Leitsatz (amtlich)

1. Auch dann, wenn die Wohnungseigentümer über eine bauliche Veränderung beschließen, die einem Wohnungseigentümer überwiegend oder gar ausschließlich zugute kommt, ist dieser grundsätzlich nicht von seinem Stimmrecht ausgeschlossen.

2. Der Einbau eines Treppenlifts stellt im Allgemeinen eine bauliche Veränderung dar. Die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer kann entbehrlich sein, wenn die bauordnungsrechtlichen Belange gewahrt sind und die Gebrauchsmöglichkeiten des Treppenhauses für die übrigen Wohnungseigentümer nicht über das unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden. In diesem Rahmen kann es auch hinnehmbar sein, dass für den Einbau des Treppenlifts der vorhandene zweite Handlauf abmontiert werden muss.

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 01.07.2003; Aktenzeichen 1 T 16274/02)

AG München (Aktenzeichen 481 UR II 1108/00)

 

Tenor

I. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des LG München I vom 1.7.2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller haben samtverbindlich die gerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen und den Antragsgegnern die in diesem Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Streithelfer tragen ihre etwaigen außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsteller, deren Streithelfer und die Antragsgegner sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Die Wohnanlage besteht aus drei Gebäuden. Strittig ist unter den Beteiligten der Einbau eines Treppenlifts im Anwesen Nr. 15, das keinen Aufzug hat. Das Gebäude besteht aus drei Stockwerken und ist in neun Einheiten, drei Einheiten in jedem Geschoss, unterteilt. Die Eigentums- und Wohnverhältnisse stellen sich in diesem Gebäude, soweit erheblich, folgendermaßen dar:

Den Antragstellern zu 1) und 2), einem Ehepaar, gehört eine Wohnung im Erdgeschoss (Hochpaterre), die sie gemeinsam nutzen; ferner unterhält der Ehemann eine als Büro genutzte Einheit im zweiten Obergeschoss (Dachgeschoss). Die Antragsteller zu 3) und 4), ebenfalls Eheleute, sind Eigentümer einer im ersten Obergeschoss gelegenen Wohnung. Im Erdgeschoss befindet sich ferner das Wohnungseigentum der Streithelfer; die Räume werden teils zum Wohnen, teils als Zahnarztpraxis genutzt. Im zweiten Obergeschoss gehört dem Wohnungseigentümer A. eine Wohnung, die er seit vielen Jahren zusammen mit seiner Ehefrau bewohnt. A. ist Eigentümer einer weiteren Einheit im ersten Obergeschoss, die seine Ehefrau, eine Rechtsanwältin, beruflich als Kanzleiräume nutzt. Schließlich befindet sich im zweiten Obergeschoss noch die Wohnung von B., die pflegebedürftig erkrankt und auf fremde Hilfe angewiesen ist. Die 1932 geborene Ehefrau des Wohnungseigentümers A. ist infolge eines Post-Poliosyndroms stark gehbehindert. Nach ärztlichen Bescheinigungen ist ihr das Treppensteigen kaum noch möglich. Die Beschwerden nehmen laufend zu. Auch die Antragstellerin zu 1), 82 Jahre alt, ist in der Beinmuskulatur geschwächt und hat Schwierigkeiten beim Treppensteigen.

Die Teilungserklärung bestimmt, dass sich das Stimmrecht in der Eigentümerversammlung nach der Größe der Miteigentumsanteile richtet. Jedem Wohnungseigentümer ist es gestattet, sich bei der Abstimmung vertreten zu lassen.

Am 28.11.2000 fand eine außerordentliche Eigentümerversammlung mit dem Tagesordnungspunkt Einbau eines Treppenlifts unter Kostenübernahme, Zusicherung des Rückbaus und Stellung einer Sicherheit durch die Eheleute A. statt. Nach gegensätzlicher Diskussion stimmten die vollständig anwesenden oder vertretenen Wohnungseigentümer getrennt nach Haus Nr. 15 mit 288,244/1.000 Ja-Stimmen gegen 258,544/1.000 Nein-Stimmen und insgesamt mit 741,450/1.000 Ja-Stimmen gegen 258,544/1.000 Nein-Stimmen für den Antrag ab.

Diesen Beschluss haben die Antragsteller gerichtlich angefochten.

Unterdessen beantragte der Wohnungseigentümer A. bei der Stadt die Zulassung einer isolierten Abweichung von Art. 35 Abs. 5 BayBO für den Einbau eines Treppenlifts. Nach dieser Bestimmung i.V.m. der einschlägigen DIN 18065 muss die nutzbare Treppenbreite mindestens 1 m betragen. Nach einem ablehnenden Bescheid vom 4.4.2001 und erfolglosem Widerspruch erklärte sich die Stadt am 28.1.2002 vor dem Verwaltungsgericht schließlich mit dem Einbau eines Treppenlifts einverstanden u.a. mit der Maßgabe, dass das Fußbrett des einzubauenden Modells den Treppenlauf maximal auf 40 cm verengt und der wandseitig vorhandene Handlauf entfernt wird. Jenen Handlauf hatten die Eheleute A. auf eigene Kosten nachträglich angebracht, nachdem die Wohnungseigentümer dazu am 3.10.1978 ihre Zustimmung erteilt hatten unter der Voraussetzung, dass der Handlauf „im Bedarfsfalle abgenommen werden” könne. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde daraufhin für erledigt erklärt.

Das AG München hat am 8.8.2002 den Antrag auf Ungültigerklärung des Eigentümerbe...

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