Leitsatz (amtlich)

1. Zum Nachweis einer behaupteten Erbeinsetzung, die sich auf der fehlenden S. 1 eines gemeinschaftlichen Testaments befunden haben soll, von dem nur die S. 2) bis 4) erhalten sind.

2. Keine Beweiserleichterung für angebliche Testamentserben ggü. den gesetzlichen Erben, wenn weder der Inhalt einer Testamentsseite noch der Grund für deren Fehlen aufklärbar sind.

 

Normenkette

BGB §§ 2247, 2255, 2259, 2356

 

Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 04.10.2004; Aktenzeichen 16 T 10168/04)

AG München (Aktenzeichen 66-VI 44/00)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) gegen den Beschluss des LG München I vom 4.10.2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten zu 1) und 2) haben samtverbindlich die den Beteiligten zu 3) bis 22) und 43) im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 12.900.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die verwitwete Erblasserin ist im Alter von 88 Jahren verstorben. Sie war kinderlos und in einziger Ehe verheiratet; ihr Ehemann ist am 15.8.1982 vorverstorben.

Am 4.4.1977 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, das aus vier Seiten bestand. Die erste Seite dieser letztwilligen Verfügung liegt weder im Original noch in Kopie vor, der Verbleib ist ungewiss und nicht weiter aufklärbar.

Die noch vorhandenen handschriftlich verfassten S. 2) bis 4) des Testaments, die nach dem Tod der Erblasserin in ihrem Wäscheschrank gefunden wurden, enthalten keine ausdrückliche Erbeinsetzung. Dort werden einzelne Immobilien der Eheleute einzelnen Personen vermacht, u.a. eine Liegenschaft in der Schweiz dem Beteiligten zu 1), und darüber hinaus Geldvermächtnisse bestimmt. Viele dieser Bestimmungen, so u.a. auch die bezüglich des Beteiligten zu 1), sind durchgestrichen worden. Darüber hinaus hat die Erblasserin zwischen 1985 und April 1999 handschriftlich weitere vier letztwillige Verfügungen errichtet, in denen sie einzelne Vermächtnisse, eine Erbeinsetzung zugunsten ihrer Schwester W. und Testamentsvollstreckung anordnete.

Am 17.11.1999 schloss die Erblasserin mit V. einen notariellen Erbvertrag, in dem sie ihm dieselbe Immobilie in der Schweiz als Vermächtnis zuwandte, über die sie auf Grund durchgestrichener Vermächtnisanordnung im Testament vom 4.4.1977 zugunsten des Beteiligten zu 1) verfügt hatte.

Der notariell beurkundete Erbvertrag enthält darüber hinaus weiter u.a. folgende Bestimmungen:

"Ich bin weder durch Vertrag noch in sonstiger Weise an der freien Verfügung über meinen Nachlass gehindert.

Etwa vorhandene letztwillige Verfügungen hebe ich hiermit in vollem Umfang auf...

Unabhängig davon, wen ich noch zum Erben einsetzen werde oder auch für den Fall, dass gesetzliche Erbfolge eintreten sollte, ordne ich folgendes Vermächtnis an ...

Weitere Bestimmungen hinsichtlich meines Nachlasses will ich heute nicht treffen."

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der sie als Erben zu je ½ ausweist. Sie sind der Auffassung, auf Grund des Testaments vom 4.4.1977 Miterben zu je ½ geworden zu sein. Ihre Schlusserbeneinsetzung ergäbe sich aus der nicht mehr vorhandenen S. 1 dieses Testaments unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Rekonstruktion des Erblasserwillens.

Im Wesentlichen begründen die Beteiligten zu 1) und 2) ihre Auffassung damit, dass die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann keine gesetzliche Erbfolge gewollt hätten, dass es darüber hinaus nahe liegend gewesen sei, die Beteiligten zu 1) und 2) als Schlusserben einzusetzen, da ihre Adoptiveltern die Erblasserin und ihren Mann finanziell unterstützt hätten. Da die Erblasserin das Testament vom 4.4.1977 dem Nachlassgericht nicht vorgelegt habe, rechtfertige die daraus für die Beteiligten zu 1) und 2) resultierende Beweisnot eine Umkehr der Beweislast. Da die Verfügungen im Testament wechselbezüglich gewesen seien, sei der Widerruf im Testament vom 17.11.1999 unwirksam.

Die Beteiligten zu 3) bis 22) sind dieser Auffassung entgegengetreten. Der Beteiligte zu 3) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der gesetzliche Erbfolge ausweist.

Das AG - Nachlassgericht - hat mit Beschl. v. 11.5.2004 im Wege des Vorbescheids angekündigt, auf Antrag des Beteiligten zu 3) einen Erbschein zu erteilen, der gesetzliche Erbfolge ausweist. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass eine wirksame testamentarische Erbfolge nicht festzustellen sei. Die Erblasserin habe im notariellen Erbvertrag vom 17.11.1999 etwaige frühere letztwillige Verfügungen wirksam aufgehoben. Da der Inhalt der S. 1 des Testaments vom 4.4.1977 nicht festgestellt werden könne und nichts vorgetragen worden sei, was einen zwingenden Schluss auf die Benennung der Beteiligten zu 1) und 2) als Erben zuließe, ergäbe sich aus dem Testament vom 4.4.1977 unter Berücksichtigung der Feststellungslast nichts anderes.

Die Beteiligten zu 1) und 2) haben gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt mit der Begründung...

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