Verfahrensgang

LG Düsseldorf

 

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Ehefrau, die Mitangeklagte G. T., vom Vorwurf der Tatbeteiligung freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der auf die Sachrüge gestützten Revision nur noch insoweit an, als es den Angeklagten betrifft, und erstrebt in erster Linie eine Verurteilung wegen heimtückisch begangenen Mordes. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Der 58 Jahre alte Angeklagte und seine fünf Jahre ältere Frau, die beide aus Süditalien stammen und sich seit 1960 bzw. 1971 in der Bundesrepublik aufhalten, lebten den Feststellungen des Landgerichts zufolge vom Frühjahr 1987 an in Streit mit den neuen Eigentümern des Mehrfamilienhauses, in dem sie seit Jahren zur Miete wohnten, dem türkischen Staatsangehörigen A. C., dem späteren Tatopfer, und seiner Ehefrau. Grund dafür war, daß die Eheleute C. alsbald nach dem Erwerb des Hausanwesens eine höhere Miete verlangt hatten und zudem Meinungsverschiedenheiten über die Benutzung des zum Haus gehörenden Gartens entstanden waren. Die Streitigkeiten hatten ihren ersten (vorläufigen) Höhepunkt, als es im September 1987 zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen der Ehefrau des Angeklagten und A. C. kam. Weil er von ihr im Garten gesetzte Pflanzen herausgerissen hatte, beschimpfte sie ihn massiv und schlug ihn zweimal ins Gesicht. Daraufhin kündigten die Eheleute C. das Mietverhältnis fristlos und erstritten ein zunächst nicht rechtskräftiges Räumungsurteil gegen den Angeklagten und seine Frau mit einer Räumungsfrist bis 30. Juli 1988.

Am 18. Juni 1988 war das Ehepaar C. gegen 20.30 Uhr im Garten des Hausanwesens beschäftigt. Dabei wurde es vom Angeklagten und seiner Ehefrau von deren Wohnung aus beobachtet. Diese fühlten sich, zumal nach dem Räumungsurteil und wegen des völligen Ausschlusses von der Gartenbenutzung, von der Familie C. immer mehr benachteiligt und von ihr gedemütigt. Auch an diesem Abend glaubten sie wahrzunehmen, daß sich C. mit seiner Ehefrau und einer Nachbarin über sie lustig machte. Dies steigerte ihre Empörung darüber, daß sie ausziehen sollten, so sehr, daß sie sich entschlossen, diesen Gefühlen gegenüber den Eheleuten C. Luft zu machen. Der Angeklagte, der bemerkt hatte, daß C. in den Waschkeller gegangen war, um Wasser zu holen, wollte ihn dort stellen. Er bewaffnete sich mit einem Messer, um, falls es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem ihm körperlich überlegenen, 20 Jahre jüngeren C. kommen sollte, nicht auch noch in dieser der Verlierer zu sein. "Er hielt es für möglich, zu diesem Zweck auch mit dem Messer zustechen zu müssen. Siegen wollte er um jeden Preis, auch wenn die C. dafür beizubringenden Verletzungen tödlich verlaufen sollten" (UA S. 13). Der Angeklagte traf C. im Waschkeller an, als dieser ihm den Rücken zukehrend damit beschäftigt war, Wasser in einen Eimer zu füllen. Nachdem er die Tür zum Garten zugedrückt hatte (ohne sie möglicherweise zu verschließen), tippte er C. auf die Schulter. Als dieser sich umwandte, stellte sich der Angeklagte vor ihn, hielt dabei wie zuvor schon das Messer auf dem Rücken versteckt und sagte erregt: "Jetzt ist Schluß, jetzt reicht's mir von den Füßen bis zum Kopf]". C. erwiderte, daß der Angeklagte weg müsse, dies sei sein Besitz. Er faßte ihn vorn am Hemd, schüttelte ihn und gab ihm eine Ohrfeige. Der Angeklagte holte daraufhin mit dem Messer, das er immer noch in seiner rechten Faust auf dem Rücken hielt, aus und versetzte C. zwei Stiche in den Brustbereich. An den dadurch erlittenen Verletzungen verblutete C.. Ob bereits der erste oder erst der zweite Messerstich tödlich gewirkt hatte, ließ sich nicht feststellen. Beim Zustechen nahm der Angeklagte die Möglichkeit, daß C. tödlich getroffen werde, billigend in Kauf.

2. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke im Ergebnis zu Recht verneint. Die dagegen erhobenen Einwände der Staatsanwaltschaft greifen nicht durch.

a) Maßgebend für die Beurteilung, ob der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewußt zur Tötung ausgenutzt, somit heimtückisch gehandelt hat, ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs und damit der Eintritt der Tat in das Versuchsstadium (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 22 Ansetzen 12 und § 211 II Heimtücke 2, 4 und 6, jeweils mit weiteren Nachweisen). Bei Versuchsbeginn war C. jedoch nicht mehr arglos.

aa) Allerdings versah er sich offensichtlich keines Angriffs, als der Angeklagte, das Messer versteckt auf dem Rücken haltend, den Waschkeller betrat, die zum Garten führende Tür zudrückte und ihn auf die Schulter tippte. In diesem Verhalten ist aber noch nicht der Beginn der Tötungshandlung zu sehen. Einen Tatentschluß hatte der Angeklagte zwar schon gefaßt, als er sich mit dem Messer bewaffnete (UA S. 13 und 49), weil lediglich die Tatausführung, nicht aber der Wille zur Tat davon abhängig war, daß es zu Tätlichkeiten kommen werde (vgl. Eser in Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 22 Rdn. 18 und 19). Auch erstreckt sich das Versuchsstadium einer Tat auf Handlungen, die nach dem Tatplan der Tatbestandsverwirklichung in dem Sinne unmittelbar vorausgehen, daß der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv ohne weitere Zwischenakte zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt (vgl. BGHSt 26, 201, 202/203; 28, 162, 163; 30, 363, 364; BGHR StGB § 22 Ansetzen 12 und § 211 II Heimtücke 6). Diese Phase war jedoch erst erreicht, als der Angeklagte mit dem Messer ausholte, um zum ersten Mal zuzustechen. Erst als C. ihm die Ohrfeige versetzte und mit den Tätlichkeiten begann, "ging es", bezogen auf die Tötungshandlung, aus der Sicht des Angeklagten "los". In den Fällen, in denen ein unbedingter Tatentschluß gefaßt ist, den der Täter in der Ausführung aber vom Eintritt bestimmter Umstände abhängig macht, kann eine Versuchshandlung zwar schon vor dem "Bedingungseintritt" zu bejahen sein (vgl. BGHSt 22, 80; ferner Eser a.a.O. Rdn. 19 mit Nachweisen). Hier jedoch, wo die Tatausführung von einem Verhalten des dann Getöteten selbst abhing, das bei Zugrundelegung der Feststellungen nicht im Sinne einer automatischen Reaktion ausgelöst werden sollte, ist ein unmittelbares Ansetzen zur Tötungshandlung für das Stadium vor der Tätlichkeit C. nicht anzunehmen. In diesem zeitlichen Bereich war das Leben des späteren Tatopfers noch nicht in einem nach Versuchsgrundsätzen erheblichen Maße gefährdet.

bb) Als der Angeklagte mit dem Messer ausholte um zuzustechen, hatte C. seine anfangs vorhandene Arglosigkeit gegenüber dem Angeklagten verloren. Davon ist ersichtlich auch das Landgericht ausgegangen. Die von ihm gegebene - knappe - Begründung, der Angeklagte habe C. mit den Worten "Jetzt ist Schluß, jetzt reicht's mir von den Füßen bis zum Kopf]" klargemacht, daß er ihm feindlich gegenüberstand (UA S. 54), stellt freilich, wie der Beschwerdeführerin zuzugeben ist, für sich allein betrachtet noch keine genügende Grundlage für eine solche Beurteilung dar. Sie reicht jedoch aus, wenn der gesamte Geschehensablauf, insbesondere aber auch das eigene Verhalten C., auf das sich das Landgericht in diesem Zusammenhang bezogen hat, berücksichtigt wird.

