Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

 

Tatbestand

I.

Rz. 1

Der Beschuldigte ist aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020 (2 BGs 188/20) am 15. April 2020 festgenommen worden und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Rz. 2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich mitgliedschaftlich an der ausländischen terroristischen Vereinigung IS beteiligt, indem er zusammen mit sechs anderen Beschuldigten ebenfalls tadschikischer Herkunft in Deutschland eine Zelle gegründet habe, um im Namen des IS im Inland und/oder Ausland den bewaffneten Kampf gegen „Ungläubige” aufzunehmen und in Deutschland oder Tadschikistan Anschläge, auch unter Einsatz von Schusswaffen und Sprengstoff, zu begehen.

Rz. 3

Bereits am 15. März 2019 war der Beschuldigte wegen des Vorwurfs eines Waffendelikts festgenommen worden und hatte sich auf der Grundlage eines Haftbefehls des Amtsgerichts Neuss vom 16. März 2019 in der Folge in Haft befunden. Danach sei er dringend verdächtig, am 14. März 2019 nach Absprache mit dem gesondert verfolgten B. in dessen Wohnung eine vollautomatische Selbstladewaffe mit einer Magazinkapazität von 14 Schuss erworben zu haben. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten sei zudem eine weitere Schusswaffe nebst Munition aufgefunden worden. Am 9. August 2019 wurde dieser Haftbefehl neu gefasst und um den dringenden Tatverdacht der Verabredung eines Mordes erweitert. Inhalt dieses Tatvorwurfs war der Verdacht einer am 14. März 2019 mit einem gesondert Verfolgten getroffenen Verabredung, den in N. lebenden Islamkritiker D. zu ermorden. Mit Beschluss vom 9. Oktober 2019 (III-1 Ws 222/19) hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den Haftbefehl vom 9. August 2019 aufgehoben, weil weder hinsichtlich des Erwerbs einer Schusswaffe noch hinsichtlich der Verabredung eines Verbrechens ein dringender Tatverdacht bestehe und der Vorwurf des Besitzes einer Schusswaffe die Aufrechterhaltung des Haftbefehls über sechs Monate hinaus nicht rechtfertige. Der Beschuldigte ist noch am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Rz. 4

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat über den Generalbundesanwalt am 15. Oktober 2020 die Akten dem Senat zur Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO vorgelegt. Dieser beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020 anzuordnen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Rz. 5

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

Rz. 6

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020 vorgeworfenen Straftat dringend verdächtig.

Rz. 7

a) Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist insoweit im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Rz. 8

aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham” – die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina – umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat” unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak sowie das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam” begreift; die Tötung solcher „Feinde” oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.

Rz. 9

Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats” am 29. Juni 2014 aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien” (ISIG) in „Islamischer Staat” (IS) umbenannte – wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm –, hatte seit 2010 bis zu seiner Tötung im Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Inzwischen wurde ein Nachfolger ernannt. Bei der Ausrufung des Kalifats war al-Baghdadi von seinem Sprecher zum „Kalifen” erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem „Kalifen” unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister” als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister” und ein „Propagandaminister”. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Shura-Räte”. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung „Al-Furqan” produziert und über die Medienstelle „al-l'tisam” verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel”, einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah – Rasul – Muhammad” auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die – zeitweilig mehreren tausend – Kämpfer sind dem „Kriegsminister” unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

Rz. 10

Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch in Gegnerschaft zum IS stehender Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So übernahm er auch für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin, die Verantwortung.

