Leitsatz (amtlich)

Die unheilbare Zerrüttung der Ehe, die dadurch eingetreten ist, daß der Kläger sich von der Beklagten getrennt hat, braucht von jenen nicht überwiegend verschuldet zu sein, wenn die Ehe durch besondere widrige Verhältnisse erheblichen Belastungen ausgesetzt war.

 

Normenkette

EheG § 48 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG München I

OLG München

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil den 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. August 1969 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der in Jahre 1920 geborene Kläger hat die in Jahre 1921 geborene Beklagte in Jahre 1944 geheiratet. Der Kläger befand sich damals bei der Wehrmacht. Die Beklagte war berufstätig. Nach dem Zusammenbruch begab sich der Kläger zu seinen Eltern nach Ludwigshafen. Die Beklagte, die sich in Troppau aufhielt, flüchtete zu Verwandten nach Weimar. Dort blieb sie vier Wochen, dann folgte sie dem Kläger nach Ludwigshafen. Hier lebte sie zusammen mit dem Kläger in dessen Elternhaus. Dort führten die Parteien einen gemeinsamen Haushalt mit der Mutter des Klägers und mit seiner Tante. In September 1946 wurde dort das erste Kind der Parteien und in Oktober 1947 das zweite Kind geboren. Der Kläger zog aus beruflichen Gründen im Januar 1953 nach Marburg. Die Beklagte blieb zunächst weiter in Hause ihrer Schwiegereltern. Seit 1954 hatten die Parteien in Marburg eine eigene Wohnung. Im Oktober 1958 verzog die Familie auf Wunsch den Klägers nach München. Nach einer Zwistigkeit im April 1960 brach der Kläger die persönlichen Beziehungen zur Beklagten ab. Es kam zwischen den Parteien nicht mehr zu Vertraulichkeiten und Zärtlichkeiten. Der Kläger schlief getrennt und ließ sich von der Beklagten nicht mehr versorgen. An 22. September 1960 führte der Kläger nach einer Auseinandersetzung mit seiner Schwiegermutter, die in Abwesenheit der Beklagten stattfand, eine endgültige Trennung der Eheleute in der ehelichen Wohnung herbei. Seit Ende 1962 bis etwa 1968 hat der Kläger ehewidrige und ehebrecherische Beziehungen zu einer anderen Frau unterhalten. Er wohnt jetzt in einer von ihm erbauten Villa am Starnberger See, während die Beklagte mit den Kindern in dem dem Kläger gehörigen Haus in München wohnt.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe nach § 48 EheG. Er hat behauptet, die Ehe sei bereits seit April 1960 unheilbar zerrüttet. Er habe seine eheliche Gesinnung verloren, weil das Eheleben durch ständigen Streit, der zwischen den Parteien geherrscht habe, auf die Dauer unerträglich geworden sei. Nach solchen Streitigkeiten hätten die Parteien oft wochenlang nicht miteinander gesprochen. Die Beklagte sei träge, interessiere sich nicht für seinen Beruf und habe die Kinder falsch erzogen. Sie sei sehr egozentrisch und könne sich nicht anderen anpassen.

Die Beklagte hat der Scheidung widersprochen. Sie macht geltend, der Kläger habe die Zerrüttung der Ehe dadurch herbeigeführt, daß er sie mit den Kindern allein gelassen habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf eine von der Beklagten in Wege der Anschlußberufung erhobenen Widerklage den Kläger verurteilt, die eheliche Gemeinschaft mit der Beklagten wieder herzustellen.

Der Kläger hat die allein nach § 547 Abe. 1 a.F. ZPO zulässige Revision eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die von der Beklagten gegen die Zulässigkeit der Revision vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch. Der Senat hält an den in dem LM ZPO § 547 Abs. 1 Nr. 11 veröffentlichten Urteil enthaltenen Rechtsgedanken fest.

Die Revision ist auch begründet.

Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil es den von der Beklagten erhobenen Widerspruch für zulässig und auch beachtlich gehalten hat. Es ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß der Kläger in Rahmen der Prüfung, ob er selbst die Zerrüttung der Ehe ganz oder überwiegend verschuldet hat, die Beweislast für schuldhafte Verfehlungen der Beklagten habe. Diese Beweislast habe er auch dann, wenn er damit sein eigenes ehezerrüttendes Verhalten rechtfertigen oder in einen milderen Licht erscheinen lassen wolle. Das Berufungsgericht ist weiter davon ausgegangen, daß der Ehegatte, der sich von der Ehe lossagt, damit eine Handlung vornimmt, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe zu führen. Wenn die unheilbare Ehezerrüttung dann festgestellt werde, so bestehe eine tatsächliche Vermutung dafür, daß diese durch schuldhaftes Verhalten des die Scheidung begehrenden Ehegatten verursacht worden sei.

