Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenanpassung aufgrund betrieblicher Übung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Arbeitgeber schon vor Inkrafttreten des § 16 BetrAVG Betriebsrenten in regelmäßigen Zeitabständen an die Lohn- oder Preisentwicklung angepaßt, obwohl seine Versorgungsordnung das nicht vorsah, so kann dadurch eine betriebliche Übung entstanden sein. Die daraus folgende Bindung geht jedoch im Zweifel nicht weiter als die Anpassungspflicht nach § 16 BetrAVG, ist also von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens abhängig.

2. Gerät der Arbeitgeber in wirtschaftliche Schwierigkeiten, ist er an die bisher bestehende Anpassungsübung nicht mehr gebunden. Auch den PSV trifft keine Anpassungspflicht, wenn er die Erfüllung der Betriebsrenten in einem solchen Fall übernehmen muß.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 242; BetrAVG §§ 7, 16

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 30.09.1983; Aktenzeichen 9 Sa 425/83)

ArbG Köln (Urteil vom 13.01.1983; Aktenzeichen 13 Ca 6457/81)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 30. September 1983 – 9 Sa 425/83 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom Träger der Insolvenzsicherung (PSV) die Anpassung seiner Betriebsrente entsprechend den Steigerungen der Lebenshaltungskosten.

Der Kläger ist am 21. Juni 1908 geboren. Er trat im Jahre 1935 in die Dienste der A.-Werke AG. Nach Unterbrechungen durch eine andere Tätigkeit und Kriegsdienst nahm er am 1. Oktober 1948 seine Tätigkeit für die A.-Werke wieder auf. Er trat am 31. Dezember 1974 in den Ruhestand. Seine Vergütung betrug zuletzt 2.300,– DM brutto monatlich.

Seit dem 1. Januar 1975 erhält der Kläger eine Betriebsrente in Höhe von 32 % seines letzten Bruttogehalts, das sind 737,– DM monatlich. Nachdem die A.-Werke in Konkurs gefallen waren, übernahm der beklagte PSV die Zahlung dieser Rente ab 1. Mai 1976.

Die A.-Werke gewährten die betriebliche Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, den O. -K. -Ruhegehalts- und Unterstützungsverein e. V. Weder in der Zusage der A.-Werke noch in den Richtlinien der Unterstützungskasse ist eine Anpassung der laufenden Versorgungsleistungen an steigende Löhne oder Lebenshaltungskosten vorgesehen. Bemessungsgrundlage ist das Gehalt in den letzten zwölf Monaten vor Eintritt in den Ruhestand oder, wenn das für den Rentner günstiger ist, das Gehalt der letzten fünf Jahre. Gleichwohl wurden die Bemessungsgrundlagen in den Jahren 1958, 1962, 1965 und zuletzt 1969 für die Rentner angehoben und in die Richtlinien der Unterstützungskasse entsprechende Zusätze eingefügt. Dies geschah in der Weise, daß die Bemessungsgrundlagen je nach dem Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand prozentual zwischen 0 und 200 % erhöht wurden. Bei der letzten Anpassung blieben die Versorgungsfälle aus dem Jahre 1968 unberücksichtigt. Das Konkursverfahren über das Vermögen der A.-Werke wurde am 24. April 1976 eröffnet.

Der Kläger verlangt vom Beklagten die Anpassung seiner Rente vom 1. Mai 1976 an. Er hat die Auffassung vertreten, die Anpassungspraxis der A.-Werke habe eine betriebliche Übung geschaffen, nach der in Abständen von drei bis fünf Jahren die Renten ungefähr nach den Steigerungen der tariflichen Ecklöhne erhöht worden seien. Im Betrieb sei bekannt gewesen, daß die A.-Werke nie einen „Nominalstandpunkt” vertreten hätten. Eine Tochtergesellschaft der Gemeinschuldnerin habe in einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Essen (15 Ca 2010/74) einen solchen Standpunkt auch ausdrücklich abgelehnt. Eine fortlaufende Anpassungsübung ergebe sich ferner aus einem Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 30. Januar 1969. Schließlich sei die Anpassungspraxis in Betriebsversammlungen und in Einzelgesprächen bekannt gemacht worden. Der Betriebsrat sei daran beteiligt worden.