Rz. 11

bb) Der aus Tadschikistan stammende, zur Tatzeit in Deutschland lebende Beschuldigte schloss sich Anfang 2019 mit ebenfalls den Ideen des IS nahestehenden Landsleuten, unter anderem dem gesondert verfolgten B. sowie den Mitbeschuldigten, zusammen, um gemeinsam im Sinne der Terrororganisation tätig zu werden. Jedenfalls seit dem 14. Januar 2019 stand B. mit einem – inzwischen identifizierten – Mitglied des IS im syrischen Kampfgebiet in Verbindung, mit dem er bereits am 16. Januar 2019 über den Messenger-Dienst „Telegram” besprach, ob die Gruppe den Kampf des IS eher mit dem Transfer finanzieller Mittel oder mit Anschlägen in Deutschland oder Tadschikistan unterstützen solle, was beides von Seiten des IS begrüßt wurde. Hierüber informierte der gesondert Verfolgte unverzüglich die übrigen Beteiligten, darunter auch den Beschuldigten. In der Folge gewannen in den gruppeninternen Erörterungen, die vorwiegend in dem für die konspirative und abgeschottete Kommunikation am 1. Februar 2019 von einem Mitbeschuldigten beim Messenger-Dienst „Zello” eingerichteten Gruppenchat stattfanden, die Überlegungen, zur Umsetzung der Ziele des IS in Deutschland „Jihad” zu machen, gegenüber der zunächst erörterten finanziellen Unterstützung der Kämpfer in Syrien zunehmend an Raum. Letztgenannte wurde aber nicht aufgegeben. Die Überlegungen der Beteiligten wurden durch Instruktionen des syrischen Gesprächspartners des gesondert verfolgten B. begleitet, der unter anderem den Rat erteilte, die Gruppe solle sich einen Anführer suchen, dessen Befehlsgewalt unterwerfen und sich somit in die Befehlsstrukturen des IS einordnen. An der Chatkommunikation beim Messenger-Dienst „Zello” beteiligte sich auch ein inzwischen identifiziertes IS-Mitglied, das in Afghanistan eine Führungsposition innehatte und das die Beschuldigten in ihrer radikal-islamistischen Überzeugung und jihadistischer Motivation bestärkte sowie zur Einhaltung der Befehlsketten des IS, insbesondere auch zur Bestimmung eines Anführers der Zelle, anhielt.

Rz. 12

In Umsetzung des Vorhabens, in Deutschland Anschläge zu begehen, um die Ziele des IS zu unterstützen und seine Struktur zu stärken, lud der gesondert verfolgte B. zur Vorbereitung noch nicht näher konkretisierter Aktionen über einen „Telegram”-Bot Rezepturen zur Herstellung von Sprengstoffen aus handelsüblichen und frei zugänglichen Materialien auf sein Handy. Der Beschuldigte versuchte in der Folge, die hierfür notwendigen Vorrichtungen, Bauteile und Stoffe zu beschaffen und zu testen. Außerdem sammelte er Informationen über die Teilnahme an Kursen im Drachen- und Gleitschirmfliegen, um mögliche sicherheitskontrollierte Anschlagsziele besser erreichen zu können. Darüber hinaus plante die Gruppe einen Anschlag mit einer Schusswaffe auf einen in der Öffentlichkeit bekannten Islamkritiker mit dem Ziel, diesen zu töten. Mit der Tat sollte der Betroffene wegen islamkritischer Äußerungen bestraft werden. Gleichzeitig forderte der Ansprechpartner des B. in Syrien die Aufnahme eines Videos von dem Geschehen, um damit im Internet Propaganda für den IS und seine Ziele zu betreiben. Dem Beschuldigten kam die Aufgabe zu, den Islamkritiker zu observieren, was er jedenfalls am 14. Mai 2019 auch tat. Am gleichen Tag übernahm er in der Wohnung des gesondert verfolgten B. eine Schusswaffe. In diesem Zusammenhang wurden der Beschuldigte und B. festgenommen sowie die Waffe sichergestellt.

Rz. 13

b) Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) hinsichtlich der Tatvorwürfe beruht auf Folgendem:

Rz. 14

aa) Betreffend die ausländische terroristische Vereinigung IS folgt er aus mehreren Gutachten des Sachverständigen … S. sowie Auswerteberichten des Bundeskriminalamts.

Rz. 15

bb) Der gesondert verfolgte B. hat in seiner polizeilichen Vernehmung vom 18. und 20. Dezember 2019 eingeräumt, mit dem Beschuldigten und anderen Mitbeschuldigten eine von der Ideologie des IS getragene Gruppe gebildet zu haben, die sich später insbesondere in einer Chatgruppe des Messenger-Dienstes „Zello” über finanzielle Hilfen für den bewaffneten Kampf und die eigene Teilnahme am Jihad austauschte sowie durch einen sich in Afghanistan aufhaltenden Chatteilnehmer unterrichten ließ. Dabei hat der gesondert Verfolgte die Teilnehmer der Gruppe – darunter auch den Beschuldigten – teilweise identifiziert. Diese Identifizierung wird jeweils durch eine Reihe von Beweisanzeichen bestätigt. Dass die Beschuldigten einschließlich des gesondert Verfolgten als eine Zelle agierten, die sich in die Strukturen des IS eingliederte, um in Deutschland finanzielle Mittel zu generieren und Anschläge zu verüben, ergibt sich aus einer Gesamtschau des auf den Mobiltelefonen der Beteiligten, insbesondere dem des gesondert verfolgten B., gesichteten Chatverkehrs bei den Messenger-Diensten „Telegram” und „Zello” sowie der übrigen polizeilichen Ermittlungen, die die Identifizierung einiger Chatpartner in Syrien und Afghanistan zum Gegenstand haben und die Einbindung der Gruppe in die Strukturen und Planungen des IS zu belegen geeignet sind. Diese belegt auch die Aktivitäten einiger Gruppenmitglieder, unter anderem zur Vorbereitung möglicher Sprengstoffanschläge. Hinsichtlich der Anschlagspläne auf den Islamkritiker und den geplanten Schusswaffeneinsatz folgt der dringende Verdacht zudem aus den Erkenntnissen einer zum damaligen Zeitpunkt gegen den Beschuldigten angeordneten Telekommunikationsüberwachung. Die Schusswaffe konnte bei der Festnahme des gesondert Verfolgten und des Beschuldigten sichergestellt werden.

