Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachprüfung von Justizverwaltungsakten der Arbeitsgerichtsbarkeit. Zulässiger Rechtsweg

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen Justizverwaltungsakte aus der Arbeitsgerichtsbarkeit ist der Rechtsweg nach § 23 Abs. 1 EGGVG nicht eröffnet.

 

Normenkette

EGGVG § 23 Abs. 1; VwGO § 40 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart

 

Tenor

Der von der Antragstellerin zu den ordentlichen Gerichten beschrittene Rechtsweg ist unzulässig.

Die Sache wird an das Gericht des zulässigen Rechtsweges - das VGH Stuttgart - verwiesen.

 

Gründe

1. Die Antragstellerin führt mit ihrem Arbeitgeber eine rechtliche Auseinandersetzung, die die Gewährung einer Altersversorgung zum Gegenstand hat. In einem von einem anderen Arbeitnehmer angestrengten Parallelverfahren überreichte der Zeuge H. in der mündlichen Verhandlung vor dem LAG Baden-Württemberg dem Vorsitzenden eine mit "Betriebliche Rentenversorgung" überschriebene Urkunde, die von diesem zu den Akten genommen wurde. Später erklärte sich der Zeuge damit einverstanden, der Antragstellerin die Urkunde zur Beweisführung in ihrem eigenen Prozess zu überlassen. Bei Einsichtnahme in die Gerichtsakten des Parallelverfahrens stellte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin fest, dass die Urkunde nicht Bestandteil der Akten war. Sie war auch nachfolgend nicht mehr auffindbar. Die Antragstellerin begehrte daraufhin vom Präsidenten des LAG die Wiederherstellung der im Gerichtsbetrieb verloren gegangenen Urkunde. Mit Schreiben v. 27.12.2002 erklärte dieser, sofern es von der Urkunde kein Doppel gebe, scheide eine Wiederherstellung aus. Er werde aber weitere Nachforschungen nach dem Verbleib der Urkunde unternehmen und die Antragstellerin über deren Ergebnis unterrichten. Am 22.1.2003 teilte er der Antragstellerin abschließend mit, eine Wiederherstellung der Urkunde sei nicht möglich.

Mit einem gegen den Präsidenten des LAG gerichteten Antrag v. 14.2.2003 hat die Antragstellerin gem. § 23 EGGVG beim OLG Stuttgart beantragt, diesen zu verpflichten, die ihrem Inhalt nach näher beschriebene Urkunde wieder herzustellen und ihr auszuhändigen; hilfsweise hat sie Verweisung an das VGH Stuttgart beantragt.

2. Das OLG Stuttgart hält den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für nicht eröffnet und möchte die Sache an das zuständige VGH verweisen (§ 17a Abs. 2 GVG). Die Verweigerung der Wiederherstellung einer verloren gegangenen Urkunde, die Bestandteil der Akten eines abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahrens gewesen sei, stelle einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Arbeitsgerichtsbarkeit dar. Dessen Rechtmäßigkeit sei gem. § 40 Abs. 1 VwGO durch die Verwaltungsgerichte zu überprüfen. An einer eigenen Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg sieht sich das OLG durch eine abweichende Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG v. 26.9.1988 (NJW 1989, 110) gehindert. Es hat die Sache daher gem. § 29 Abs. 1 EGGVG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.

3. Die Vorlage ist zulässig. Ob in Fällen wie dem vorliegenden der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist, stellt eine von zwei Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilte Rechtsfrage dar, ohne deren Beantwortung das weitere Verfahren nicht geführt werden kann; sie ist in dem Beschluss des Schleswig-Holsteinischen OLG, von dem das OLG Stuttgart abweichen möchte, Grundlage der Entscheidung gewesen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.2.1998 - IV AR(VZ) 2/97, ZIP 1998, 961 unter II 1; v. 22.9.1993 - IV ARZ(VZ) 1/93, VersR 1994, 73; v. 8.11.1989 - IVa ARZ (VZ) 2/89, NJW 1990, 841 unter 3).

