Entscheidungsstichwort (Thema)
Wert des Beschwerdegegenstandes für Berufung. Wert der Beschwer bei Beseitigung einer Eigentumsstörung
Leitsatz (redaktionell)
Zur Ermittlung des Beschwerdegegenstandwerts für das Berufungsverfahren nach Verurteilung zur Beseitigung einer Eigentumsstörung sind neben den Beseitigungskosten auch die weiteren Nachteile anzusetzen, die dem Verurteilten bei Befolgung der Verurteilung drohen. Ein solcher Nachteil ist bei einer durch die Verurteilung entstehenden Duldungspflicht, die über die Wiederherstellung des früheren Zustands hinausgeht, anzunehmen.
Normenkette
ZPO § 3
Verfahrensgang
LG Mühlhausen (Beschluss vom 12.07.2004; Aktenzeichen 2 S 163/04) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Mühlhausen v. 12.7.2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 1.500 EUR.
Gründe
I.
Die Parteien sind Nachbarn. Der Hof auf dem Grundstück der Kläger grenzt an die bebaute Seite des Grundstücks der Beklagten. Einen durch eine zurückgesetzte Bebauung auf dem Grundstück der Beklagten entstandenen Streifen von 35 cm Breite nutzen die Kläger für ihren Hof. Im Jahre 1996 erneuerten sie das Hoftor und setzten den Torpfosten des neuen Schwenktores unmittelbar an die Wand des Hauses der Beklagten auf deren Grundstück. Eine hiergegen gerichtete Klage der Beklagten wurde durch rechtskräftiges Urteil des LG Mühlhausen v. 29.1.1998 abgewiesen.
Im Jahre 2000 entschlossen sich die Beklagten, die zum Grundstück der Kläger zugewandte Kellerwand ihres Hauses mit Dränmatten abzudichten, die durch eine Betonmauer an die Kellerwand ihres Hause gedrückt werden sollten. Da dazu auch der Torpfosten entfernt werden musste, erklärten sich die Kläger hiermit nur unter der Bedingung einverstanden, dass die Beklagten 3.000 DM zur Wiederherstellung des Torpfostens hinterlegten, was auch geschah. Die Beklagten lehnten später eine Wiederherstellung des Torpfostens an der ursprünglichen Stelle ab, weil sie dann die von ihnen vorgesehenen Dränmatten nicht anbringen könnten. Dagegen und gegen die angebliche Entfernung eines Grenzsteins richtet sich die Klage, soweit sie noch anhängig ist.
Das AG hat die Beklagten unter Abweisung im Übrigen verurteilt, den Torpfosten ohne bauliche Veränderungen am Tor wieder herzustellen. Den Streitwert hat es auf 3.500 EUR festgesetzt. Die Berufung der Beklagten hat das LG als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, weil die Berufungssumme von 600 EUR nicht überschritten sei und das AG die Berufung nicht zugelassen habe. Für die Berufungssumme sei die Beschwer der Beklagten als Berufungsführer maßgeblich. Hierfür seien allein die Kosten der Wiederherstellung des Torpfostens anzusetzen, da eine weiter gehende Verurteilung nicht erfolgt sei. Diese betrügen insgesamt 587,16 EUR. Das ergebe sich aus einer von den Beklagten zur Darstellung der Kosten für die Anlegung der Dränmatten eingereichten Rechnung. Diese enthalte auch Maßnahmen zum Wiedereinsetzen des Torpfostens. Der dort angesetzte Betrag von 642,40 EUR sei um 65,24 EUR zu kürzen, weil er auch andere Arbeiten umfasst habe.
III.
Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des AG H. v. 17.2.2004 ist zulässig.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Beschwerdewert verfehlen das eigentliche Ziel der Berufung der Beklagten. Damit hat das Berufungsgericht den Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, BVerfG v. 2.12.1987 - 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 [284] = MDR 1988, 464; v. 5.8.2002 - 2 BvR 1108/02, NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (BGH v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [227] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207; Beschl. v. 20.2.2003 - V ZB 60/02, MDR 2003, 766 = CR 2003, 686 = BGHReport 2003, 632 = NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30.4.2003 - V ZB 71/02, MDR 2003, 947 = BGHReport 2003, 900 = NJW 2003, 2388; Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, BGHReport 2004, 266 = MDR 2004, 408 = NJW 2004, 367 [368]).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
a) Bei der Prüfung, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes den für eine Wertberufung erforderlichen Betrag von 600 EUR übersteigt, ist das Berufungsgericht nicht an eine (höhere) Streitwertfestsetzung durch das erstinstanzliche Gericht gebunden. Zwar kann das AG eine Berufung auch unterhalb von 600 EUR zulassen. Das ändert aber nichts daran, dass eine Berufung ohne eine solche Zulassung nur bei Übersteigen der Berufungssumme von 600 EUR zulässig ist (BGH, Beschl. v. 9.7.2004 - V ZB 6/04, BGHReport 2004, 1643 [1644]).
b) Der Wert des von den Beklagten mit ihrer Berufung verfolgten Antrags, ihre Verurteilung zur Wiederherstellung des Torpfostens insoweit aufzuheben, als das Tor dabei nicht verändert werden dürfe, war von dem Berufungsgericht gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen. Eine solche Festsetzung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BGH, Beschl. v. 9.7.2004 - V ZB 6/04, BGHReport 2004, 1643 [1644]); zur Revision auch BGH, Urt. v. 24.4.1998 - V ZR 225/97, MDR 1998, 982 = NJW 1998, 2368).
c) Ein solcher Ermessensfehler liegt hier vor.
aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass bei der Berechnung der Beschwer der Beklagten die Ersatzbeschaffungskosten für die ihnen aufgegebene Wiederherstellung des Tores anzusetzen sind. Diese hat es auch ermessensfehlerfrei ermittelt. Auf seine Frage nach ihrer Beschwer haben die Beklagten die Rechnung der Fa.A. vorgelegt. Diese hatte zwar in erster Linie den Zweck, die Kosten der Anbringung der Dränmatten zu belegen, an der sich die Beklagten jetzt gehindert sehen. Sie konnte aber gleichwohl eine taugliche Grundlage für die Ermittlung der Ersatzbeschaffungskosten sein. Denn zu den der Fa.A. in Auftrag zu gebenden Arbeiten gehörte auch die Wiederherstellung des Torpfostens. Das Berufungsgericht hat die dafür anfallenden Kosten auf Grund der insoweit einschlägigen Position der Rechnung geschätzt und um einen geringfügigen Betrag gekürzt, da die dort angegebenen Baggerarbeiten auch anderen Zwecken dienten. Das ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu beanstanden. Dagegen spricht auch nicht, dass die Kläger eine Sicherheit von 3.000 DM verlangt haben. Denn diese diente der Absicherung aller Schäden, z.B. auch der Nachteile durch eine Absenkung der Hofpflasterung auf dem Hofgrund der Kläger. Auch zeigt die Zwischenrechnung der Fa.A. für den ausgeführten Teil der Arbeiten an den Dränmatten, dass der von dem Berufungsgericht angesetzte Betrag nicht unrealistisch ist. Diese Rechnung beläuft sich über 1.587,75 DM und erfasst mehr Arbeiten als die Wiederherstellung des Pfostens verlangt.
bb) Ermessensfehlerhaft ist es aber, den von den Beklagten mit ihrer Berufung geltend gemachten Nachteil, nämlich die Einschränkung in der Nutzung ihres Eigentums zur Sanierung ihres Hauses, unberücksichtigt zu lassen.
(1) Der Senat hat entschieden, dass die Beschwer des zur Beseitigung einer Eigentumsstörung Verurteilten nicht nach dem Interesse des Klägers an der Beseitigung, sondern eigenständig nach den Nachteilen zu berechnen ist, die dem Verurteilten bei Befolgung der Verurteilung drohen (BGH v. 10.12.1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313 [318] = MDR 1994, 839). Seine Beschwer ist auch nicht durch das Interesse des Klägers begrenzt (BGH v. 10.12.1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313 [315] = MDR 1994, 839; Schwerdtfeger in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 3 Rz. 45; Musielak/Heinrich, ZPO, 4. Aufl., § 3 Rz. 34; a.A. Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 3 Rz. 47, Stichwort Abwehrklage). Daran hält der Senat fest, weil die Waffengleichheit der Parteien im Verfahren anders nicht zu gewährleisten ist. Der Nachteil einer Verurteilung besteht für den Verurteilten in aller Regel darin, dass ihm für den Fall der Nichtbefolgung Ersatzbeschaffungskosten drohen. Der Nachteil des Verurteilten muss sich aber nicht auf solche Ersatzbeschaffungskosten beschränken. Vielmehr sind auch andere Nachteile jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn sie in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Beseitigung der Störung stehen (BGH v. 10.12.1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313 [319] = MDR 1994, 839).