Rz. 16

c) Danach hat sich der Beschuldigte mit den im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020 beschriebenen Tathandlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht.

Rz. 17

aa) Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Dafür reicht allein die Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch besonders intensiv sein, nicht aus; denn ein Außenstehender wird nicht schon durch die Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Auch wenn die Mitgliedschaft in einer Vereinigung auf der Grundlage der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 StGB nicht erfordert, dass sich der Täter in das „Verbandsleben” der Organisation integriert und sich deren Willen unterordnet, so setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung dennoch eine gewisse, einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Erforderlich ist, dass er eine organisationsbezogene Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung von innen und nicht nur von außen her entfaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018 – StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207).

Rz. 18

Das Erfordernis einer Eingliederung des Täters in die Organisation führt auch dazu, dass die Frage, ob ein Täter, der in der Bundesrepublik Deutschland lebt, sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt, regelmäßig bereits deshalb besonderer Prüfung bedarf, weil er sich nicht im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation aufhält; dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Täter nie an einem Ort befunden hat, an dem die Vereinigungsstrukturen bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 128).

Rz. 19

bb) Gemessen daran ist der dringende Tatverdacht einer mitgliedschaftlichen Beteiligung des Beschuldigten am IS gegeben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass er – zusammen mit den anderen Mitgliedern der Gruppe – den IS mit den in den Chatgruppen bei den Messenger-Diensten „Zello” und „Telegram” erörterten und teilweise auch schon durchgeführten Aktivitäten nicht nur von außen unterstützen wollte, sondern sich in die Organisation einordnete. Der Beschuldigte war Mitglied der von dem gesondert verfolgten B. zusammengeführten Gruppierung, der seinem als IS-Mitglied identifizierten Ansprechpartner in Syrien angeboten hatte, dass die „kleine Gemeinschaft” in Deutschland Aktionen für die Terrororganisation erbringen wolle, und in der Folge von diesem entsprechende Ratschläge und Anweisungen entgegennahm, die er an die Gruppe weiterleitete. Zudem unterwarf der Beschuldigte selbst sich im Gruppenchat der Anleitung des von Afghanistan aus agierenden Mitglieds des IS. Indem sich somit die gesamte Zelle der Beschuldigten und des gesondert verfolgten B. den Ratschlägen und der Befehlsgewalt führender IS-Mitglieder unterstellte, um im Sinne der Vereinigung tätig zu werden, gliederten sich ihre Mitglieder in die Strukturen der Vereinigung ein. Die Begleitung der Zellenaktivitäten durch hochrangige IS-Mitglieder – teilweise sogar durch Teilnahme am Gruppenchat – spricht gegen einen nur einseitigen Anschluss an den IS.

Rz. 20

Unter den gegebenen Umständen steht der Mitgliedschaft des Beschuldigten nicht entgegen, dass die Ermittlungen bisher seinen förmlichen Beitritt zu der Organisation nicht ergeben haben. Ebenso wenig spricht gegen eine mitgliedschaftliche Beteiligung an der ausländischen terroristischen Organisation IS, dass der Beschuldigte selbst sich nie im Kampfgebiet des IS aufhielt. Die Kontaktperson des gesondert verfolgten B. hatte auf entsprechende Anfrage den Rat erteilt, den Jihad „in der Gegend, in der Ihr Euch befindet”, zu machen. Mithin lag die den Beschuldigten vom IS zugewiesene Rolle gerade darin, in Deutschland Aktivitäten für die Vereinigung zu entfalten.

Rz. 21

Da die Eingliederung des Beschuldigten in die Strukturen des IS bereits im Januar 2019 begann, sind seine Beschaffungsversuche hinsichtlich der für Sprengstoffanschläge benötigten Bauteile und Stoffe sowie von Informationen über die Teilnahmebedingungen an Kursen im Drachen- und Gleitschirmfliegen, um mögliche sicherheitskontrollierte Anschlagsziele erreichen zu können, als Beteiligungshandlungen an der terroristischen Vereinigung IS zu werten. Darüber hinaus observierte der Beschuldigte den Islamkritiker, dessen Tötung die Gruppe plante, und kümmerte sich im Zusammenwirken mit dem gesondert Verfolgten darum, eine Schusswaffe zu besorgen.

