Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Erklärung des Bürgen mit Nichtwissen. Baugewerbe. Arbeitnehmerentsendung. selbständige Betriebsabteilung. Bürgenhaftung. Erklärung des Bürgen mit Nichtwissen
Orientierungssatz
1. In Entsendefällen besteht keine Vermutung dafür, dass ein Bauarbeitgeber mit Sitz im Ausland zur Ausführung von Bauarbeiten in Deutschland dort eine selbständige Betriebsabteilung unterhalten hat.
2. Hat die ULAK die äußeren Umstände dargetan, unter denen ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland in Deutschland bauliche Leistungen erbracht hat und die Einrichtung einer eigenen Leitungsebene in Deutschland zur Durchführung der Bauarbeiten behauptet, kann ein von der ULAK gemäß § 1a Satz 1 AEntG für Beitragsschulden in Anspruch genommener Bürge anders als der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland grundsätzlich die Behauptungen der ULAK gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten.
Normenkette
AEntG §§ 1, 1a; SGB III § 211 Abs. 1; ZPO § 138; Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999 § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 2007 – 4 Sa 747/06 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte aufgrund ihrer Bürgenhaftung Urlaubskassenbeiträge iHv. 18.979,64 Euro für die Monate September 2001 bis Januar 2002 an den Kläger abzuführen hat.
Der Kläger ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK). Diese ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und hat insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der tariflichen Urlaubsvergütung zu sichern. Zur Finanzierung ihrer Leistungen erhebt sie von den Arbeitgebern Beiträge, die sie von außerhalb Deutschlands ansässigen Arbeitgebern selbst einzieht. Den Beitragseinzug regelte im Anspruchszeitraum der allgemeinverbindliche Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 20. Dezember 1999.
Die Beklagte handelt mit Baustählen und lässt diese von Subunternehmern verlegen. Sie beauftragte das Bauunternehmen I mit Sitz in der Türkei (Subunternehmerin) mit der Erbringung von Baustahlverlegearbeiten auf den Baustellen “T…” in F… und “Fr…” in N…. Die Subunternehmerin unterhielt in Ne… eine Niederlassung. In der Gewerbeanmeldung vom 23. Oktober 2000 meldete sie “Stahlarmierungen” an. Die Beklagte verlangte vor der Erteilung des Auftrags von der Subunternehmerin ua. den Nachweis einer ordnungsgemäßen Anmeldung bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK) und der ULAK. Die Subunternehmerin übermittelte der Beklagten daraufhin zwei Schreiben der ZVK und ein Schreiben der ULAK. Im Schreiben vom 22. März 2001 teilte die ZVK der Subunternehmerin deren Betriebskenn-Nummer mit, unter der auch das Beitragskonto der Subunternehmerin geführt wurde. Im Schreiben vom 20. April 2001 bescheinigte die ZVK, dass nach den ihr vorliegenden Unterlagen die Subunternehmerin ihrer Verpflichtung zur Zahlung der Sozialkassenbeiträge sowie der Winterbau-Umlage zur Aufbringung der Mittel für die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft ordnungsgemäß nachgekommen ist. Im Schreiben der ULAK an die Subunternehmerin vom 20. März 2001 heißt es ua., dass für diese ein Beitragskonto eingerichtet worden ist.
Die Subunternehmerin setzte zur Ausführung der Baustahlverlegearbeiten auf den Baustellen “T…” in F… und “Fr…” in N… auch aus der Türkei nach Deutschland entsandte Arbeitnehmer ein. Diese waren zum deutschen Arbeitsmarkt zugelassen. Für die Monate September 2001 bis Januar 2002 meldete die Subunternehmerin der ULAK beitragspflichtige Bruttolöhne der auf den Baustellen in F… und in N… eingesetzten Arbeitnehmer iHv. insgesamt 186.092,73 Euro. Aufgrund der in den Kalenderjahren 2001 und 2002 maßgeblichen Beiträgssätze errechnete sich für die Monate September 2001 bis Januar 2002 ein Urlaubskassenbeitrag iHv. 26.535,31 Euro. Die Subunternehmerin entrichtete Urlaubskassenbeiträge iHv. insgesamt 7.555,66 Euro. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Verpflichtung der Subunternehmerin zur Teilnahme am Urlaubskassenverfahren liegt nicht vor.
