Leitsatz (amtlich)

1. Ein Prozeßbeteiligter kann sich durch eine Anschlußbeschwerde der Rechtsbeschwerde der Gegenpartei anschließen. Der Anschluß an die Rechtsbeschwerde eines auf seiner Seite stehenden Prozeßbeteiligten ist dagegen als zusätzliche Begründung von dessen Rechtsmittel zu werten.

2. Zur Zulässigkeit einer unterschiedlichen Bewertung nichtnotierter Aktien, wenn ein dabei als Anhaltspunkt der Schätzung verwendeter Aktienverkauf den Verkauf einer Aktienmajorität betraf.

 

Normenkette

AO a.F. §§ 247, 253, 286, 292-293; FGO §§ 60, 118 Abs. 2, § 120 Abs. 2; BewG a.F. § 13; AntBewR 1957

 

Tatbestand

Streitig ist der gemeine Wert der im Inland nichtnotierten Aktien einer inländischen Aktiengesellschaft (AG). Die Gesellschaft hatte beantragt, den Wert der Anteile zum 31. Dezember 1956 auf 87 DM je 100 DM Nennbetrag in Anwendung der Richtlinien zur Bewertung nichtnotierter Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften vom 28. Januar 1958 (AntBewR 1957) festzustellen. Sie hat dann Berufung und im Revisionsverfahren formell Anschlußrechtsbeschwerde (Anschlußrevision) eingelegt.

Das FA ging davon aus, daß die gesamten Anteile der AG in Teilbeträgen von X Millionen am 20. April 1956 und von Y Millionen am 12. Juni 1956 zum Preis von 210 v. H. des Nennwerts und von Z Millionen am 1. Juni 1957 zum Preis von 118 v. H. des Nennwerts durch A (Revisionsklägerin) an B (Berufungsführer zu 2) verkauft wurden. Es leitete aus dem Durchschnittspreis von 164,9 v. H. einen gemeinen Wert von 164 v. H. ab. Durch die Einspruchsentscheidung wurde der gemeine Wert für 100 DM Nennkapital auf 210 DM erhöht. Der Aktionär B wurde nach § 241 Abs. 2 AO a. F. als Beteiligter zugezogen, da die Entscheidung ausschließlich seine Interessen berühre. Er erklärte den Kaufpreis von 210 v. H. für zu hoch. Nur mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage der AG habe er den Kaufpreis gezahlt und keine Schadensersatzforderung gestellt, vielmehr im Jahre 1957 die restlichen Aktien erworben. Die AG selbst gab keine Begründung für ihren Einspruch ab. Das FA leitete die Heraufsetzung des Anteilwerts aus den Verkäufen des Jahres 1956 her, da die Beteiligten keine Unterlagen für eine Überhöhung des Werts beigebracht hätten. Die AG habe trotz Aufforderung ihre Mitwirkung zur Aufklärung der Umstände, auf denen die Verkaufspreise beruhten, versagt. Der niedrigere Verkaufspreis des Jahres 1957 sei wegen der mit dem Vertrage verbundenen Erledigung anderer Streitpunkte kein brauchbarer Anhalt.

Die AG und der Aktionär B legten Berufung ein. Die Gesellschaft bezeichnete den Kaufpreis von 210 v. H. für äußerst übersetzt. Der wahre Wert habe unter 100 v. H. gelegen. Mangels echter Preisbildung sei der gemeine Wert nach den AntBewR 1957 auf 87 v. H. festzustellen. Der Aktionär B gab keine Berufungsbegründung ab. Das FG zog A antragsgemäß nach § 241 Abs. 2 AO a. F. wegen ihres Aktienbesitzes am Stichtage zum Verfahren zu. Es gab den Beweisführern auf, alle sachdienlichen Unterlagen dem Gericht vollständig vorzulegen. In dem dafür angesetzten Termin war nur A vertreten. Sie übergab die Kaufverträge und beantragte, den Wert der Anteile mit dem letzten Verkaufserlös von 118 v. H. anzusetzen, wenngleich sie zuvor auch die vorangegangenen Verkaufspreise von 210 v. H. nicht als überhöht betrachtet habe. Später seien über ihr Grundkapital von 49 v. H. mit B Differenzen entstanden, so daß sie, zudem noch irrtümlich, die restlichen Aktien mit 118 v. H. verkauft habe.