Rz. 22

d) Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt unbeschadet der Vorschrift des § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 1 und 4 StGB (zum Strafanwendungsrecht im Einzelnen s. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – AK 52/16, juris Rn. 33 ff.) schon daraus, dass der Beschuldigte die Tat in Deutschland beging.

Rz. 23

e) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von bereits begangenen und künftigen Taten im Zusammenhang mit der sich als „Islamischer Staat” (IS) bezeichnenden ausländischen terroristischen Vereinigung liegt – als Neufassung der bisherigen Verfolgungsermächtigung – seit dem 13. Oktober 2015 vor.

Rz. 24

2. Es bestehen die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und darüber hinaus der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Er ist tadschikischer Staatsangehöriger und verfügt über zahlreiche Beziehungen ins Ausland. Zwar ist er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Auch besitzen seine beiden Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit. Doch ist er beruflich nicht eingebunden. Über das Bestehen sonstiger sozialer Kontakte in Deutschland ist nichts bekannt. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Beschuldigte sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht – gegebenenfalls in Begleitung seiner Familie – entziehen wird. Danach liegen – erst recht – Umstände vor, die die Gefahr begründen, dass ohne Inhaftierung des Beschuldigten zumindest die alsbaldige Ahndung der Tat gefährdet sein könnte (zur gebotenen restriktiven Handhabung des § 112 Abs. 3 StPO vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN). Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) ist unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.

Rz. 25

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.

Rz. 26

a) Der Beschuldigte befand sich zwar bereits nach vorläufiger Festnahme am 15. März 2019 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Neuss vom 16. März 2019, erweitert durch den Haftbefehl desselben Gerichts vom 9. August 2019, bis zur Aufhebung des Haftbefehls durch das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 9. Oktober 2019 in Untersuchungshaft. Insoweit war ihm vorgeworfen worden, am 14. März 2019 im Zusammenwirken mit dem gesondert verfolgten B. in dessen Wohnung von einem Dritten eine vollautomatische Selbstladewaffe erworben und mit einem weiteren gesondert Verfolgten verabredet zu haben, den in N. lebenden Islamkritiker D. zu ermorden. Die beiden den damaligen Haftbefehlen zugrundeliegenden Vorwürfe sind – als Akte der Beteiligung an der terroristischen Vereinigung IS – auch Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020. Gleichwohl ist die Sechsmonatsfrist im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO erst am 14. Oktober 2020 abgelaufen. Die vom 15. März 2019 bis zum 9. Oktober 2019 vollzogene Haft ist auf diese Frist nicht anzurechnen. Denn der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist um eine neue Tat jedenfalls erweitert worden. Im Einzelnen:

Rz. 27

aa) Gemäß § 121 Abs. 1 StPO darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat vor dem Erlass eines Urteils nur unter besonderen Voraussetzungen länger als sechs Monate aufrechterhalten werden. Dabei erfasst der Begriff „derselben Tat” alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können. Wird ein neuer Haftbefehl lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt waren, beginnt keine neue Sechsmonatsfrist zu laufen. Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordenen Tatvorwürfe für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 7; vom 22. Juli 2020 – AK 16/20, juris Rn. 27 mwN).

Rz. 28

bb) Nach diesen Maßstäben hat hier der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 9. April 2020 eine neue Sechsmonatsfrist eröffnet.

Rz. 29

Dieser Haftbefehl ist wegen eines – weiteren – selbständigen Tatvorwurfs ergangen, der nicht Gegenstand der Haftbefehle des Amtsgerichts Neuss vom 16. März 2019 und 9. August 2019 war. Über die Gegenstände dieser Haftbefehle hinaus ist der Beschuldigte – wie dargelegt – der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der außereuropäischen terroristischen Vereinigung IS dringend verdächtig. Auch wenn die dem Beschuldigten in den Haftbefehlen vom 16. März 2019 und 9. August 2019 vorgeworfenen Taten im Lichte der seither von den Ermittlungen hervorgebrachten Erkenntnisse als Betätigungen für die terroristische Organisation zu werten sind, an der sich mitgliedschaftlich beteiligt zu haben dem Beschuldigten mit Haftbefehl vom 9. April 2020 vorgeworfen wird, bilden sie mit diesem Geschehen keine materiellrechtlich einheitliche Tat. Vielmehr stellen sie im Verhältnis zu der dem Beschuldigten nunmehr angelasteten Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eigenständige Straftaten dar, da sie in zwei tatmehrheitlichen Fällen neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung jeweils tateinheitlich weitere Straftatbestände erfüllten. Der dem Beschuldigten vorgeworfene Erwerb einer Schusswaffe am 14. März 2019 verwirklichte bereits für sich den Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffG. Ebenso kommt dem erst am 9. August 2019 in den Haftbefehl aufgenommenen Vorwurf der Verabredung zu einem Mord (§§ 211, 30 Abs. 2 StGB) ein eigener strafrechtlicher Unrechtsgehalt zu.

