Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 31.07.2006) |
Tenor
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 31. Juli 2006 auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 27. Oktober 2006 gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere – als Schwurgericht zuständige – Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.
Rz. 2
2. Dem Angeklagten ist nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da ihn – wie sein Verteidiger vorgetragen und glaubhaft gemacht hat – an der Fristversäumung kein (Mit-) Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO).
Rz. 3
3. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Der Strafausspruch hat jedoch keinen Bestand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Indes hält die Ablehnung eines sonst minder schweren Falles des Totschlags gemäß § 213, 2. Alt. StGB revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Im Rahmen der bei der Prüfung eines minder schweren Falles erforderlichen Gesamtbetrachtung sind alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGHSt 26, 97, 98 f.).
Die vom Schwurgericht vorgenommene Abwägung schuldmildernder und schulderhöhender Faktoren begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Schwurgericht hat einzelnen Umständen einen schulderhöhenden Charakter zugewiesen, obwohl dies vorliegend rechtlich anerkannten Strafzumessungsgrundsätzen zuwiderläuft:
Die Abwägung des Schwurgerichts (UA S. 42) erschöpft sich, soweit sie zu Lasten des Angeklagten geht, im Wesentlichen in einer bloßen Wiedergabe des Tathergangs. Dabei verstößt die Hervorhebung des Umstands, dass sich der Angeklagte trotz Rückzugsmöglichkeit überhaupt auf eine Konfrontation mit dem Geschädigten eingelassen hat, gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, denn diese „Konfrontation” ist ja gerade Grund und Gegenstand der Aburteilung. Soweit das Schwurgericht es für beachtlich hält, dass der Angeklagte dem Geschädigten in dem Bewusstsein entgegen gegangen ist, in der rechten Hand ein Messer zu halten, erschöpft sich dieser Umstand ebenfalls in einer nochmaligen Verwertung des tatbestandlichen Unrechts (vgl. Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 46 Rdn. 77). Im Übrigen wertet das Schwurgericht unzulässigerweise das Ausbleiben von Rücktrittsbemühungen zu Lasten des Angeklagten, indem es hervorhebt, der Angeklagte habe sich nicht weiter um den schwer verletzten Geschädigten gekümmert (BGH, Beschluss vom 25. September 2002 – 1 StR 347/02). Zudem hat das Schwurgericht zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich selbst in einen alkoholisierten Zustand versetzt hat. Abgesehen davon, dass eine nicht eigenverantwortliche Berauschung des Angeklagten ein strafmildernder Gesichtspunkt gewesen wäre oder unter bestimmten Voraussetzungen zur Einordnung des Angeklagten als strafloses Werkzeug geführt hätte, stellt eine Alkoholisierung für sich genommen jedenfalls keinen schulderhöhenden Umstand dar, zumal der Angeklagte nicht etwa im Hinblick auf die spätere Tatbegehung Alkohol zu sich genommen hat.
Das Schwurgericht stellt ferner wesentlich zu Lasten des Angeklagten darauf ab, der Angeklagte habe die Tat aus nichtigem Anlass begangen. Dies rechtfertigt die Besorgnis, das Schwurgericht habe die strafzumessungsrechtliche Bedeutung der zur Tatzeit zugunsten des Angeklagten objektiv gegebenen Notwehrlage verkannt. Insofern wäre vom Schwurgericht vielmehr zu berücksichtigen gewesen, dass bei einer Tötung im Grenzbereich der Notwehr (Tröndle/Fischer, 54. Aufl., § 213 Rdn. 13), insbesondere bei Überschreitung der Grenzen der Notwehr ohne Erreichen der Voraussetzungen des § 33 StGB (BGH, Beschluss vom 29. März 2000 – 2 StR 71/00), bereits allein aus diesem Grunde die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 213, 2. Alt. StGB in Betracht kommen kann und dieser Umstand gerade nicht ohne weiteres einen zu Lasten des Angeklagten wirkenden „nichtigen Tatanlass” darstellt”.
Rz. 4
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2552223 |
NStZ-RR 2007, 194 |
NJW-Spezial 2007, 330 |
StV 2007, 353 |
StraFo 2007, 248 |