Das FG hat in Abänderung der Einspruchsentscheidung und des Feststellungsbescheides vom 16. April 1962 den gemeinen Wert der Aktien der AG auf den 31. Dezember 1956 wie folgt festgestellt:

a) für die Aktien des Aktionärs B auf 210 v. H. des Nennwerts;

b) für die Aktien der A auf 150 v. H. des Nennwerts. Es führte dazu aus: Mangels eines Steuerkurswerts erfolge die Bewertung nach §§ 13 Abs. 2, 10 BewG a. F.; der sogenannte Paketzuschlag nach § 13 Abs. 3 BewG a. F., § 59 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz (BewDV) a. F. sei im Anteilsbewertungsverfahren zu berücksichtigen. Infolgedessen hätten die Anteile einen unterschiedlichen Wert, wenn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 BewG a. F. teils vorlägen, teils fehlten. B habe den möglicherweise überhöhten Kaufpreis von 210 v. H. zur Beherrschung der Gesellschaft (51 v. H. des Grundkapitals) gezahlt. Dementsprechend sei 210 v. H. für diese Anteile als gemeiner Wert der Beteiligung maßgebend. Die A verbliebenen Aktien = 49 v. H. des Grundkapitals hätten die Gesellschaft nicht beherrscht. Ihr Wert sei daher nach § 13 Abs. 2 BewG a. F. aus den Verkaufswerten zwischen 210 v. H. und 118 v. H. abzuleiten. Da die Berufungsführer das Zustandekommen des Verkaufspreises von 118 v. H. nicht aufgeklärt hätten, sei der Wert von 150 v. H. eine angemessene Schätzung.

Innerhalb der Rechtsmittelfrist legte die A Rb. ein mit dem Antrage, die Aktien auf einen Mittelwert zwischen dem nach dem Stuttgarter Verfahren festgestellten Wert von 87 v. H. und dem im Juni 1957 erzielten Verkaufserlös von 118 v. H. zu schätzen. FA und FG hätten mit dem Zwischenwert der ein halbes Jahr vor und nach dem Stichtag erfolgten Verkäufe gegen das Stichtagsprinzip verstoßen. Am 31. Dezember 1956 hätten die Aktien auf Grund der Verhältnisse, insbesondere wegen der internen Streitigkeiten, auch nach dem Gutachten einer Treuhandgesellschaft einen wesentlich niedrigeren als den am 1. Juni 1957 erzielten Wert 118 v. H., nämlich unter 100 v. H., gehabt. B habe damals mit Minderung des Kaufpreises und mit einem Kaduzierungsverfahren, sie selbst mit einer Anfechtungsklage der ersten Kaufverträge gedroht.

Innerhalb der Rb.-Begründungsfrist nach §§ 292, 293 AO a. F. legten die AG und B (die beiden Berufungsführer) gemeinschaftlich Anschlußbeschwerde nach § 247 in Verbindung mit § 287 AO a. F. ein und beantragten, sämtliche Aktien mit 87 v. H. des Nennwerts zu bewerten. Sie stellten Antrag auf mündliche Verhandlung.