Nach der Beendigung der Baustahlverlegearbeiten Ende Januar 2002 zahlte die Beklagte der Subunternehmerin den sich aus deren Schlussabrechnung ergebenden Restbetrag aus. In einem Schreiben vom 14. Mai 2002 unterrichtete die ULAK die Beklagte über die selbstschuldnerische Bürgenhaftung nach § 1a AEntG und teilte ihr mit, dass die Subunternehmerin die geschuldeten Urlaubskassenbeiträge nicht vollständig entrichtet habe. In einem weiteren Schreiben vom 6. September 2002 verlangte die ULAK von der Beklagten aufgrund deren selbstschuldnerischer Bürgenhaftung ohne Erfolg die Zahlung von 18.979,64 Euro.
Die ULAK hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte gemäß § 1a Satz 1 AEntG als Bürgin für die von der Subunternehmerin gemeldeten, aber nicht abgeführten Urlaubskassenbeiträge. Die Subunternehmerin habe im Klagezeitraum zur Ausführung der Baustahlverlegearbeiten in Deutschland in Ne… eine räumlich und organisatorisch von ihrem Betrieb in Ankara abgegrenzte, vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasste selbständige Betriebsabteilung unterhalten. Die Betriebsabteilung in Ne… habe über eigene Betriebsmittel verfügt. Für die Annahme einer selbständigen Betriebsabteilung sprächen auch die große Entfernung zwischen dem Betriebssitz der Subunternehmerin in der Türkei und den Baustellen in Deutschland, die Art der von den ca. 20 nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern verrichteten Tätigkeit sowie der Umstand, dass kein Austausch von Arbeitnehmern bei der Ausführung der Arbeiten in der Türkei und in Deutschland stattgefunden habe. Der Einsatz der mit den auszuführenden Arbeiten betrauten Mitarbeiter habe vor Ort organisiert und koordiniert werden müssen. Dies spreche dafür, dass die damit verbundenen Arbeitsvorgänge nicht am Hauptsitz der Subunternehmerin in der Türkei, sondern vor Ort, also auf den Baustellen in Deutschland erfolgt seien. In Entsendefällen bestehe ohnehin eine Vermutung für die Existenz einer selbständigen Betriebsabteilung.
Die ULAK hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 18.979,64 Euro nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. November 2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Subunternehmerin habe im Klagezeitraum in Deutschland nur über eine Postanschrift verfügt und in Ne… keine selbständige Betriebsabteilung unterhalten. Um eine Postanschrift zu erhalten, habe die Subunternehmerin in Ne… in einem Wohngebäude eine Wohnung gemietet. Eine selbständige Betriebsabteilung der Subunternehmerin sei zur Ausführung der von ihren Arbeitnehmern in Deutschland verrichteten Baustahlverlegearbeiten auch nicht erforderlich gewesen. Über eigene Betriebsmittel habe die Subunternehmerin in Deutschland nicht verfügt. Diese habe die Verlegung des Baustahls auf den einzelnen Baustellen in Deutschland nicht von Ne…, sondern von ihrem Sitz in der Türkei aus gesteuert. Erforderliche Absprachen zwischen ihr und der Subunternehmerin seien nicht über deren Niederlassung in Ne…, sondern über die jeweilige Baustelle erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat mit einem Urteil vom 3. März 2005 (– 6 Sa 1014/04 –) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat der Senat mit Urteil vom 2. August 2006 (– 10 AZR 348/05 –) dieses Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach der Zurückverweisung der Sache das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die ULAK die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die Beklagte beantragt, die Revision der ULAK zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der ULAK hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die ULAK habe nicht nachgewiesen, dass die Subunternehmerin in Ne… eine selbständige Betriebsabteilung unterhalten habe, die den Einsatz der Arbeitnehmer auf den einzelnen Baustellen in Deutschland organisiert und koordiniert habe. Für die Baustahlarmierung würden nur einfachste Werkzeuge benötigt. Deshalb sei maßgebend, wie die Subunternehmerin die Arbeitseinsätze ihrer Arbeitnehmer organisiert habe. Angesichts der Anzahl der von der Subunternehmerin in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer und der Art ihrer Tätigkeit erscheine es nicht zwingend, dass die arbeitsorganisatorische Einsatzplanung der Subunternehmerin für die Baustellen “T…” in F… und “Fr…” in N… von Ne… aus habe erfolgen müssen und nicht ein Vorarbeiter auf jeder Baustelle für den Kontakt zur Baustellenleitung bzw. der Beklagten ausgereicht habe. Hinzu komme, dass als Ansprechpartnerin in der in Ne… von der Subunternehmerin unterhaltenen unselbständigen Zweigstelle stets nur eine kaufmännische Angestellte aufgetreten sei. Die von der Subunternehmerin auf ihren Briefköpfen verwendeten Bezeichnungen “Niederlassung Deutschland” und “Betriebsstätte Deutschland” belegten nicht die Existenz einer selbständigen Betriebsabteilung iSd. Bautarifverträge. Die Schreiben der Subunternehmerin seien im Zusammenhang mit den zur Ausführung der Baustahlverlegearbeiten erforderlichen Genehmigungen zu sehen.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. Die Beklagte schuldet der ULAK nicht aufgrund ihrer Bürgenhaftung gemäß § 1a Satz 1 AEntG Urlaubskassenbeiträge iHv. 18.979,64 Euro für die Monate September 2001 bis Januar 2002. Nach § 1a Satz 1 AEntG in der im Anspruchszeitraum geltenden Fassung haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung einer Bauleistung iSd. § 211 Abs. 1 SGB III (seit dem 1. April 2006 § 175 Abs. 2 SGB III) beauftragt, ua. für die Verpflichtung dieses Unternehmers oder eines Nachunternehmers zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die ULAK hat den ihr obliegenden Nachweis nicht erbracht, dass die Subunternehmerin im Klagezeitraum Arbeitgeberin iSv. § 1 Abs. 1 Satz 1 AEntG war und deshalb nach § 1 Abs. 3 Satz 2 AEntG Beiträge zur Urlaubskasse zu entrichten hatte.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist für die Frage der Teilnahme der Subunternehmerin am Urlaubskassenverfahren zunächst maßgebend, ob in den Kalenderjahren des Anspruchszeitraums im Betrieb der Subunternehmerin arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter § 1 Abs. 2 Abschn. I bis V VTV fallen, wobei es auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder auf handels- und gewerberechtliche Kriterien nicht ankommt (BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 344/05 – AP AEntG § 1 Nr. 25 = EzA AEntG § 1 Nr. 10; 8. März 2006 – 10 AZR 392/05 –; 28. Juli 2004 – 10 AZR 580/03 – BAGE 111, 302, 309; 14. Januar 2004 – 10 AZR 182/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 263; 23. August 1995 – 10 AZR 105/95 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 193 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 79). Das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, dass bei Berücksichtigung der in der Türkei und in Deutschland in den Kalenderjahren des Klagezeitraums ausgeführten Arbeiten der überwiegende Anteil der Gesamtarbeitszeit der Arbeitnehmer der Subunternehmerin auf die Erbringung baulicher Leistungen entfiel. Dagegen richtet sich auch kein Angriff der Revision.
2. Auch wenn im Betrieb der Subunternehmerin nicht ausschließlich Baustahlverlegearbeiten und damit Armierungsarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 5 VTV (BAG 3. Mai 2006 – 10 AZR 344/05 – AP EntG § 1 Nr. 25 = EzA AEntG § 1 Nr. 10) ausgeführt worden sind, sondern arbeitszeitlich überwiegend andere, von § 1 Abs. 2 Abschn. I bis V VTV nicht erfasste Tätigkeiten, schließt dies allerdings die Anwendung der allgemeinverbindlichen Bestimmungen des Urlaubskassenverfahrens in der Bauwirtschaft und damit eine Bürgenhaftung der Beklagten nach § 1a Satz 1 AEntG noch nicht aus.
a) Für die Erstreckung der tariflichen Bestimmungen des Urlaubskassenverfahrens ist dann maßgebend, ob die Subunternehmerin gemäß der Behauptung der ULAK im streitbefangenen Zeitraum in Deutschland eine Betriebsabteilung iSd. § 211 Abs. 1 SGB III und eine selbständige Betriebsabteilung iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. VI VTV unterhalten hat, deren Arbeitnehmer die Baustahlverlegearbeiten auf den Baustellen “T…” in F… und “Fr…” in N… erbracht haben. Die von der ULAK nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen nicht den Schluss, dass dies der Fall war.
