Leitsatz (amtlich)

Zahlt die Krankenkasse einem infolge eines Unfalls arbeitsunfähigen Arbeitnehmer Verletztengeld (§ 560 RVO), weil der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigert, so geht ein etwaiger Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Lohnfortzahlung nicht kraft Gesetzes auf die Berufsgenossenschaft über.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 7, §§ 189, 560; BGB §§ 421, 426, 683

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 14.05.1973; Aktenzeichen 1 Sa 190/73)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 1973 – 1 Sa 190/73 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Beklagte beschäftigt in seinem Baugeschäft seit elf Jahren Herrn K… W… als Bauhelfer. Eines Tages bat ein Herr K… Herrn W…, ihm bei seinem Hausbau zu helfen. Herr W…, der bereits am Hausbau des Onkels des Herrn K… mitgeholfen hatte, sagte zu, ohne den Beklagten hierüber zu informieren.

Am Samstag, dem 15. Juli 1972, einem Tag, an welchem im Betrieb des Beklagten nicht gearbeitet wurde, nahm Herr W… seine Tätigkeit am Bau des Herrn K… auf; er erlitt jedoch bereits nach einer Stunde durch einen herabfallenden Stein eine Fingerquetschung. Gleichwohl setzte er seine Arbeit bis um 17.00 Uhr fort und ließ sich dann verbinden. Am Montag, dem 17. Juli 1972, stellte der Arzt einen Bruch des Daumenendgliedes fest und attestierte Herrn W… Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 20. August 1972. Der Beklagte weigerte sich, an Herrn W… die Lohnfortzahlung zu erbringen. Die AOK W… teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom 4. August 1972 mit und zahlte an Herrn W… im Auftrag der Klägerin für die Zeit bis zum 20. August 1972 Verletztengeld in Höhe von 826,54 DM.

Am 26. September 1972 versuchte ein Mitarbeiter der AOK W…, von Herrn W… eine Abtretungserklärung bezüglich des Anspruchs gegen den Beklagten auf Lohnfortzahlung zu erhalten, und zwar “in Höhe des Verletztengeldes”, traf jedoch nicht Herrn W…, sondern nur dessen Ehefrau an; diese unterschrieb die ihr vorgelegte Abtretungserklärung.

Mit der am 28. September 1972 bei Gericht eingegangenen Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Ersatz des Verletztengeldes von 826,54 DM in Anspruch zuzüglich eines Betrages von 40,53 DM, den sie der AOK W… als Verwaltungskostenersatz auf Grund einer Allgemeinen Verwaltungsvereinbarung entrichten mußte. Sie hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 867,07 DM zu verurteilen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hält den Anspruch gemäß § 16 BRTV Bau für verfallen. Die Abtretung ist nach seiner Ansicht unwirksam, weil Frau W… ohne Vertretungsvollmacht gehandelt und Herr W… die Genehmigung verweigert habe. Herr W… habe überdies keinen Lohnfortzahlungsanspruch, weil er den Unfall bei einer von der Rechtsordnung mißbilligten Nebenbeschäftigung erlitten habe. Gemäß § 12 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren BRTV Bau sei Schwarzarbeit unzulässig.

Die Klägerin ist in beiden Vorinstanzen unterlegen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt sie das Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Bereits die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein etwaiger Lohnfortzahlungsanspruch des Bauhelfers W… gegen den Beklagten sei auf die Klägerin nicht übergegangen, hält den Angriffen der Revision stand.

1. Ein gesetzlicher Forderungsübergang, auf den sich die Klägerin selbst nicht berufen hat, scheidet aus. Er ist in § 560 RVO nicht vorgesehen. Diese Vorschrift, die die Verpflichtung des Trägers der Unfallversicherung zur Gewährung von Verletztengeld regelt, enthält keine dem § 182 Abs. 7 RVO entsprechende Bestimmung, die die Überleitung des Lohnfortzahlungsanspruchs auf die Krankengeld gewährende gesetzliche Krankenkasse anordnet.

Eine analoge Anwendung des § 182 Abs. 7 RVO zugunsten des Trägers der Unfallversicherung läßt sich nicht rechtfertigen. Denn der Gesetzgeber hat offenbar bewußt davon abgesehen, eine dem § 182 Abs. 7 RVO entsprechende Vorschrift in § 560 RVO aufzunehmen. Der gesetzliche Forderungsübergang auf die Krankenkasse ist erst durch Art. 2 Nr. 6d des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle und über Änderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung vom 27. Juli 1969 (BGBl. I, 946) – also zugleich mit der gesetzlichen Lohnfortzahlung an Arbeiter – eingeführt worden. Da auch ein Arbeitsunfall den Anspruch auf Lohnfortzahlung auslösen kann und § 560 RVO in diesem Falle dem Verletzten Verletztengeld nur zuspricht, “soweit er Arbeitsentgelt nicht erhält”, kann im Bereich der Unfallversicherung die dem Gesetzgeber sicher bekannte gleiche Sachlage eintreten wie im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nach §§ 189, 182 Abs. 7 RVO: Der Träger der Unfallversicherung hat an den arbeitsunfähigen Arbeiter Verletztengeld zu zahlen, soweit der Arbeitgeber diesem die Lohnfortzahlung verweigert. Nichts spricht dafür, daß der Gesetzgeber versehentlich die Aufnahme einer dem § 182 Abs. 7 RVO entsprechende Regelung in § 560 RVO unterlassen hätte (ebenso Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., P 234; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 562 g).