Das FA bestreitet die Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsmittels. A sei vom FA der Feststellungsbescheid des gemeinen Werts nicht zugestellt worden, weil sie weder gemäß § 67 BewDV a. F. einen Antrag auf einheitliche und gesonderte Feststellung der Aktien gestellt habe noch von der AG gemäß § 69 BewDV a. F. als Aktieninhaber benannt worden sei. A habe daher gegen den Bescheid kein Rechtsmittel zugestanden (§ 71 BewDV a. F.) und sie habe sich auch nicht gemäß § 247 Satz 1 AO a. F. dem Verfahren anschließen können. Im Rechtsmittelverfahren stehe ihr kein eigenes Rechtsmittel zu. Bei Unzulässigkeit des Rechtsmittels der A sei eine Anschlußbeschwerde (Anschlußrevision) nicht möglich. Aber selbst bei Bejahung der Zulässigkeit der Rb. (Revision) seien die Anschlußbeschwerden (Anschlußrevisionen) mit den gestellten Anträgen unzulässig. Gegen die Wertfeststellung der Aktien sei ein Rechtsbehelf nur insoweit möglich, als der Rechtsmittelführer durch das Urteil des FG beschwert sei. A sei nur hinsichtlich des für sie festgestellten Werts beschwert. Nur insoweit liege eine gültige Rb. (Revision) vor. Der für den Aktionär B festgestellte Wert sei rechtskräftig geworden. Die nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingelegten Anschlußbeschwerden (Anschlußrevisionen) könnten nicht in einen selbständigen Rechtsbehelf umgedeutet werden. Die Rechtsmittel seien aber nicht nur unzulässig, sondern auch unbegründet. Der Kaufpreis von 210 v. H. sei nach dem eigenen früheren Vorbringen von A für die 51 v. H. Grundkapital angemessen gewesen. Das restliche Aktienpaket von 49 v. H. sei nicht dadurch minderwertig, daß der andere Gesellschafter 51 v. H. besitze. Infolgedessen sei die Bewertung aller Aktien mit 210 v. H. angemessen. Das FA beantragt, sämtliche Rechtsbehelfe als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise - ohne Anschlußbeschwerde einzulegen - den gemeinen Wert der Aktien auch für A auf 210 v. H. festzustellen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die im Jahre 1964 eingelegte Rb. ist gemäß der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO als Revision zu behandeln. Ihre Zulässigkeit richtet sich nach § 286 AO a. F. (§ 184 in Verbindung mit § 115 FGO). Dementsprechend sind unselbständige Anschlußbeschwerden als nach der FGO zulässige unselbständige Anschlußrevisionen zu behandeln (Beschluß des BFH I B 35/67 vom 31. Juli 1967, BFH 90, 92, BStBl III 1967, 784). Die beiden Berufungsführer bezeichneten ihre Anträge an den BFH als unselbständige Rbn. Dieser Begriffsbestimmung stimmten die Revisionsklägerin und das FA als Revisionsbeklagter zu. Entgegen dieser Auffassung handelt es sich jedoch nicht um (unselbständige) Anschlußbeschwerden, sondern um Stellungnahmen der am Verfahren Beteiligten. Die beiden Berufungsführer sind nach der hier für die Zulässigkeit noch maßgebenden AO a. F. Beteiligte des Revisionsverfahrens, und zwar die AG als Einspruchs- und Berufungsführer, der Anteilseigner B als Beteiligter am Einspruchsverfahren und als Berufungsführer. Die Revisionsklägerin und die früheren Berufungsführer vertreten alle dasselbe Interesse. Sie begehren übereinstimmend eine möglichst niedrige Bewertung der Aktien, auch wenn die Anträge im einzelnen nicht einheitlich ausgerichtet waren und im Urteil des FG die Aktien des Aktionärs B verschieden hoch von denen der Revisionsklägerin bewertet wurden. Die Grundlage für die Anschlußbeschwerde (Anschlußrevision) ist § 247 AO a. F. Danach kann sich der für die Einlegung eines Rechtsmittels Berechtigte dem von anderer Seite eingelegten Rechtsmittel anschließen, auch nach Ablauf seiner Rechtsmittelfrist, jedoch unter Beachtung der Frist des § 293 AO. Entsprechend § 521 ZPO soll der Verfahrensbeteiligte, der sich mit der Entscheidung zufrieden gegeben hat, die Möglichkeit haben, nach dem Angriff der Gegenseite seine Interessen im Rechtsmittelverfahren trotz Ablaufs seiner Rechtsmittelfrist zu wahren (Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, § 247 Anmerkung 2017). Die Bedeutung liegt in § 253 Satz 4 AO a. F. Es besteht kein Anlaß, einer Partei, die eine Entscheidung gegen sich hat rechtskräftig werden lassen, die Möglichkeit zu geben, gegen diese Entscheidung noch nachträglich vorzugehen. Daraus ergibt sich, daß die "andere Seite" nur die Gegenpartei ist (Entscheidung des RFH II A 106/22 vom 16. Juni 1922, RFH 9, 349, und BFH V 24/63 U vom 10. Dezember 1964, BFH 81, 285, BStBl III 1965, 102). Infolgedessen kann sich ein Pflichtiger nach Ablauf der eigenen Rechtsmittelfrist nicht dem von einem anderen Pflichtigen bzw. dem gleichen Interessenträger eingelegten Rechtsmittel anschließen. Geschieht dies, so gelten die Regeln über Beitritt und Zuziehung (Mattern-Meßmer, a. a. O., Anm. 2018) bzw. nach der FGO die Vorschriften über die Beiladung (§ 60 FGO). Der erkennende Senat sieht die beiden prozessualen Erklärungen trotz des Wortlauts unter Bezugnahme auf § 247 AO a. F. nicht als unzulässige (unselbständige) Anschlußbeschwerde = Anschlußrevision, sondern als Stellungnahme der zwei am Revisionsverfahren notwendig Beteiligten an. Die Ausführungen des FA über die Unzulässigkeit der Anschlußrechtsmittel entfallen daher und bedürfen keiner Erörterung.