Arglos in dem bei heimtückischer Begehungsweise vorausgesetzten Sinn ist das Tatopfer dann, wenn es weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem (nur) gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten (erheblichen) Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363, 365; 20, 301, 302; BGHR StGB § 211 II Heimtücke 7; BGH NJW 1980, 792; NStZ 1981, 387; StV 1985, 235). Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Ursächlich dafür, daß sich der Betroffene eines Angriffs versieht, kann schon sein, daß der Täter ihm in einer, wenn auch nur mit Worten geführten Auseinandersetzung in so offener Feindseligkeit entgegentritt, daß er Tätlichkeiten befürchtet (vgl. BGH NJW 1980, 792). Wie der Senat in seiner Entscheidung in BGHSt 33, 363 näher dargelegt hat, braucht dies jedoch nicht so zu sein; das Tatopfer kann trotz eines feindselig geführten verbalen Streits darauf vertrauen, daß es nicht zu einer körperlichen Attacke kommen werde. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles. Daß ein tätlicher Angriff in Rechnung gestellt worden ist, kann sich aber auch allein schon aus dem vorausgegangenen Verhalten des später Getöteten selbst ergeben. Hat er mit den Tätlichkeiten in einer Weise begonnen, daß er einen (durch Notwehr nicht gerechtfertigten) Angriff des Täters herausfordert, erscheint er - anders als bei bloßen Beschimpfungen (vgl. dazu BGHR StGB § 211 II Heimtücke 5) - in aller Regel selbst als Angreifer, der tätliche Gegenreaktionen des späteren Täters einkalkuliert, mag er sich auch in den Chancen, sie siegreich zu bestehen, verschätzen. In einem derartigen Fall fehlt es an der den Heimtückemord kennzeichnenden besonderen Gefährlichkeit der Tatbegehung und der daraus folgenden Erhöhung von Unrecht und Schuld, die der Mordtatbestand voraussetzt.

Ein solcher Sachverhalt ist hier gegeben. C. hatte die einleitende Bemerkung und das Auftreten des Angeklagten ihm gegenüber offenbar als derart feindselig empfunden, daß er seinerseits mit einer Ohrfeige reagierte, die - wie zu Gunsten des Angeklagten anzunehmen ist - so heftig war, daß sie eine Prellmarke hinterließ (UA S. 36). In der gegebenen Situation drängte sich aber angesichts der erkennbar hohen Erregung des Angeklagten auch aus der Sicht C.'s auf, daß dieser die Mißhandlung nicht hinnehmen, sondern trotz seines Alters und seiner körperlichen Unterlegenheit selbst zum Angriff übergehen werde. Dies gilt um so mehr, als die Tätlichkeit in einer von Feindseligkeiten und Streitigkeiten geprägten Beziehung geschah, in der es bereits - wenn auch nicht mit dem Angeklagten, so doch mit seiner Ehefrau - zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen war. Bei dieser Sachlage begegnet die Annahme des Landgerichts, C. sei beim tödlichen Angriff nicht mehr arglos gewesen, keinen durchgreifenden Bedenken. Dem steht unter den hier gegebenen Umständen auch nicht entgegen, daß C. bis zuletzt nicht bemerkt hatte, daß der Angeklagte ein Messer mit sich führte, und sich somit in der Gefährlichkeit des zu erwartenden Angriffs verschätzte. Das Tatopfer ist nicht erst dann nicht mehr ohne Arg, wenn es die lebensbedrohende Gefährlichkeit des bevorstehenden Angriffs richtig erfaßt und insbesondere von den vorgesehenen Waffen weiß. Dafür genügt vielmehr schon, daß es mit einem erheblichen Angriff gegen die körperliche Unversehrtheit rechnet.