Von der vorstehenden Rechtslage gehen offenbar auch die Spitzenverbände der Berufsgenossenschaften und der Krankenkassen aus. Sie haben in ihrer Verwaltungsvereinbarung über Berechnung und Auszahlung des Verletztengeldes vom 28. Juni 1963 i.d.F. vom 30. Januar 1973 (abgedruckt bei Eckert, Sozialversicherungsgesetze – Unfallversicherung) bei § 560 RVO folgendes in Form einer Protokollnotiz u.a. festgelegt:

“a) Erfüllt der Arbeitgeber den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht, so wird die Krankenkasse Verletztengeld (Verletztengeld-Spitzbetrag) zahlen. Der Arbeitnehmer hat in diesen Fällen seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Höhe des Verletztengeldes (Verletztengeld-Spitzbetrages) an den Unfallversicherungsträger abzutreten. Die Krankenkasse veranlaßt die Abtretung und leitet die Abtretungserklärung unverzüglich an den Unfallversicherungsträger weiter, der den Anspruch ggf. gegenüber dem Arbeitgeber verfolgt.”

Diese Vereinbarung setzt das Fehlen eines gesetzlichen Forderungsübergangs auf die Berufsgenossenschaften voraus.

2. Ein rechtsgeschäftlicher Übergang des Lohnfortzahlungsanspruchs auf die Klägerin ist vom Landesarbeitsgericht zu Recht verneint worden. Frau W… hat nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ohne Vollmacht ihres Ehemannes und ohne dessen nachfolgende Genehmigung die ihr vorgelegte Abtretungserklärung unterschrieben. Herr W… war entgegen der Ansicht der Revision nicht verpflichtet, danach der Klägerin sein fehlendes Einverständnis mitzuteilen; es wäre vielmehr Sache der Klägerin gewesen, sich über die Meinung des Ehemannes W… als des Alleinberechtigten zu vergewissern.

Nach dem festgestellten Sachverhalt fehlen auch jegliche Anhaltspunkte dafür, daß Herr W… unter dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht für das Handeln seiner Ehefrau eintreten müsse, wie die Revision dies annimmt.

3. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Lohnfortzahlungsanspruch auch nicht gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf die Klägerin übergegangen. Die Anwendung dieser Vorschrift würde voraussetzen, daß zwischen der Lohnfortzahlungsschuld des Beklagten und der Pflicht der Klägerin zur Gewährung von Verletztengeld ein Gesamtschuldverhältnis i.S. des § 421 BGB anzunehmen wäre. Ein solches Gesamtschuldverhältnis ließe sich hier nicht aus dem gemeinsamen Entstehungsgrund beider Verpflichtungen herleiten, sondern allenfalls aus ihrem gemeinsamen rechtlichen Zweck, den Arbeiter während der durch den Unfall herbeigeführten Arbeitsunfähigkeit wirtschaftlich zu sichern. Es kann offen bleiben, ob damit überhaupt eine rechtliche Zweckgemeinschaft der Art zu rechtfertigen wäre, wie sie nach bürgerlichem Recht zur Begründung eines Gesamtschuldverhältnisses führen kann (vgl. BGH GS, BGHZ 43, 227). Denn nach der unter Nr. 1 dargestellten Regelung in § 560 RVO hat das Gesetz vom 27. Juli 1969 bewußt davon abgesehen, einen gesetzlichen Forderungsübergang des Lohnfortzahlungsanspruchs zugunsten der Berufsgenossenschaften vorzusehen. An diesem erkennbaren Willen des Gesetzgebers scheitert die Annahme eines gesetzlichen Forderungsüberganges in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 426 Abs. 2 BGB.

Aus dem letzteren Grund läßt sich die gesetzliche Überleitung des Lohnfortzahlungsanspruchs auch nicht mit Hilfe des § 683 BGB – Anspruch auf Aufwendungsersatz im Falle der Geschäftsführung ohne Auftrag – begründen. Abgesehen davon läßt sich nicht annehmen, daß die Berufsgenossenschaft in Einklang mit seinem wirklichen oder mutmaßlichen Willen nach § 683 Satz 1 BGB etwaige Lohnfortzahlungspflichten des Beklagten übernommen hätte; denn dieser hat die Lohnfortzahlung schon vor der Gewährung des Verletztengeldes abgelehnt. In einem solchen Fall nimmt der Träger der Berufsgenossenschaft mit der Gewährung von Verletztengeld eigene ihm vom Gesetz übertragene Aufgaben wahr. Aus dem letzteren Grund allein entfällt auch der Anspruch der Klägerin auf Verwaltungskostenersatz.

Angesichts der vorstehenden Rechtslage ist es entbehrlich, auf sonstige dem Erfolg der Klage entgegenstehende Gründe einzugehen.

 

Unterschriften

Dr. Hilger, Siara, Dr. Heither, Dr. Sohler, Heidenreich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1767492

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