Die Revision ist zulässig; die Zulässigkeit ergibt sich prozessual aus § 241 AO a. F. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts nur der AG und dem von ihr dem Betriebs-FA namhaft gemachten Aktionär B oder in erweiterter Auslegung auch der Revisionsklägerin zuzustellen war. Unabhängig von § 71 BewDV a. F. über die Befugnis zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen den einheitlichen Feststellungsbescheid greift hier nach der Zuziehung der Revisionsklägerin durch das FG § 241 Abs. 3 AO a. F. (§ 241 Abs. 4 AO n. F.) Platz. Danach kann derjenige, der als Beteiligter zugezogen ist, dieselben Rechte geltend machen, die dem Steuerpflichtigen zustehen. Erfolgt eine Entscheidung in der Sache, so ist sie auch dem Zugezogenen zuzustellen. Er muß die Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen sich gelten lassen. Infolgedessen konnte die Revisionsklägerin, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, Rb, einlegen. Das Rechtsmittelverfahren, dessen Berufungsführer die AG und der Aktionär B waren, war bis zur Rechtskraft des Urteils des FG noch anhängig.

Gegenstand der Revision ist das Urteil des FG, in dem auf den 31. Dezember 1956 der einheitliche und gesonderte Wert sämtlicher Aktien festgestellt wurde. Da das FG-Urteil alle Aktien umfaßte und die AO a. F. kein Teilrechtsmittel kannte, war mit der Einlegung der Revision erneut die Wertfeststellung aller Aktien, nicht nur der eigenen Aktien der Revisionsklägerin, in Streit (vgl. hierzu BFH-Entscheidung IV 696-697/54 U vom 21. Januar 1957, BFH 64, 279, BStBl III 1957, 106). Die Zulässigkeit und der Umfang der Revision hängen eng mit der Frage nach dem Streitgegenstand des steuergerichtlichen Verfahrens zusammen. Nach dem Beschluß des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344, ist im Steuerprozeß die Rechtmäßigkeit des Steueranspruchs streitig. Der ganze Steueranspruch ist Streitgegenstand. Der Große Senat lehnt den Standpunkt ab, daß aus der Beseitigung der früher nach § 243 Abs. 3 AO a. F. bestehenden Möglichkeit einer "Verböserung" das steuergerichtliche Verfahren der FGO zu einem echten Parteienprozeß geworden sei, in dem die Prozeßbeteiligten den Umfang der gerichtlichen Prüfung und damit den Streitgegenstand auf einzelne Streitpunkte beschränken könnten. Wie dort bei Einlegung eines Rechtsmittels gegen einen Gewerbesteuermeßbescheid in sinngemäßer Anwenwendung der festgesetzte einheitliche Steuermeßbetrag in vollem Umfang angefochten und seine Rechtmäßigkeit Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren ist, so ist hier der Bescheid betreffend einheitlicher und gesonderter Feststellung des gemeinen Werts sämtlicher Aktien auf den 31. Dezember 1956 Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die durch das FG abgeänderte Bewertung sämtlicher Aktien ist nunmehr Gegenstand des Revisionsverfahrens, so daß die Revision von A nicht nur die am Stichtag in ihrem Besitz befindlichen aktien, sondern auch die des Anteileigners B erfaßte. Entsprechend umfassend sind die Beteiligungen am Revisionsverfahren der beiden Berufungsführer.

