Entscheidungsstichwort (Thema)

Höherwertige Dienstleistung einer Praktikantin

 

Normenkette

BGB § 612; ZPO §§ 286, 561, 314, 320

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.03.1992; Aktenzeichen 2 Sa 100/91)

ArbG Reutlingen (Urteil vom 10.09.1991; Aktenzeichen 2 Ca 529/90)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18. März 1992 – 2 Sa 100/91 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch darüber, ob die Klägerin für die Zeit vom 21. November 1989 bis zum 14. Mai 1990 statt erhaltener Vergütung in Höhe der Berufsausbildungsvergütung Anspruch auf Zahlung des einer angelernten Kraft zustehenden Gehalts hat.

Die Parteien schlossen unter dem 31. August 1989 einen schriftlichen Berufsausbildungsvertrag. Danach sollte die am 14. Mai 1969 geborene Klägerin, die ihre Schulausbildung mit dem Abitur abgeschlossen hat, ab 21. August 1989 zur Reisebürokauffrau ausgebildet werden. Die Klägerin war vom 21. August 1989 ab im Reisebüro tätig. Sie erhielt dafür die vertraglich vereinbarte Ausbildungsvergütung von 590,– DM brutto monatlich. Bei Abschluß des Berufsausbildungsvertrages lag der Industrie- und Handelskammer zwar ein Antrag der Beklagten auf Anerkennung als Ausbildungsbetrieb vor, hierüber war aber noch nicht entschieden. Der Berufungsausbildungsvertrag wurde daher auch nicht in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen. Die als verantwortliche Ausbilderin vorgesehene Mitarbeiterin der Beklagten, eine Reisebürokauffrau, setzte die Beklagte im November 1989 davon in Kenntnis, daß sie schwanger sei. Da die Beklagte die Ausbildung der Klägerin jetzt nicht mehr gewährleisten konnte, kündigte sie das Berufsausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 17. November 1989 innerhalb der vereinbarten dreimonatigen Probezeit. Im Zusammenhang mit der Kündigung kamen die Parteien überein, das Berufsausbildungsverhältnis fortzusetzen, sobald der Beklagten wieder ein ausbildungsberechtigter Mitarbeiter zur Verfügung stehe. Ferner einigten sich die Parteien darauf, daß die Klägerin bis zur Wiederaufnahme des Berufsausbildungsverhältnisses weiter im Reisebüro der Beklagten tätig sein solle. Die Beklagte zahlte der Klägerin die Ausbildungsvergütung, die ab Januar 1990 620,– DM brutto monatlich betrug, weiter. Ende Februar 1990 teilte die Beklagte der Klägerin mit, Anfang April werde eine ausbildungsberechtigte Mitarbeiterin eingestellt; das Berufsausbildungsverhältnis könne daher ab 1. März 1990 fortgesetzt werden. Die Industrie- und Handelskammer erkannte die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses jedoch nicht an. Einen neuen Berufsausbildungsvertrag haben die Parteien nicht abgeschlossen. Die Klägerin kündigte ihr Beschäftigungsverhältnis mit Anwaltsschreiben vom 14. Mai 1990 fristlos.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin zunächst für die gesamte Zeit ihrer Tätigkeit bei der Beklagten die Zahlung einer angemessenen Vergütung verlangt. Sie hat vorgetragen: Sie sei von Beginn ihrer Tätigkeit an bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht ausgebildet worden. Sie habe vielmehr die Tätigkeit einer angelernten Arbeitskraft in einem Reisebüro ausüben müssen, das sie zumindest vier Wochen sogar allein geführt habe. Ihr stehe daher für den gesamten Zeitraum der Unterschiedsbetrag zwischen der Vergütung einer angelernten Arbeitskraft und der Vergütung zu, die sie erhalten habe. Die Klägerin hat ihre Ansprüche auf 12.384,59 DM brutto berechnet.