Diese vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtssätze entsprechen der früheren Rechtsprechung den Bundesgerichtshofs. Dieser hat jedoch seine Rechtsansicht geändert, weil die bisher von ihm vertretene Ansicht der Fassung des § 48 Abs. 2 EheG nicht entspricht und weil sie den Scheidungsgrund des § 48 EheG entgegen dem gesetzgeberischen Zweck einschränkt (vgl. BGHZ 52, 307 ff. mit Anm. LM EheG § 48 Abs. 2 Nr. 99; BGHZ 53, 345 mit Anm. LM EheG § 48 Abs. 2 Nr. 103 und BGH LM EheG § 48 Abs. 2 Nr. 90, 92, 93, 101 und 102).

Nach den in diesen Entscheidungen niedergelegten Rechtssätzen muß der Kläger die Gründe angeben, die ihn veranlaßt haben, seine eheliche Gesinnung preiszugeben. Das hat er getan. Er hat geltend gemacht, die Parteien seien einander entfremdet. Sie seien in ihren Wesen sehr verschieden. Die Beklagte habe sich nicht für seine berufliche Tätigkeit interessiert und kein Verständnis dafür aufgebracht, daß er seinen Beruf sehr viel Zeit habe widmen müssen. Sie sei nach ihrer ganzen Lebensart zu langsam und unnachgiebig. Dadurch sei es sowohl zwischen ihr und Ihrer Schwiegermutter wie auch zwischen den Parteien häufig zu Streitigkeiten gekommen. Sie habe auch die Kinder falsch erzogen und seinen Vorstellungen und Anregungen keine Rechnung getragen. Durch diesen Verhalten der Beklagten sei die Ehe bereits unheilbar zerrüttet gewesen, als er sich im Jahre 1960 von ihr getrennt habe.

Der Widerspruch der Beklagten ist nicht schon deshalb zulässig, weil vielleicht das ihr vorgeworfene Verhalten keine schwere Eheverfehlung ist und möglicherweise dem Kläger auch noch nicht das Recht gab, sich von seiner Ehe loszusagen. Darauf, ob das Verhalten den beklagten Ehegatten als schwere Eheverfehlung zu charakterisieren ist, kommt es im Rahmen der noch § 48 Abs. 2 EheG zu treffenden Entscheidung nicht an. Hier ist zu beachten, daß auch dann, wenn der Kläger sich aus Gründen von seiner Ehe losgesagt hat, die den beklagten Ehegatten nicht zum Vorwurf gemacht werden können, die eingetretene Zerrüttung der Ehe von den Kläger nicht oder jedenfalls nicht überwiegend verschuldet zu sein braucht. So ist es, wenn die Umstände, auf die der Kläger den Verlust seiner ehelichen Gesinnung zurückführt, so erheblich ins Gewicht fallen, daß sein Versagen vor der ihm durch die Ehe gestellten Aufgabe deswegen verständlicher erscheint.

Enttäuschungen, die ein Ehegatte seinem Ehepartner dadurch bereitet hat, daß er in seiner Wesensart nicht so ist, wie der andere es angenommen und erwartet hat, muß dieser allerdings grundsätzlich hinnehmen. Er darf sich deswegen nicht ohne weiteren von seiner Ehe lossagen. Unter besonders widrigen Umständen und bei besonderen Verhältnissen kann aber die Belastung, die die Ehe auf diese Weise erfährt, so erheblich sein, daß dem Ehegatten, der sich deswegen von seiner Ehe lossagt, daraus kein so schwerer Vorwurf gemacht worden kann, wie es sonst der Fall sein würde, wenn diese besonderen Umstände und Verhältnisse nicht vorgelegen hätten. Es kann dann sein, daß der Ehegatte in Anbetracht dieser besonderen Lage die unheilbare Zerrüttung der Ehe nicht überwiegend verschuldet hat, da die widrigen, schicksalsbedingten Verhältnisse ein ebensolches Gewicht wie dem Verschulden des aus der Ehe herausstrebenden Ehegatten beizumessen ist.

In dem hier zu entscheidenden Fall könnte es so gewesen sein. Es ist zu beachten, daß die Ehegatten während des Krieges geheiratet haben und alsbald nach ihrer Eheschließung durch die Kriegsereignisse getrennt wurden. Sie kamen zwar nach verhältnismäßig kurzer Trennung wieder zusammen. Es war ihnen aber nicht möglich, einen eigenen Haushalt zu führen, sondern sie lebten mit der Mutter und einer Tante des Klägern zusammen. Dadurch mag es ihnen erschwert worden sein, sich einander anzupassen. Es mag sein, daß diese widrigen äußeren Umstände und das vielleicht sehr verschieden geartete Wesen der Parteien dazu geführt haben, daß es zwischen ihnen zu häufigen und nachhaltigen Auseinandersetzungen kam, die für den Kläger auf die Dauer schwer erträglich waren. Möglicherweise könnte auch die starke Bindung der Beklagten an ihre Eltern eine der Ehe abträgliche Rolle gespielt haben. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, daß die Beklagte, solange die Kinder noch klein und nicht schulpflichtig waren, sich mit diesen alljährlich gegen seinen Willen monatelang bei Ihren Eltern aufgehalten hat. Vielleicht hat auch der Kläger, um sein Berufsziel zu erreichen, ungewöhnlich viel arbeiten müssen, ein Umstand, der sich nachteilig auf die Ehe ausgewirkt haben könnte. Hat die Beklagte, wie der Kläger es behauptet, dafür kein Verständnis aufgebracht und ihm nicht so zur Seite gestanden, wie er es wünschte, dann kann auch das eine nennenswerte Belastung der Ehe gewesen sein. Nach alledem kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger den Verlust seiner ehelichen Gesinnung nicht überwiegend verschuldet hat.