Die für die Revision erforderliche Beschwer ist gegeben. Die Revisionsklägerin ist durch das FG-Urteil beschwert. Dafür genügt die Beschwer hinsichtlich der ihr am Stichtag gehörenden Anteile. Entsprechendes gilt für den Beteiligten B. Gegenüber der AG ist die Auswirkung der Anteilsfeststellung auf sämtliche Aktien eindeutig (Hinweis auf § 70 BewDV a. F.). Somit ist in der Revision über die Bewertung sämtlicher Aktien auf den 31. Dezember 1956 zu entscheiden.

Ausgangspunkt für die Revisionsentscheidung ist die Wertfeststellung des FG auf 210 v. H. für die Aktien des B und auf 150 v. H. für die Aktien der Revisionsklägerin. Der höhere Ansatz der Aktien der Revisionsklägerin im Feststellungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung steht in der Revision nicht mehr zur Erörterung, da das FA gegen das Urteil des FG kein Rechtsmittel einlegte und eine Verböserung nach der FGO unzulässig ist. Nach § 13 Abs. 2 BewG a. F. ist für Aktien, soweit sie im Inland keinen Kurswert haben, der gemeine Wert maßgebend. Der gemeine Wert ist nach dem Wortlaut des Gesetzes in erster Linie aus Verkäufen abzuleiten; nur wenn keine solche Möglichkeit besteht, ist unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten zu schätzen. Da die Schätzung nach dem sogenannten Stuttgarter Verfahren (AntBewR 1957, später VStR 1960 Abschn. 76 ff.) auf einer Käuferfiktion beruht (siehe Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, § 13 BewG a. F., Anm. 73), entfällt die Ermittlung des gemeinen Werts bei Vorhandensein echter Kaufpreise. Nach Abschn. 1 Abs. 2 AntBewR 1957 ist der gemeine Wert möglichst aus Verkäufen abzuleiten, die in den Jahren 1956 und 1957 unter der Voraussetzung des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs stattgefunden haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind die AntBewR und die entsprechenden VStR ein wertvolles und für die Einheitlichkeit der Bewertung geeignetes Verfahren (Entscheidungen III 396/58 S vom 19. Dezember 1960, BFH 72, 241, BStBl III 1961, 92, sowie III 261/59 U vom 6. April 1962, BFH 74, 682, BStBl III 1962, 253). Da im vorliegenden Fall zwei Verkäufe von 51 v. H. des Gesamtbestandes der Aktien im Jahre 1956 erfolgten, konnte das FG von dem dabei erzielten Wert von 210 DM je 100 DM Nennwert ausgehen. Denn wenn auch nach Abschn. 1 Abs. 2 AntBewR 1957 der gemeine Wert möglichst aus Verkäufen abzuleiten ist, die in den Jahren 1956/1957 stattgefunden haben, so scheidet hier nach den Feststellungen des FG der Verkauf im Jahre 1957 als nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt aus (Abschn. 1 Abs. 2 Satz 3 AntBewR 1957). Die gegen diese Feststellungen im Revisionsverfahren erhobenen Einwände enthalten neues tatsächliches Vorbringen, das nach § 118 Absatz 2 FGO nicht berücksichtigt werden kann. Ob und inwieweit das FG den Kaufpreis von 118 DM je 100 DM Nennwert für die im Jahre 1957 verkauften 49 v. H. des Grundkapitals zur Errechnung eines Mittelwerts dieser Aktien heranzog, ist ebenfalls eine Frage tatsächlicher Würdigung der Gesamtumstände, die neben dem reinen Aktienwert auf die Preisbildung einwirkten; zudem erfolgte diese Herabsetzung lediglich zugunsten der Revisionsklägerin.

Die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs bei der mündlichen Verhandlung des FG ist verspätet vorgebracht und daher nach § 290 AO a. F. unzulässig (jetzt § 120 FGO).