aa) Die gesetzliche Fiktion in § 1 Abs. 4 AEntG aF, wonach für die Zuordnung zum betrieblichen Geltungsbereich eines erstreckten Tarifvertrags die vom Arbeitgeber mit Sitz im Ausland im Inland eingesetzten Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit als Betrieb galten, bezog sich schon dem Wortlaut nach nicht auf den Betriebsbegriff des § 1 Abs. 1 AEntG aF. Diese zum 1. Januar 2004 durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2848) aufgehobene Vorschrift kann auch für die Zuordnung der von der Subunternehmerin in den Jahren 2001 und 2002 nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer zum VTV und BRTV nicht angewandt werden. Der Europäische Gerichtshof (25. Oktober 2001 – C-49/98 ua. – [Finalarte ua.] EuGHE I 2001, 7884) hat diese Regelung als gemeinschaftsrechtlich unzulässige Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 59, 60 EG-Vertrag, jetzt Art. 49, 50 EG) beanstandet. Der Gesetzgeber hat deshalb § 1 Abs. 4 AEntG aF aufgehoben und in § 1 Abs. 1 Satz 1 AEntG aF vor dem Wort “überwiegend” die Wörter “oder die selbständige Betriebsabteilung im Sinne des fachlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages” eingefügt (Art. 92 Nr. 1 Buchst. b und Nr. 1 Buchst. a des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 – BGBl. I S. 2848). Mit dieser Änderung des AEntG hat der Gesetzgeber nicht nur auf einen eigenständigen Betriebsbegriff in Bezug auf Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedsland der EG verzichtet (BT-Drucks. 15/1515 S. 131). Er hat damit auch von einer Sonderregelung für Arbeitgeber mit Sitz außerhalb der EG abgesehen. Die Anwendung des aufgehobenen § 1 Abs. 4 AEntG aF durch Organe – auch Gerichte – der EG-Mitgliedstaaten ist nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung unzulässig. Dies gilt auch, wenn es sich – wie hier – um Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Änderung handelt und der Arbeitgeber seinen Sitz nicht in einem EG-Mitgliedsstaat hatte (BAG 21. November 2007 – 10 AZR 782/06 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 297 = EzA AEntG § 1 Nr. 11; 28. September 2005 – 10 AZR 28/05 – EzA AEntG § 1 Nr. 9 mwN).
bb) Das erstreckte Tarifrecht der Bauwirtschaft erfasst nicht nur Betriebe des Baugewerbes. § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 2 BRTV und § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 Satz 2 VTV in den im Klagezeitraum gültigen Fassungen regeln, dass selbständige Betriebsabteilungen Betriebe iSd. Tarifvertrags sind. Nach den mit Wirkung vom 1. September 2002 für allgemeinverbindlich erklärten Neufassungen des BRTV (AVE vom 30. Januar 2003, Bekanntmachung im BAnz. Nr. 34 vom 19. Februar 2003 S. 3025) und des VTV (AVE vom 30. Oktober 2002, Bekanntmachung im BAnz. Nr. 218 vom 22. November 2002 S. 25297) vom 4. Juli 2002 gilt nach dem in § 1 Abs. 2 Abschn. VI Unterabs. 1 neu eingefügten Satz 3 auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die außerhalb der stationären Betriebsstätte eines nicht baugewerblichen Betriebs baugewerbliche Arbeiten ausführt, als selbständige Betriebsabteilung. Diese Neuregelung ist für den streitbefangenen Zeitraum allerdings ohne Bedeutung.
cc) Eine Betriebsabteilung ist nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzter Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (BAG 26. September 2007 – 10 AZR 415/06 – NZA 2007, 1442; 28. September 2005 – 10 AZR 28/05 – EzA AEntG § 1 Nr. 9; 25. Januar 2005 – 9 AZR 146/04 – BAGE 113, 238). Das zusätzliche tarifliche Merkmal der Selbständigkeit in § 1 Abs. 2 Abschn. VI VTV erfordert eine auch für Außenstehende wahrnehmbare räumliche und organisatorische Abgrenzung sowie einen besonders ausgeprägten spezifischen arbeitstechnischen Zweck (BAG 21. November 2007 – 10 AZR 782/06 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 297 = EzA AEntG § 1 Nr. 11; 25. Januar 2005 – 9 AZR 146/04 – aaO; 25. Januar 2005 – 9 AZR 44/04 – BAGE 113, 247; 24. November 2004 – 10 AZR 169/04 – BAGE 113, 21). Eine bloße betriebsinterne Spezialisierung der Art, dass getrennte Arbeitsgruppen jeweils bestimmte Aufgaben versehen, genügt für die Annahme einer selbständigen Betriebsabteilung nicht (BAG 13. Mai 2004 – 10 AZR 120/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 265). Keine organisatorisch abgegrenzten Betriebsteile sind Baustellen eines Bauunternehmens, auch wenn auf jeder ein fester Arbeitnehmerstamm tätig ist, der zwischen den verschiedenen Baustellen jedenfalls für deren Dauer nicht ausgetauscht wird (BAG 26. September 2007 – 10 AZR 415/06 – aaO). Eine selbständige Betriebsabteilung liegt dagegen vor, wenn der ausländische Arbeitgeber in Deutschland eine Niederlassung unterhält, von der aus er den Einsatz der von ihm entsandten Arbeitnehmer koordiniert (BAG 21. November 2007 – 10 AZR 782/06 – aaO; 25. Januar 2005 – 9 AZR 44/04 – aaO). Die Voraussetzung einer für Außenstehende wahrnehmbaren räumlichen und organisatorischen Abgrenzung vom Gesamtbetrieb ist in einem solchen Fall erfüllt.
b) Daran gemessen rechtfertigen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, dass die Subunternehmerin im Klagezeitraum in Ne… eine selbständige Baubetriebsabteilung unterhalten hat.
aa) Entgegen der Auffassung der ULAK besteht in Entsendefällen keine Vermutung dafür, dass ein Bauarbeitgeber mit Sitz im Ausland zur Ausführung von Bauarbeiten in Deutschland dort eine selbständige Betriebsabteilung unterhält. Zwar könnte eine solche Vermutung im Gegensatz zur gesetzlichen Fiktion in § 1 Abs. 4 AEntG aF, wonach für die Zuordnung zum betrieblichen Geltungsbereich eines erstreckten Tarifvertrags die vom Arbeitgeber mit Sitz im Ausland im Inland eingesetzten Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit als Betrieb galten, widerlegt werden. Gleichwohl würde eine solche Vermutung Bauarbeitgeber mit Sitz im Ausland gegenüber Bauarbeitgebern mit Sitz im Inland benachteiligen und wäre deshalb eine gemeinschaftsrechtlich unzulässige Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 59, 60 EG-Vertrag, jetzt Art. 49, 50 EG).
bb) Zu Unrecht meint die ULAK auch, das Landesarbeitsgericht hätte aufgrund der Hinweise des Senats im Urteil vom 2. August 2006 (– 10 AZR 348/05 –) annehmen müssen, im Klagezeitraum habe in Ne… eine selbständige Betriebsabteilung bestanden. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausdrücklich festgestellt, dass das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Subunternehmerin in Ne… eine selbständige Betriebsabteilung iSd. allgemeinverbindlichen Bautarifverträge unterhalten hat, von der aus die Subunternehmerin die Ausführung der im Auftrag der Beklagten erbrachten Baustahlverlegearbeiten koordiniert und den Einsatz der dazu beschäftigten Arbeitnehmer geleitet hat. Er hat in jener Entscheidung nur darauf hingewiesen, dass die vom Betriebssitz in der Türkei weit entfernte Niederlassung der Subunternehmerin in Ne… und die in der Gewerbeanmeldung vom 23. Oktober 2000 angemeldeten Stahlarmierungen für eine selbständige Betriebsabteilung in Ne… sprechen könnten und dass offensichtlich auch die Beklagte das Bestehen einer selbständigen Betriebsabteilung der Subunternehmerin in Deutschland für möglich gehalten hat, weil sie selbst vorgetragen hatte, sie habe vor der Erteilung des Auftrags von der Subunternehmerin ua. den Nachweis einer ordnungsgemäßen Anmeldung bei der ZVK und bei der ULAK verlangt.
