Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Betriebsweg. sachlicher Zusammenhang. Handlungstendenz. nicht geringfügige Unterbrechung. öffentlicher Verkehrsraum. Verlassen des Fahrzeugs zum Zweck des "Zur-Rede-Stellens" eines anderen Verkehrsteilnehmers

 

Leitsatz (amtlich)

Wer sein Fahrzeug auf einem Betriebsweg bei Rotlicht an der Ampel verlässt, um einen anderen Fahrer eines Kfz wegen dessen vorangegangenen verkehrswidrigen Fahrverhaltens zur Rede zu stellen, und bei der nachfolgenden verbalen Auseinandersetzung Opfer einer Messerattacke wird, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Bereits das Verlassen des Fahrzeugs zu diesem Zweck dient nach seiner objektiven Handlungstendenz nicht dem weiteren Zurücklegen des Betriebsweges, sondern eigenwirtschaftlichen Zwecken.

Erst recht gilt dies für das "Zur-Rede-Stellen" des anderen Fahrers wegen vorangegangener Beleidigung.

Die Unterbrechung ist auch nicht geringfügig, während der Versicherungsschutz nach § 8 Abs 1 SGB 7 fortbesteht.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.10.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 27.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2017 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 29.07.2016 als Arbeitsunfall streitig.

Der 1961 geborene Kläger ist als selbstständiger Transportunternehmer bei der Beklagten versichert.

Am 29.07.2016 fuhr der Kläger mit seinem Sprinter Citroën mit Gespann auf dem R. in A-Stadt in Fahrtrichtung B.. Er befand sich auf dem Weg zu einem Kunden, um an diesen Getränke aus seinem Getränkemarkt auszuliefern. Zwischen der Abzweigung K-Straße und M-Straße wechselte ein anderer Verkehrsteilnehmer, Herr Y. I. (I), mit seinem VW Golf mehrfach die Spur der beiden Fahrstreifen, ohne auf den nachfolgenden Verkehr - insbesondere den Kläger - zu achten. Bei dem Versuch, von der linken auf die rechte Fahrspur zu wechseln, kam es beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Klägers. Kurz darauf mussten beide Fahrzeuge wegen Rotlichts an der Lichtzeichenanlage an der Einmündung zur M-Straße anhalten.

Nach den Angaben des Klägers in der Unfallanzeige vom 04.08.2016 und bei seiner Zeugenvernehmung bei der Dienststelle PI A-Stadt am 04.08.2016 stieg er dann aus seinem Fahrzeug aus und begab sich zur Beifahrertür des seitlich links vor ihm stehenden VW Golf, um I wegen seiner Fahrweise zur Rede zu stellen. Er habe I gefragt, ob dieser "noch ganz sauber" sei. Nachdem I mit einer abwinkenden Handbewegung reagiert habe, habe der Kläger geäußert, dass "dies für ihn zu primitiv" sei und sei wieder zurück zu seinem Fahrzeug gegangen. Beim Einsteigen habe er gesehen, wie I schon ausgestiegen gewesen sei, an seiner Fahrertüre stehen geblieben sei und ihm entgegen geschrien habe "Ich ficke Deine Frau". Daraufhin habe er zu ihm geäußert "Du kleiner alter Mann NICHT!". Hierbei sei er auf I zugegangen. Dieser sei unterdessen schon wieder in sein Fahrzeug gestiegen, allerdings sei die Fahrertüre noch offen gestanden. Als er neben ihm gestanden habe (wortlos), habe dieser plötzlich ein Messer gezogen und mit ausgestrecktem rechten Arm geradeaus auf seinen Bauch gestochen. Dabei habe I geschrien "Ich stech Dich ab Du Sau". Aufgrund seiner früheren Grundkenntnisse in Selbstverteidigung habe er mit seiner linken Hand das Messer zur Seite gewischt und eine schlimmere Verletzung vermeiden können.

Hierbei erlitt der Kläger jedoch eine Schnittverletzung am linken Handgelenk. Weiterhin wurde der Musculus extensor digiti minimi, der Musculus extensor carpi ulnaris sowie der Ramus dorsalis nervi ulnaris links durchtrennt. Deshalb wurde der Kläger stationär vom 29.07.2016 bis 30.07.2016 in der Klinik und Poliklinik für Unfall-, Hand-, Plastische- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums A-Stadt behandelt, wobei am 29.07.2016 eine operative Versorgung mittels Strecksehnennaht und Nervennaht erfolgte. Laut Mitteilung des Durchgangsarztes vom 20.10.2016 wurde sodann Arbeitsfähigkeit des Klägers ab 17.10.2016 festgestellt.

Nach Erhalt der Unfallanzeige des Klägers vom 04.08.2016 leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren ein und zog den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums A-Stadt vom 01.08.2016, die Mitteilung des Durchgangsarztes vom 20.10.2016 und die Akte der Staatsanwaltschaft A-Stadt bezüglich des gegen I eingeleiteten Strafverfahrens (801 Js 18055/16) bei.

Mit Bescheid vom 27.12.2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 29.07.2016 als Arbeitsunfall und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Der Kläger habe sich zum Unfallzeitpunkt nicht mehr bei einer versicherten Tätigkeit befunden. Ein innerer, sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Ze...

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