung der Lebenshaltungskosten für mittlere Verbrauchergruppen von 1966-1971 (17%), die Steigerung der Baukosten (ca. 40%), der Mieten für private Haushalte (ca. 50%) und der Grundstückspreise (wenigstens 50%) im gleichen Zeitraum mitzuteilen. Er hat daraus zwar die Schlußfolgerung gezogen, daß „eine erhebliche Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse” i.S. von § 9 Abs. 2 Mietvertrag zu bejahen sei, aber nicht dargelegt, ob er diese Werte auch zur Grundlage der Mietzinserhöhung für die Geschäftsräume der Klägerin genommen hat und, wenn ja, in welcher Weise dies geschehen ist. Es läßt sich nur vermuten, daß er an den Durchschnittswert der vier mitgeteilten Prozentsätze gedacht haben könnte, wiewohl der exakte Durchschnittswert nicht 41%, sondern 39,2% beträgt. Es fällt überdies auf, daß der Sachverständige die Entwicklung der Geschäftsraummieten im fraglichen Zeitraum überhaupt nicht in seine Erwägungen einbezogen hat. Das wäre nicht nur deshalb notwendig gewesen, weil es in dem Gutachten um die Erhöhung von Geschäftsraummietzins ging, sondern vor allem auch deshalb, weil § 9 Abs. 2 Mietvertrag eine ausdrückliche kausale Verknüpfung von grundlegender Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse und offensichtlichem Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung enthält („… daßdurch diese Änderung Leistung und Gegenleistung in einem offensichtlichen Mißverhältnis zueinander stehen…”). Ob in Anbetracht dessen bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Mietvertrag allein auf den Kaufkraftschwund der Währung abgehoben werden darf oder nur auf die Entwicklung der Geschäftsraummieten, wie die Revision meint, oder ob beide Gesichtspunkte durch die Feststellung verknüpft werden müssen, daß das offensichtliche Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht auf anderen Umständen, z. B. einer marktbedingten Stagnation der Geschäftsraummieten beruht, wird, nötigenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen, im Wege der Vertragsauslegung zu klären sein. Erst dann kann der Maßstab einer Mietzinserhöhung bestimmt werden. Art und Beschaffenheit der Mieträume, wie sie der Sachverständige beschrieben hat, werden dabei ebenfalls zu berücksichtigen sein.

Da das vorliegende Schiedsgutachten einen prüfbaren Berechnungsmaßstab für die Erhöhung des Mietzinses nicht enthält, mußte es als offenbar unbillig gewertet werden (vgl. Gelhaar in Betrieb 1968, 743; Palandt, BGB, 33. Aufl., Anm. 2 b zu § 319; Senatsurteil vom 21. Oktober 1964 – VIII ZR 64/63 NJW 1965, 150).

III.

Nach allem mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Zu einer eigenen Entscheidung des Senats in der Sache fehlen die Voraussetzungen (§ 565 ZPO).

IV.

Da sich endgültiger Erfolg oder Mißerfolg der Revision noch nicht absehen lassen, war die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels dem Berufungsgericht vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI609676

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge