Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinder- und Jugendhilferecht. Adoptivpflegefamilie als „andere Familie” i.S. des § 89 e Abs. 1 SGB VIII. Kostenerstattungsanspruch im Wege des „Durchgriffs” nach § 89 a Abs. 2 SGB VIII. Kinder- und Jugendhilferechts. Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. September 2004

 

Normenkette

SGB VIII §§ 27, 33-34, 86 Abs. 2, §§ 3-4, 6, 89a, 89e Abs. 1

 

Verfahrensgang

VG Ansbach (Urteil vom 29.09.2004; Aktenzeichen AN 14 K 03.2411)

 

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. September 2004 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die im Zeitraum vom 1. April 2000 bis 17. Januar 2002 für Shyla Winter aufgewendeten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 9.926,02 EUR zu erstatten.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

1. Der Kläger begehrt vom Beklagten Kostenerstattung für die der am 18. Januar 1984 geborenen S.W. in der Zeit vom 1. April 2000 bis 17. Januar 2002 gewährten Jugendhilfeleistungen in Höhe von 9.926,02 EUR.

Die nichtehelich geborene S.W. lebte bis zum 30. August 1989 bei ihrer Mutter im Bereich des Beklagten, der die Familie seit Oktober 1988 durch die sozialpädagogische Familienhilfe betreute. Mit notarieller Einwilligungserklärung vom 8. September 1989 willigte die Kindsmutter in die Adoption ihrer drei Kinder ein. S.W. wurde am 30. August 1989 in eine Pflegefamilie im Bereich des Beigeladenen gebracht. Nachdem die Pflegefamilie von ihrer Absicht, S.W. und ihre Geschwister zu adoptieren, zurückgetreten war, wurden die Geschwister in der Zeit vom 28. Januar 1990 bis 1. Februar 1990 vorübergehend in einer anderen Pflegefamilie untergebracht. Ab dem 1. Februar 1990 gewährte der Beigeladene Hilfe zur Erziehung in Form der Heimunterbringung im Kinderheim St.J.

Mit Beschluss vom 15. September 1993 entzog das Amtsgericht A. der Mutter von S.W. die seit dem 26. Januar 1990 ruhende elterliche Sorge und bestellte das Kreisjugendamt des Beigeladenen zum Vormund.

Am 18. April 1996 wechselte S.W. in eine Pflegefamilie. Das Stadtjugendamt E. gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege, da zu dieser Zeit die Kindsmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Bereich hatte. Zum 18. Juli 1998 verzog die Pflegefamilie in den Zuständigkeitsbereich des Klägers, der den Hilfefall zum 1. Januar 1999 gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII übernahm. Das Stadtjugendamt E. erstattete die bis 31. März 2000 entstandenen Aufwendungen.

Nach Mitteilung des Stadtjugendamtes E. wurde die Kindsmutter wegen versuchten Rauschgiftschmuggels am 17. März 2000 in Brasilien verhaftet und hatte mit einer mehrjährigen Haftstrafe zu rechnen. Ihre Wohnung wurde zum 31. März 2000 aufgelöst. Der gewöhnliche Aufenthalt sei deshalb spätestens zum 31. März 2000 aufgegeben worden. Mit Schreiben vom 29. Juni 2000 bat der Kläger den Beklagten um Kostenerstattung. Der Kindsvater lebe in den USA. Die Kindsmutter habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt. Die örtliche Zuständigkeit richte sich nunmehr nach § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, weil S.W. vor der Erstunterbringung bis zum 30. August 1989 bei der Mutter im Bereich des Beklagten gelebt habe, so dass dessen örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gegeben sei. Der Beklagte lehnte eine Kostenerstattungspflicht ab. Maßgeblich für die Zuständigkeit sei der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes vor Leistungsbeginn. Dies sei der 1. Februar 1990, da ab diesem Tag Hilfe zur Erziehung auf der Grundlage der §§ 27, 34 SGB VIII gewährt worden sei.

Ein an den Beigeladenen gerichtetes Kostenerstattungsbegehren des Klägers wurde von diesem abgelehnt.

2. Am 4. Dezember 2003 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Ansbach mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, ihm die ihm Rahmen der Jugendhilfe im Zeitraum vom 1. April 2000 bis 17. Januar 2002 durch S.W. entstandenen Kosten der Hilfe zur Erziehung in Höhe von 9.926,02 EUR zu erstatten. Der Beigeladene habe gemäß § 89 e Abs. 1 SGB VIII einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten, weil S.W. vor der Aufnahme in eine andere Familie zuletzt mit der Mutter in B.W. (Bereich des Beklagten) einen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe. Der Beigeladene wäre wiederum dem Kläger gemäß § 89 a i.V.m. § 86 Abs. 4 SGB VIII zur Erstattung verpflichtet. Gemäß § 89 e Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 89 a Abs. 2 SGB VIII sei deshalb der Kostenerstattungsanspruch des Klägers unmittelbar an den Beklagten zu richten.

Mit Beschluss vom 21. Juni 2004 wurde der Beigeladene zum Verfahren beigeladen.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 29. September 2004 ab. Seit dem Wegfall des gewöhnlichen Aufenthalts der Kindsmutter in E. richte sich die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 4 SGB VIII. Hinsichtlich des nach § 86 Abs. 4 SGB VIII maßgeblichen Zeitpunkts des „Beginns der Leistung” sei auf das Einsetzen der Hilfe zur Erziehung in Form der Heimunterbringung durch ...

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