(2) Einen solchen Nachteil machen die Beklagten hier geltend. Die angegriffene Verurteilung zwingt die Beklagten nach ihrem Vortrag dazu, den Torpfosten auf ihrem Grundstück so dicht an ihrer Hauswand aufzustellen, dass die bereits teilweise angelegten Dränmatten die Entfeuchtung der Kellerwand nicht mehr leisten können und die getroffenen Entfeuchtungsmaßnahmen wertlos werden. Das müssen die Beklagten entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht schon auf Grund der rechtskräftigen Abweisung ihrer Klage auf Beseitigung des Torpfostens im Vorprozess hinnehmen. Gegenstand dieses Urteils war nur die damals mit der Aufstellung des Torpfostens auf dem Grundstück der Beklagten verbundene Eigentumsstörung. Seine Rechtskraft beschränkt sich auf diese Eigentumsstörung. Es steht deshalb auch nicht etwa als kontradiktorisches Gegenteil fest, dass die Beklagten die Aufstellung des Torpfostens an der bisherigen Stelle auch dann dulden müssen, wenn dies zu einer anderen Eigentumsstörung führt. Das wäre ein neuer Sachverhalt, dessen auch einredeweiser Geltendmachung die Rechtskraft des früheren Urteils nicht entgegensteht (BGH, Urt. v. 17.3.1995 - V ZR 178/93, MDR 1995, 1062 = NJW 1995, 1757; Urt. v. 14.7.1995 - V ZR 171/94, MDR 1996, 1292 = NJW 1995, 2993 [2994]; Urt. v. 24.4.1998 - V ZR 225/97, MDR 1998, 982 = NJW 1998, 2368; Urt. v. 10.9.1997 - XII ZR 222/95, MDR 1998, 148 = NJW 1998, 374 [375]). Die hier von den Beklagten geltend gemachte Beeinträchtigung ihres Eigentums war nicht Gegenstand des Vorprozesses. Ihre Verurteilung zur Wiederherstellung des Tores führt damit nicht zur Wiederherstellung des früheren Zustands, sondern zu einer über die bisher festgestellte hinausgehenden Duldungspflicht. Diese ist bei der Bemessung der Beschwer zu berücksichtigen.
d) Ihr Wert entspricht mindestens den Kosten, die für die Herstellung des bisherigen Teils der Dränmatten aufgewandt worden sind. Damit beträgt die Beschwer jedenfalls mehr als 600 EUR, so dass die Berufung zulässig ist und nicht als unzulässig verworfen werden durfte.
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Zwar haben Grundstücksnachbarn nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf Grund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses eine Pflicht zur Rücksichtnahme (BGH, Urt. v. 31.1.2003 - V ZR 143/02, MDR 2003, 624 = BGHReport 2003, 477 = NJW 2003, 1392; Urt. v. 11.7.2003 - V ZR 199/02, BGHReport 2003, 1132 = MDR 2004, 30 = NJW-RR 2003, 1313 [1314]). Zur Duldung einer fremden Anlage ist ein Grundstückseigentümer danach aber nur verpflichtet, wenn dem Nachbarn ein ungewöhnlich schwerer Nachteil droht, der durch ihm zumutbare Alternativen nicht abgewendet werden kann (BGH, Urt. v. 11.7.2003 - V ZR 199/02, BGHReport 2003, 1132 = MDR 2004, 30 = NJW-RR 2003, 1313 [1314]). Werden diese Voraussetzungen, wie im Vorprozess geschehen, verneint, kommt eine Duldungspflicht auch unter Rückgriff auf Treu und Glauben nicht in Betracht. Sollte sich in der neuen Verhandlung ergeben, dass die Beklagten auf Grund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses den Torpfosten nicht oder jedenfalls nicht an der bisherigen Stelle zu dulden haben, wäre der Herstellungsanspruch in diesem Umfang unbegründet.
Fundstellen