Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Nachfolgezulassung. maßgeblicher Zeitpunkt für Beurteilung der Fortführungsfähigkeit einer Praxis. Annahme der Fortführungsfähigkeit. Existenz einer fortführungsfähigen Praxis als Wirtschaftsgut

 

Leitsatz (amtlich)

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Fortführungsfähigkeit der Praxis bei Vornahmeklagen ist, soweit nicht eine Drittanfechtung im Raum steht, der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

2. Für die Annahme der Fortführungsfähigkeit einer Praxis ist es nach Ablauf von 6 Monaten nach dem Ende der vertragsärztlichen Zulassung grundsätzlich nicht ausreichend, wenn in geringem Umfang privat abgerechnete Leistungen bei GKV-Patienten erbracht werden und diese nicht das übliche Leistungsspektrum eines vertragsärztlich tätigen Facharztes umfassen.

 

Orientierungssatz

Bei der Fortführungsfähigkeit der Praxis handelt es sich um ein objektives Kriterium, bei dem es allein auf die tatsächliche Existenz einer fortführungsfähigen Praxis als verwertbares Wirtschaftsgut ankommt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.03.2016; Aktenzeichen B 6 KA 9/15 R)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.04.2013, S 38 KA 1/12, wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Beschluss vom 10.11.2011 den Antrag des Klägers auf Nachfolgezulassung nach § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V zu Recht abgewiesen hat. Der Kläger war bis zum 31.01.2011 als Facharzt für Orthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die vorausgegangene Entziehung der Zulassung des Klägers war nach Abschluss von Eilverfahren vor dem Sozialgericht und dem Bayerischen Landessozialgericht rechtskräftig geworden.

Der Kläger hatte erstmals am 19.11.2010 einen Antrag auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes gemäß § 103 Abs. 4 SGB V gestellt, auf den Bewerbungen und Zulassungsanträge von drei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) eingingen, diesen jedoch mit Schreiben vom 15.02.2011 zurückgenommen. Im März 2011 beantragte er erneut eine Ausschreibung des Vertragsarztsitzes. Zur Sitzung des Zulassungsausschusses am 08.06.2011 lagen noch zwei Zulassungsanträge von MVZ vor, der eines Orthopäden war zuvor zurückgenommen worden. Diesen zweiten Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes nahm der Kläger ebenfalls zurück. Der Kläger war sowohl mit Schreiben vom 18.02.2011 als auch mit Schreiben vom 08.06.2011 von der Beigeladenen zu 9) darauf hingewiesen worden, dass die Übergabefähigkeit seiner Praxis nach 6 Monaten gegebenenfalls ende. Einen dritten Antrag auf Ausschreibung stellte der Kläger am 10.06.2011. Zur Sitzung des Zulassungsausschusses vom 14.09.2011 lagen Anträge auf Zulassung von zwei MVZ aus A-Stadt und ein Antrag eines Orthopäden, des Beigeladenen zu 1), der vom Kläger als sein Nachfolger favorisiert wurde, vor. Zu einer Kaufpreiseinigung zwischen dem Kläger und den MVZ kam es nicht, da nach Darstellung eines MVZ eine Veräußerungsabsicht sowie die Nennung einer Verhandlungsgrundlage vom Kläger abgelehnt worden sei. Am 09.09.2011 erhielt der Zulassungsausschuss eine schriftliche Kaufpreiseinigung zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1). Der Beigeladene zu 1) hatte angegeben, zum 01.04.2012 vertragsärztlich tätig werden zu wollen, da er in einem laufenden Beschäftigungsverhältnis stand.

Der Zulassungsausschuss lehnte in seiner Sitzung am 14.09.2011 die Anträge der MVZ sowie des Beigeladenen zu 1) auf Nachfolgezulassung ab. Es mangele an einer Fortführungsfähigkeit der Praxis des Klägers, da 6 Monate nach dem Ende der Zulassung ein Praxissubstrat nicht mehr bestehe. Der Kläger sei seit dem 01.02.2011 nicht mehr berechtigt, GKV-Patienten zu behandeln, so dass am 31.07.2011 die Übergabefrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Eine eventuelle Weiterbehandlung im Rahmen eines Kostenerstattungsverfahrens sei nicht zu berücksichtigen. Maßgeblich sei eine ärztliche Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen, so dass zum Zeitpunkt der Sitzung des Zulassungsausschusses kein fortführungsfähiges Praxissubstrat mehr vorhanden sei. Eine Übergabefähigkeit hinsichtlich des Antrages des Beigeladenen zu 1) sei erst recht zu verneinen, da dieser erst zum 01.04.2012 vertragsärztlich tätig werden wolle.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Beschluss vom 10.11.2011 (ausgefertigt am 28.11.2011) zurück. Eine Praxis könne nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift noch vertragsärztlich tätig gewesen sei. Dies setze den Besitz beziehungsweise Mitbesitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üb...

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