cc) Auch soweit die ULAK geltend macht, der Einsatz der Arbeitnehmer der Subunternehmerin habe vor Ort, also auf den Baustellen in Deutschland, organisiert und koordiniert werden müssen, rechtfertigt dieses Vorbringen nicht den Schluss auf die Existenz eines vom Gesamtbetrieb der Subunternehmerin abgegrenzten Betriebsteils in Ne…, der, für Außenstehende wahrnehmbar, mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen besonders ausgeprägten spezifischen arbeitstechnischen Zweck verfolgt hat. Es trifft zwar zu, dass die Verlegung von Baustahl eine Einsatzplanung erfordert. Diese musste jedoch nicht von Ne… aus vorgenommen werden. Die ULAK bringt selbst vor, dass der Einsatz der Arbeitnehmer der Subunternehmerin vor Ort, also auf den Baustellen “T…” in F… und “Fr…” in N…, erfolgen musste. Baustellen sind keine organisatorisch abgegrenzten Betriebsteile eines Bauunternehmens, selbst dann nicht, wenn auf jeder Baustelle ein fester Arbeitnehmerstamm tätig ist, der nicht ausgetauscht wird (BAG 26. September 2007 – 10 AZR 415/06 – NZA 2007, 1442).
dd) Allerdings darf sich ein Arbeitgeber mit Sitz im Ausland bei einer deutlichen räumlichen Trennung der Tätigkeitsbereiche im Ausland und in Deutschland bei einem Einsatz einer eigenen Personaleinheit zur Erfüllung der mit deutschen Unternehmen abgeschlossenen Werkverträge und bei der Verwendung von speziell auf die in Deutschland ausgeführten baugewerblichen Arbeiten ausgerichteten Arbeitsmitteln nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, alle Leitungsaufgaben seien vom Ausland aus wahrgenommen worden, wenn er das schlüssige Vorbringen der ULAK zum Bestehen einer selbständigen Betriebsabteilung in Deutschland bestreitet (BAG 21. November 2007 – 10 AZR 782/06 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 297 = EzA AEntG § 1 Nr. 11 mwN). Hat die ULAK ihrer Darlegungslast genügt, indem sie die äußeren Umstände dargetan hat, unter denen ein ausländischer Arbeitgeber in Deutschland bauliche Leistungen erbracht hat, und behauptet, der Arbeitgeber mit Sitz im Ausland habe für die Durchführung der Werkverträge eine eigene Leitungsebene eingerichtet, hat sich der von der ULAK in Anspruch genommene Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 2 ZPO konkret zu äußern. Eine Erklärung des Arbeitgebers mit Nichtwissen ist nach § 138 Abs. 4 ZPO in einem solchen Fall nicht zulässig. Die Beklagte hat die zur Ausführung der Baustahlverlegearbeiten eingesetzten Arbeitnehmer jedoch nicht selbst beschäftigt, so dass sie anders als die Subunternehmerin konkrete Angaben zur Organisation und zur Leitung dieses Einsatzes nicht machen kann. Die Voraussetzungen einer Erkundigungspflicht der Beklagten sind nicht erfüllt. Die Baustahlverlegearbeiten wurden nicht im Rahmen einer arbeitsteiligen Organisation im Geschäfts- oder Verantwortungsbereich der Beklagten, sondern auf der Grundlage eines Werkvertrags mit der Subunternehmerin ausgeführt. Die Beklagte hat diese zwar mit der Ausführung von Baustahlverlegearbeiten auf den Baustellen “T…” in F… und “Fr…” in N… beauftragt. Diese Auftragserteilung allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme, dass die Baustahlverlegearbeiten im Geschäfts- oder Verantwortungsbereich der Beklagten verrichtet worden sind (vgl. BAG 2. August 2006 – 10 AZR 688/05 – BAGE 119, 170, 180).
ee) Schließlich rügt die ULAK ohne Erfolg, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, die von der Subunternehmerin auf ihren Briefköpfen verwendeten Bezeichnungen “Niederlassung Deutschland” und “Betriebsstätte Deutschland” belegten noch nicht die Existenz einer selbständigen Betriebsabteilung der Subunternehmerin in Ne…. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, diese im Geschäftsverkehr verwendeten Bezeichnungen seien im Zusammenhang mit den zur Ausführung der Baustahlverlegearbeiten in Deutschland erforderlichen Genehmigungen zu sehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine auch für Außenstehende wahrnehmbare personelle und organisatorische Abgrenzung der Niederlassung vom Gesamtbetrieb kann aus den verwendeten Briefköpfen nicht abgeleitet werden.
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Zielke, Mehnert
Fundstellen
EzA-SD 2009, 12 |
NZA-RR 2009, 541 |
ArbRB 2009, 131 |