Demgemäß hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.384,59 DM brutto Arbeitslohn nebst 4 % Zinsen seit dem 31. Mai 1990 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, daß die Klägerin im Reisebüro die Tätigkeit einer angelernten Arbeitskraft ausgeübt habe und das Reisebüro verübergehend allein habe führen müssen. Vielmehr habe die Klägerin unter ständiger Betreuung und Überwachung durch die Firmeninhaber gearbeitet. Es sei vereinbart worden, daß die Klägerin bis zur Wiederaufnahme des Ausbildungsverhältnisses ein Praktikum durchführe. Hierfür habe sie die Ausbildungsvergütung weiter erhalten sollen und auch erhalten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin für die Zeit vom 21. November 1989 bis zum 15. Mai 1990 (einschließlich eines zusätzlichen Urlaubstages) einen Anspruch in Höhe von 6.662,81 DM brutto nebst Zinsen zuerkannt. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I. Das Landesarbeitsgericht hat – soweit es der Klage stattgegeben hat – angenommen, die Parteien seien sich darüber einig gewesen, daß die Klägerin ab 21. November 1989 weiterhin im Reisebüro der Beklagten tätig bleiben und bis zum erneuten Abschluß des Berufsausbildungsvertrages ein Entgelt in Höhe der im Berufsausbildungsvertrag ursprünglich vereinbart gewesenen Ausbildungsvergütung erhalten solle. Eine Vereinbarung dieses Inhalts sei zumindest durch schlüssiges Verhalten zustandegekommen. Die Beklagte habe der Klägerin die frühere Ausbildungsvergütung weitergezahlt. Die Klägerin habe durch die Entgegennahme der Zahlung das hierin liegende Angebot der Beklagten angenommen. Weiter hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, selbst wenn die Klägerin entsprechend dem Vortrag der Beklagten als Praktikantin habe weiterbeschäftigt werden sollen, könne sie in entsprechender Anwendung von § 612 Abs. 1 BGB eine höhere als die ihr gewährte Vergütung beanspruchen, weil sie tatsächlich nicht in einem Praktikum, sondern in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt worden sei und weil sie daher höherwertige Dienste, als sie in einem Praktikum zu erbringen seien, verrichtet habe. Auch bei einem Praktikanten stehe die Ausbildungsabsicht im Vordergrund. Nach der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit, welche die Klägerin ab 21. November 1989 im Reisebüro erbracht habe, sei es aber nicht um die Ausbildung der Klägerin gegangen, sondern um die Leistung von Diensten. Dazu hat das Landesarbeitsgericht im einzelnen festgestellt, seitens der Firmenleitung sei nicht ständig im Reisebüro mitgearbeitet worden, außer der Klägerin sei nur noch eine andere Angestellte anwesend gewesen, soweit diese nicht wegen Arbeitsunfähigkeit und wegen ihres Jahresurlaubs gefehlt habe. Die Klägerin habe damals die Tätigkeit einer angelernten Kraft verrichtet. Dazu sei sie nach der früher gewonnenen Ausbildung auch in der Lage gewesen.

Bei diesen Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Klägerin zugrunde gelegt und insoweit hervorgehoben, dieser Vortrag sei von der Beklagten nicht bestritten worden. Von dem sich hiernach ergebenden Sachverhalt hatte auch das Revisionsgericht auszugehen, da es an die Feststellungen der Berufungsinstanz gebunden ist. Insbesondere ist der Senat gebunden an die Feststellung, daß die Beklagte dem Vortrag der Klägerin nicht widersprochen habe. Daß diese Feststellung in den Entscheidungsgründen enthalten ist, steht dem nicht entgegen. Allerdings liefert nach § 314 ZPO der Tatbestand des Urteils Beweis für das mündliche Tatsachenvorbringen, zum Tatbestand im Sinne dieser Vorschrift und i. S. des § 320 ZPO gehören aber auch die in den Urteilsgründen getroffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. BAGE 24, 95 = AP Nr. 2 zu § 9 BUrlG; BAG Urteil vom 8. Dezember 1977 – 3 AZR 530/76 – AP Nr. 176 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu 3 a der Gründe). Wenn die Beklagte die vom Landesarbeitsgericht getroffene Feststellung für unrichtig hielt, mußte sie sich hiergegen mit einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 Abs. 1 ZPO wenden (vgl. BAGE 8, 156, 159 f. = AP Nr. 13 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 8. Dezember 1977 – 3 AZR 530/76 –, aaO). Da die Beklagte einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung nicht gestellt hat, war der Senat an die getroffene Feststellung gemäß § 561 ZPO gebunden.

II. Das Landesarbeitsgericht hat die nach seinen Feststellungen von der Klägerin verrichtete Tätigkeit als diejenige einer angelernten Kraft bewertet. Dies liegt im Bereich der von der Berufungsinstanz vorzunehmenden tatsächlichen Würdigung und kann aus Revisionsgründen nicht beanstandet werden. Soweit das Landesarbeitsgericht für die Vergütung der von der Klägerin erbrachten Leistung die Bestimmung des § 612 BGB als Anspruchsgrundlage herangezogen hat, ist ihm beizupflichten. Wenn ein Arbeitnehmer über den Rahmen des Arbeitsvertrages hinaus höherwertige Dienste leistet, so steht ihm hierfür eine Vergütung in entsprechender Anwendung des § 612 BGB zu. Das entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und ist mit näherer Begründung ausgeführt im Urteil des Dritten Senats vom 16. Februar 1978 (– 3 AZR 723/76 – AP Nr. 31 zu § 612 BGB). Die in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht seinen Überlegungen zutreffend zugrunde gelegt.

Soweit das Landesarbeitsgericht für die Vergütung der Klägerin bestimmte tarifvertragliche Regelungen als Anhaltspunkt zugrunde gelegt hat, bewegt es sich ebenfalls im Bereich der ihm zustehenden tatsächlichen Würdigung. Seine Ausführungen sind auch hier revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Rost, Kreienbaum, Heel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI662658

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