Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Berufung. Versäumung der Berufungsfrist. Isolierter PKH-Antrag. Wiedereinsetzung. unverschuldeter Hinderungsgrund. vollständiger und verbescheidungsfähiger PKH-Antrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ob ein innerhalb der Berufungsfrist eingereichter, erst nach Ablauf dieser Frist verbeschiedener Prozesskostenhilfeantrag in einem gemäß § 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren ohne Anwaltszwang ein der rechtzeitigen Berufungseinlegung entgegenstehendes Hindernis im Sinne des § 67 Abs 1 SGG darstellen kann, ist fraglich. (vgl OVG Berlin-Brandenburg vom 12.04.2023, OVG 6 M 25/23 = FA 2023, 126).

2. Voraussetzung dafür, dass bei der isolierten Beantragung von PKH für ein Klage- oder Berufungsverfahren ein unverschuldeter Hinderungsgrund, rechtzeitig Klage oder Berufung einzulegen, gegeben ist, ist jedenfalls, dass der PKH-Antrag innerhalb der Klage- oder Berufungsfrist vollständig und damit verbescheidungsfähig gestellt worden ist, was voraussetzt, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem dafür vorgeschriebenen Formular abgegeben wird.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 12.01.2023 wird als unzulässig verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger ein persönliches Budget aufgrund eines anerkannten Arbeitsunfalls vom 30.04.2002 zu gewähren hat.

Der Kläger ist im Jahr 1956 geboren; seit dem 01.09.2018 bezieht er Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 30.04.2002 rutschte er bei Fensterputzarbeiten auf einem Eisengitter aus. Dieses Ereignis ist von der Beklagten als Arbeitsunfall anerkannt worden; Verletztenrente wird nicht gewährt.

Mit Bescheid vom 29.10.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er, wie bereits mehrfach ausgeführt, keinen Anspruch auf laufende Geldleistungen habe und somit ein Anspruch auf ein persönliches Budget, welches laufende Geldleistungen zum Inhalt haben solle, nicht bestehe.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2021 zurück.

Die vom Kläger anschließend eingelegte Klage ist mit Gerichtsbescheid des SG München vom 12.01.2023 (Aktenzeichen: S 40 U 577/21) abgewiesen worden. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 17.01.2023 mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden.

Am 08.02.2023 ist beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) ein Telefax des Klägers vom 08.02.2023 mit dem Betreff "Beschluss des Sozialgerichtes München AZ: S 40 U 577/21 vom 13.01.2023" und folgendem Inhalt eingegangen:

"Ich beantrage gegen Urteil des Sozialgerichtes München AZ: S 40 U 577/21 vom 13.01.2023

Prozesskostenhilfe zu bewilligen

Der Antrag auf PKH erfolgt zunächst fristwahrend. Zur Begründung des Antrages werde ich in einem separaten Schreiben vortragen.

Bitte um die Absendung der entsprechenden Unterlagen über meiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu ausfühlen und dem Gericht präsentieren zu lassen."

Dieses Verfahren ist unter dem Aktenzeichen L 2 U 42/23 PKH geführt worden.

Parallel dazu hat der Kläger zwei weitere Verfahren beim Bayer. LSG anhängig gemacht, und zwar

* eine am 25.01.2023 eingelegte Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 12.01.2023, S 40 U 647/19 (Aktenzeichen des Bayer. LSG: L 2 U 27/23):

In diesem Verfahren hat der Kläger am 25.01.2023 Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und erklärt: "Den Vordruck Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse lege ich ausgefüllt und mit Belegen versehen dem Antrag separat bei." Der Vordruck hat jedoch nicht beigelegen. U.a. hat der Kläger am 25.02.2023 um Verlängerung des Termins zur Berufungsbegründung um einen Monat bis zum 31.03.2023 wegen seines "sehr schlechten Gesundheitszustandes" und zudem um Übersendung des Vordrucks der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gebeten.

* einen am 08.02.2023 gestellten isolierten PKH-Antrag gegen den Gerichtsbescheid des SG München vom 30.01.2023, S 40 U 433/22 (Aktenzeichen des Bayer. LSG: L 2 U 43/23 PKH):

In diesem Verfahren hat der Kläger weitgehend identisch wie im Verfahren L 2 U 42/23 PKH vorgetragen.

In der Eingangsbestätigung des Gerichts vom 14.02.2023 ist der Kläger gebeten worden, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse binnen eines Monats vorzulegen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 08.03.2023 ist der Kläger, nachdem er die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht abgegeben hatte, aufgefordert worden, diese Erklärung bis spätestens 31.03.2023 an das Gericht zu senden.

Dazu hat der Kläger mit Schreiben vom 25.03.2023 um Fristverlängerung bis zum 30.04.2023 gebeten und dies mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes begründet.

Die beantragte Fristverlängerung bis zum 30.04.2023 ist ihm mit gerichtlichem Schreiben vom 04.04.2023 genehmigt worden. Nachdem auch diese Frist ergebnislos...

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