Rz. 30

Dies gilt auch, soweit diese Taten ihrerseits mit der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit stehen. Denn der Tatbestand der mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs ist bereits ohne Berücksichtigung der beiden für sich strafbaren Handlungen erfüllt. Diese Tätigkeiten unterfallen mithin nicht der tatbestandlichen Handlungseinheit sämtlicher weiterer für sich genommen nicht strafbarer Betätigungsakte für die Vereinigung, sondern treten – idealkonkurrierend mit der eigenständigen, isolierten Erfüllung des § 129a Abs. 1 StGB – in Tatmehrheit zu dieser (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308 Rn. 23, 39). Es handelt sich insoweit auch nach natürlicher Auffassung nicht um einheitliche Lebensvorgänge, so dass der Grundsatz Gültigkeit beansprucht, wonach sachlich-rechtlich selbständige Taten auch prozessual selbständig sind (BGH, aaO, juris Rn. 47, in BGHSt 60, 308 ff. nicht abgedruckt). Nichts anderes gilt in der Frage, ob es sich bei den in den ursprünglichen Haftbefehlen aufgeführten Taten und der dem Haftbefehl vom 9. April 2020 zugrundeliegenden Tat um dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – AK 8/20, juris Rn. 33 f.).

Rz. 31

Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des mit Haftbefehl vom 9. April 2020 neu hinzugetretenen Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung am IS hat sich zudem erst nach Erlass des ursprünglichen Haftbefehls und erst zu einem Zeitpunkt ergeben, zu dem sich der Beschuldigte bereits wieder auf freiem Fuß befunden hat (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 22. Juli 2020 – AK 16/20, juris Rn. 32 ff.).

Rz. 32

b) Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem in Haftsachen allgemein geltenden Beschleunigungsgebot besondere Bedeutung zukommt, falls sich – wie hier – die Haftdauer insgesamt verlängert, weil ein zu dem Gegenstand eines früheren Haftbefehls hinzutretender Tatverdacht den Erlass eines neuen Tatverdachts rechtfertigt, ist das Verfahren insgesamt mit der notwendigen Beschleunigung durchgeführt worden.

Rz. 33

Anlässlich der Festnahme des Beschuldigten und der Mitbeschuldigten ist eine Vielzahl von Datenträgern sichergestellt worden. Die darauf aufgefundenen Daten haben – zum Teil aufwendig – gespiegelt und ausgewertet werden müssen. Die Sichtung ist zusätzlich dadurch erschwert worden, dass die sichergestellten Konversationen durchweg in tadschikischer oder russischer Sprache geführt wurden und der Übersetzung bedurft haben. An dieser Untersuchung, die sich zunächst auf die den Beschuldigten zuzuordnenden Asservate bezogen hat, haben sich neben den ursprünglich befassten Dienststellen in Nordrhein-Westfalen auch Beamte des Bundeskriminalamtes beteiligt. Hinsichtlich der den Beschuldigten betreffenden Datenträger ist die Auswertung, die den Verdacht gegen den Beschuldigten festigen konnte, zwischenzeitlich abgeschlossen. Die gleichzeitig eingeleiteten Finanzermittlungen sind noch nicht vollständig beendet. Im Laufe der Ermittlungen sind zudem über 50 Personen aus dem Umfeld der Beschuldigten als Zeugen vernommen worden. Schließlich sind mehrere Rechtshilfeersuchen veranlasst worden, die bislang nicht erledigt sind. Der Generalbundesanwalt hat mitgeteilt, dass die Fertigung der Anklageschrift nach der zeitnah anstehenden Beendigung der Auswertung aller die Beschuldigten betreffenden Datenträger sowie dem Abschluss der Finanzermittlungen geplant ist. Mit der Erhebung der öffentlichen Klage ist somit noch in diesem Jahr, spätestens aber im Januar des kommenden Jahres zu rechnen.

Rz. 34

4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

 

Unterschriften

Schäfer, Spaniol, Berg

 

Fundstellen

Dokument-Index HI14264266

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