Das FG hat bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung die Aktien des Aktionärs B und die der Revisionsklägerin unterschiedlich bewertet, und zwar unter dem Gesichtspunkt eines Paketzuschlages für ersteren. Ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung der Vorentscheidung zu führen hätte, liegt nicht in der unterschiedlichen Bewertung der zwei vom FG als verschiedenwertig angesehenen Aktienpakete. Aktien werden unter Umständen in verschiedenen Gattungen gehandelt; der Kurs für die eine Gattung gilt nicht für die andere Gattung dieser Aktien, oder es wird nur die eine Gattung gehandelt. Dann sind verschiedene Bewertungen für Aktien derselben Gesellschaft vorzunehmen. Wenn es sich hier auch nicht um verschiedene Aktiengattungen handelt, so stellte das FG in etwa den gleichen Gesichtspunkt bei der verschiedenen Bewertung der Aktien unter Bezugnahme auf § 13 Abs. 3 BewG a. F. heraus. Das ist nicht zu beanstanden. Der RFH hat allerdings in dem Urteil III 205/37 vom 31. März 1938 (RStBl 1938, 590) ausgeführt, in dem Verfahren betreffend Bewertung von Anteilen einer GmbH sei über den Paketzuschlag überhaupt nicht zu entscheiden, sondern nur bei der Vermögensteuerveranlagung des einzelnen Anteilbesitzers (siehe hierzu Seweloh, Steuer und Wirtschaft 1937 I, Sp. 1516 Fußnote 5). Nach Abschn. 14, 15 Abs. 4 AntBewR 1957, Abschn. 90 VStR 1960, ist die Frage, ob ein Paketzuschlag nach § 13 Abs. 3 BewG a. F. zu machen ist, grundsätzlich von dem FA zu entscheiden, das den Steuerpflichtigen zur Vermögensteuer veranlagt, und zwar nach einer Sonderbewertung durch das BetriebsFA. Ein Paketzuschlag wird nur festgesetzt, wenn der gemeine Wert der Anteile nach den Verhältnissen der Kleinbesitzer, d. h. unter Berücksichtigung der ausgeschütteten Dividende und unter Vornahme eines höheren Abzugs vom Vermögen nach den Richtlinien ermittelt worden ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Feststellung des gemeinen Wertes durch das FG auf 210 v. H. um keinen echten Paketzuschlag. Ein solcher kommt vielmehr nicht in Betracht, wenn der allgemeine Wert der Aktien nach § 13 Abs. 2 BewG a. F. aus Verkäufen abgeleitet ist, bei denen der Beteiligungscharakter den Preis beeinflußt hat. Eine Ableitung aus den Verkäufen mit Beteiligungscharakter im Jahre 1956 nahm das FG vor und war dazu berechtigt. Von einem etwa nicht maßgebenden Einzelverkauf kann man bei den zeitlich naheliegenden zwei Verkäufen von insgesamt 51 v. H. des Grundkapitals nicht sprechen. Somit konnte das FG diese Aktien mit 210 v. H. bewerten. Das FG hätte die betragsmäßige Bewertung wohl auch auf die Aktien der Revisionsklägerin mit 49 v. H. des Grundkapitals erstrecken müssen (nach Abschn. 14 AntBewR 1957 bereits Paketzuschlag bei mehr als 25 v. H. aller Anteile), zumal der spätere niedrigere Verkaufspreis im Jahre 1957 nach den tatsächlichen Feststellungen des FG durch anderweitige Faktoren beeinflußt wurde. Diese Frage ist hier aber nicht zu entscheiden. Da das FG die Aktien der Revisionsklägerin nur mit dem gemeinen Wert von 150 v. H., der nach der gesamten rechtlichen und tatsächlichen Lage keinesfalls überhöht ist, bewertete, das FA keine Revision wegen Unterbewertung einlegte und eine sogenannte Verböserung durch den BFH nach der FGO verboten ist, verbleibt es bei dem Ansatz von 150 v. H. Die Ausführungen des FA zu einer höheren Bewertung des Aktienpakets der Revisionsklägerin sind unbeachtlich.

Den Antrag der Revisionsklägerin, den Bundesminister der Finanzen aufzufordern, dem Verfahren beizutreten, lehnt der Senat ab.

 

Fundstellen

BStBl II 1968, 683

BFHE 1968, 17

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