4. In der Sache tritt der Senat der Auffassung des vorlegenden OLG bei.

Für die Überprüfung des von der Antragstellerin beanstandeten Justizverwaltungsaktes ist der Rechtsweg nach § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG nicht eröffnet. Gemäß der genannten Vorschrift entscheiden über die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege getroffen werden, auf Antrag die ordentlichen Gerichte. Dieser besonderen Rechtswegregelung liegt die Annahme zu Grunde, dass die ordentlichen Gerichte den Verwaltungsmaßnahmen in den aufgeführten Gebieten sachlich näher stehen als die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BVerwG BVerwGE 47, 255 [260]; v. 14.4.1988 - 3 Cs 65/85, NStZ 1988, 513 unter 2 a) und über die zur Nachprüfung justizmäßiger Verwaltungsakte erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Erkenntnisse und Erfahrungen verfügen. Die Bestimmung ist als Ausnahme zu § 40 Abs. 1 VwGO eng auszulegen (BVerwG BVerwGE 40, 112 [115]; Kissel, GVG, 3. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 6; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 2; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 1; Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl, FGG, 15. Aufl., Vorb. §§ 19-30 Rz. 38; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 61. Aufl. § 23 EGGVG Rz. 2; Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 2; Kopp/Schänke, VwGO, 13. Aufl., § 179 Rz. 1; Oetker, MDR 1989, 600 [601]).

Die Voraussetzungen des § 23 EGGVG liegen hier nicht vor. Die Bestimmung bezieht sich auf Justizverwaltungsakte, die innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergehen (Kissel, GVG, 3. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 12; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 1; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 299 Rz. 36), denn nur bei diesen ist die vom Gesetz vorausgesetzte Sachnähe der zur Überprüfung berufenen ordentlichen Gerichte zu den Angelegenheiten der Justizverwaltung gegeben (Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 2). Arbeitsgerichte sind nicht Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Art. 95 I GG; § 12 GVG). Nach der durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens v. 17.12.1990 (BGBl I 1990, 2809) bewirkten Neufassung der §§ 17 ff. GVG, 48 ArbGG ist das Verhältnis zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und Arbeitsgerichtsbarkeit zudem kein solches der sachlichen Zuständigkeit mehr, sondern der Zulässigkeit des Rechtsweges (BGH, Beschl. v. 19.12.1996 - III ZB 105/96, MDR 1997, 386 = NJW 1998, 909 unter II 2). Auch das spricht dafür, von den Justizbehörden der Arbeitsgerichtsbarkeit getroffene Maßnahmen nicht der Überprüfung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterstellen, es vielmehr bei der allgemeinen Zuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit gem. § 40 Abs. 1 VwGO zu belassen, zumal die Rechtmäßigkeitskontrolle von Justizverwaltungsakten den ordentlichen Gerichten - wie erwähnt - nur ausnahmsweise obliegen soll.

Die von der Antragstellerin angestrebte Verpflichtung des Präsidenten des LAG, die in Verstoß geratene Urkunde wieder herzustellen, gehört auch zu keinem der Rechtsgebiete, die in § 23 Abs. 1 EGGVG aufgeführt werden. Insbesondere wird das Gebiet des zivilen Prozessrechts nicht berührt. Die besonderen Regelungen des in der Vorschrift nicht bezeichneten Arbeitsgerichtsgesetzes gehen den allgemeinen Bestimmungen der Zivilprozessordnung vor. Mit Recht ist das vorlegende OLG davon ausgegangen, dass die in § 46 Abs. 2 ArbGG angeordnete entsprechende Anwendung von Vorschriften der Zivilprozessordnung für sich allein das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht zu einem Zivilprozess ausgestaltet (Oetker, MDR 1989, 600; Willikonsky, BB 1987, 2013 [2014]). Ohnehin hat eine solche Anordnung nicht ohne weiteres die entsprechende Geltung auch der §§ 23 ff. EGGVG zur Folge; es fehlt insoweit an einer ausdrücklichen anderweitigen Begründung der Rechtswegzuständigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG BVerwGE 40, 112 [114 f.]).

Das Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG kommt nach alledem - entgegen der vom Schleswig-Holsteinischen OLG eingenommenen Auffassung - für Justizverwaltungsakte, die sich auf einen arbeitsgerichtlichen, nicht aber auf einen zivilprozessualen Rechtsstreit beziehen, nicht in Betracht (vgl. Willikonksy, BB 1987, 2013 [2014]; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 1; Kissel, GVG, 3. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 12, § 13 GVG Rz. 141; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 299 Rz. 36; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 61. Aufl. § 23 EGGVG Rz. 2; Wolf in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 2; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 23 EGGVG Rz. 2).

5. Gemäß § 29 Abs. 1 S. 3 EGGVG entscheidet der BGH anstelle des OLG. Der Senat hatte daher auszusprechen, dass der von der Antragstellerin beschrittene Rechtsweg unzulässig ist. Zugleich hatte er von Amts wegen, ohne dass es des Hilfsantrages der Antragstellerin bedurft hätte, den Rechtsstreit an das gem. § 52 Nr. 3 S. 2, 5 VwGO zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen (§ 17a Abs. 2 S. 2, 4 GVG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI965165

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