b) Heimtückische Begehungsweise wäre allerdings zu bejahen gewesen, wenn C. vom Angeklagten nach einem wohl überlegten Plan mit Tötungsvorsatz in dem Sinne eine Falle gestellt worden wäre, daß er ihn bewußt zu Tätlichkeiten provoziert hätte, um in scheinbarer Abwehr zustechen zu können (vgl. BGHSt 22, 77; BGH NStZ 1984, 261 mit weiteren Nachweisen). In einem solchen Falle käme es nicht darauf an, wann der Getäuschte die Gefahr erkannte (vgl. Jähnke in LK StGB 10. Aufl. § 211 Rdn. 43). Diese Sachverhaltsmöglichkeit hat die Schwurgerichtskammer indes geprüft, jedoch nicht zu ihrer Überzeugung feststellen können (UA S. 54). Soweit sich die Beschwerdeführerin dagegen wendet und insbesondere beanstandet, daß das Landgericht sich nicht davon überzeugt habe, daß es der Angeklagte gewesen war, der die zum Garten führende Kellertür abgeschlossen hatte, oder daß er jedenfalls gewußt habe, daß dies seine Frau getan hatte, greift sie die tatrichterliche Beweiswürdigung vergeblich an. Die Beweiserwägungen des Tatrichters sind für das Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler überprüfbar, mithin darauf, ob sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind, gegen Denkgesetze oder gesichertes Erfahrungswissen verstoßen oder ob ihnen zu hohe Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung zugrunde liegen (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. u.a. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 mit Nachweisen). Solche sachlichen Mängel sind hier nicht festzustellen. Das Landgericht hat insoweit, als es um die Möglichkeit des unbemerkten Abschließens der Kellertür durch die Ehefrau des Angeklagten geht, nicht lediglich theoretischen Zweifeln nachgegeben, sondern eine angesichts der auf C. fixierten Erregung des Angeklagten durchaus konkrete Sachverhaltsmöglichkeit bedacht. Daß ein anderer, von der Staatsanwaltschaft für richtig gehaltener Geschehensablauf ebenfalls möglich ist, ja sogar näherliegend erscheinen mag, macht die dies ersichtlich bedenkende tatrichterliche Beweiswürdigung noch nicht rechtsfehlerhaft.

3. Das Vorliegen weiterer Mordmerkmale hat die Schwurgerichtskammer ebenfalls zu Recht verneint, so daß der Schuldspruch (nur) wegen Totschlags insgesamt keine den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufweist.

4. Auch die mit der Revision geltend gemachten Bedenken gegen die Strafzumessung sind unbegründet. Insbesondere trifft es nicht zu, daß das Landgericht die aus der Schwere der Tat folgenden strafschärfenden Gesichtspunkte zu Gunsten der Strafmilderungsgründe in einer dem Gebot gerechten Schuldausgleichs offensichtlich zuwiderlaufenden Weise vernachlässigt habe.

5. Schließlich ergibt die auf die Revision der Staatsanwaltschaft gemäß § 301 StPO auch zu Gunsten des Angeklagten vorzunehmende sachlichrechtliche Überprüfung keine den Angeklagten belastenden Rechtsfehler. Dazu ist im einzelnen lediglich folgendes zu bemerken:

a) Notwehr hat das Landgericht im Ergebnis jedenfalls deshalb zu Recht ausgeschlossen, weil das Zustechen mit dem Messer als Verteidigungshandlung nicht erforderlich war. Bei Zugrundelegung der Feststellungen war es dem Angeklagten möglich und für ihn auch erfolgversprechend, erwarteten weiteren Tätlichkeiten C. mit einer bloßen Drohung mit dem Messer zu begegnen.

b) Daß das Landgericht einen minder schweren Fall des Totschlags im Sinne des § 213 erster Halbsatz StGB verneint hat, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift deshalb nicht eingreift, weil die Tätlichkeit des C., wie das Landgericht angenommen hat, nicht "ohne Schuld" des Angeklagten geschah. Die Anwendung des § 213 erster Halbsatz StGB scheitert jedenfalls daran, daß der Angeklagte durch die Mißhandlung nicht auf der Stelle zur Tat "hingerissen" worden ist. Er hat sich von vornherein auf eine mögliche tätliche Auseinandersetzung mit C. eingestellt und wollte sie unter allen Umständen, auch unter Inkaufnahme eines für C. tödlichen Ausgangs, als Sieger bestehen. Bei dieser Sachlage fehlt es an dem gebotenen "motivationspsychologischen Zusammenhang" zwischen der Mißhandlung und der Tötungshandlung (vgl. Eser in Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 213 Rdn. 9 und 10; vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 14. November 1978 - 1 StR 439/78 und vom 25. November 1987 - 3 StR 479/87).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993067

NJW 1991, 1963

BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13

BGHR StGB § 213 Alt. 1 Hinreißen 2

BGHR StGB § 213 Alt. 1 hingerissen 2

BGHR StPO § 351 Hauptverhandlung 1

JR 1991, 380

NStZ 1991, 233

MDR 1991, 461

StV 1991, 563

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