Das Berufungsgericht muß daher die von den Parteien angebotenen Beweise erheben. Soweit es sich um Vorgänge handelt, die sich nur zwischen den Ehegatten abgespielt haben, wird das Gericht von der Vorschrift des § 448 ZPO durch Vernehmung beider Ehegatten Gebrauch machen müssen.

Der Widerspruch der Beklagten wäre zulässig, wenn das Gericht aufgrund einer neuen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß der Kläger seine eheliche Gesinnung nicht aus den von ihm angegebenen, sondern aus anderen ihm zum Vorwurf gereichenden Gründen verloren hat. So könnte es sein, wenn sich ergeben sollte, daß die Ehe der Parteien bis zum Jahre 1962, als der Kläger ehewidrige und ehebrecherische Beziehungen zu einer anderen Frau aufnahm, im wesentlichen ungetrübt gewesen ist.

Sollte das eheliche Verhältnis dagegen in diesem Zeitpunkt schon so stark beeinträchtigt gewesen sein, daß die Ehe sehr wahrscheinlich in späterer Zeit auch dann zerbrochen wäre, wenn der Kläger sich keiner anderen Frau zugewandt hätte, dann könnte der Widerspruch der Beklagten unzulässig sein. Es braucht dann der Umstand, daß die Zerrüttung der Ehe erst dadurch unheilbar geworden ist, daß der Kläger sich der anderen Frau zuwandte, nicht solches Gewicht zu haben, daß die unheilbare Zerrüttung der Ehe deswegen von ihm überwiegend verschuldet wäre.

Bei der insoweit zu treffenden Entscheidung wird zu berücksichtigen sein, daß der Kläger von der Beklagten bereits einige Jahre getrennt lebte, bevor er die Beziehungen zu der anderen Frau aufnahm, und daß diese nach seinen unwiderlegten Angaben jetzt endgültig abgebrochen sind, ohne daß der Kläger dadurch zu der Beklagten zurückgefunden hat.

Sollte das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme und der mündlichen Verhandlung keine klare Vorstellung von den Gründen, die zur Zerrüttung der Ehe geführt haben gewinnen, so geht das nach der in § 48 Abs. 2 EheG geregelten Beweislastverteilung grundsätzlich zu Lasten der Beklagten. Die Ehe kann jedoch auch in diesem Fall gegen ihren Widerspruch nur geschieden werden, wenn das Gericht nach dem Bild, das es sich aufgrund der mündlichen Verhandlung von der Ehe der Parteien gemacht hat, annimmt, daß es so gewesen sein könnte, wie der Kläger es behauptet. Dabei müssen allerdings konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sein, die das Gericht zu dieser Annahme berechtigen. Es wird zu prüfen sein, ob die Bekundungen der Zeuginnen Irma F… und Emilie G… (Bl. 176, 178, GA) solche Anhaltspunkte geben. Dabei könnte es auch bedeutsam sein, daß die Beklagte in ihren Schriftsatz von 5. Mai 1967 – S. 20 – selbst ausgeführt hat, daß es im Verlaufe der Zeit zu einer Entfremdung zwischen den Parteien gekommen sei. Die Atmosphäre sei nicht gut gewesen. Zu Streitigkeiten sei es aber nur verhältnismäßig selten gekommen.

Um das Scheidungsbegehren des Klägers zu rechtfertigen, würde es genügen, wenn es als wahrscheinlich anzusehen sein sollte, daß die häusliche Atmosphäre so schlecht war, daß sie für den Kläger auf die Dauer unerträglich war. Daß nicht sie, sondern der Kläger selbst diesen Zustand in der Ehe verschuldet hat, müßte die Beklagte beweisen. Wenn ihr dieser Beweis nicht gelingt, dann geht das wiederum zu ihren Lasten und ihr Widerspruch wäre nicht zulässig. Es kann insoweit nicht verlangt werden, daß das Gericht es für wahrscheinlich halten muß, daß die Beklagte diesen Zustand verschuldet hat.

Damit das Berufungsgericht über das Scheidungsbegehren des Klägern nach Maßgabe dieser Rechtssätze befinden kann, müßte das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609376

NJW 1971, 703

MDR 1971, 378

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