Der Höhe der jeweiligen Neufestsetzungen liege ein Prinzip zugrunde. Die Anpassungen hätten die Steigerungen der Lebenshaltungskosten übertroffen und seien der jeweiligen Lohnentwicklung gefolgt. Mindestens der Lebenshaltungskostenindex müsse als Grundlage der weiteren Rentenanpassungen dienen.

Ein Anspruch auf Anpassung der laufenden Renten folge auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Den Arbeitnehmern A., K., R. und P. sei die betriebliche Praxis schon bei den Einstellungsverhandlungen bekannt gegeben worden. Hieraus ergebe sich ein Vertrauenstatbestand für künftige Anpassungen.

Der Kläger hat beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, die laufende Rente von 737,– DM monatlich wie folgt zu erhöhen:

    1. für die Zeit vom 1.5.1976 bis 1.5.1980 48 × den Mehrbetrag von monatlich 192,60 DM = 9.244,80 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 1.5.1976;
    2. für die Zeit vom 1.5.1980 bis zum 1.5.1983, also für 36 Monate × den monatlichen Mehrbetrag von 349,80 DM = 12.592,80 DM zuzüglich 4 % Zinsen ab jeweiligem Fälligkeitszeitpunkt;
    3. mit Wirkung vom 1.6.1983 die neue monatliche Rente von 1.086,80 DM zu zahlen, zuzüglich 4 % Zinsen ab jeweiligem Fälligkeitszeitpunkt;
  2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, beginnend für die Zeit ab 1.5.1980 in vier Jahreszeiträumen die Rente des Klägers um den Prozentsatz zu erhöhen, der sich aus der Erhöhung des Lebenshaltungsindexes laut Statistischem Bundesamt, Gesamtlebenshaltung, seit Ende Mai 1980 bis Ende Mai 1984 und sofort in vier Jahreszeiträumen ergibt;
  3. alles, sowohl den Zahlungs- als auch den Feststellungsantrag gegebenenfalls mit späterer Wirkung auch für die Witwe,

    hilfsweise,

    das Maß der Anpassung sowohl zum Zahlungsantrag als auch zum Feststellungsantrag zu bemessen nach dem Mittel der Steigerung des Lebenshaltungsindexes und der Steigerung des Eckgehalts – Tarif der Metallindustrie Nordrhein-Westfalen – zu 75 %, in den oben angegebenen Zeiträumen und künftigen Vier-Jahres-Abschnitten;

    1. weiter hilfsweise:

      die Renten neu zu bemessen nach billigem Ermessen für die oben angegebenen oder dem Gericht anzugebenden Zeiträume;

    2. höchst hilfsweise:

      die Rentenerhöhung zu bemessen und dies auch für die Zukunft festzustellen, ab dem Zeitpunkt in dem die Entwertung der Rente seit Eintritt in den Ruhestand am 1.1.1975 40 % oder mehr beträgt und sie um diesen Prozentsatz zu erhöhen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die viermalige Anpassung begründe keinen Anspruch aus betrieblicher Übung. Die Rentenanhebungen seien weder regelmäßig noch nach feststehenden Kriterien vorgenommen worden. Der Arbeitgeber habe sich erkennbar nicht verpflichten wollen, unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage in gleichförmiger Weise die Renten zu erhöhen. Er sei bis 1969 davon ausgegangen, es bestehe nicht einmal ein Rechtsanspruch auf die Rentenzahlung, geschweige denn auf Erhöhungen. Die Arbeitnehmer hätten allenfalls Anpassungen bei gleicher oder sich verbessernder wirtschaftlicher Lage erwarten können. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor; der Kläger ziehe Einzelzusagen zum Vergleich heran, die aus besonderen Anlässen gegeben worden seien.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Pflicht des Trägers der Insolvenzsicherung zur Rentenanpassung verneint.

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, aufgrund ausdrücklicher Zusage oder betrieblicher Übung habe der Kläger von seiner früheren Arbeitgeberin eine Anpassung seiner Betriebsrente nicht verlangen können; deshalb sei auch der PSV nicht zur Anpassung verpflichtet. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zu folgen.

1. Eine ausdrückliche Zusage, die Betriebsrente nach Eintritt des Versorgungsfalles in bestimmter Weise zu erhöhen oder der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen, haben die A.-Werke dem Kläger unstreitig nicht erteilt.

2. Ob die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, eine betriebliche Übung scheide von vornherein aus, kann zweifelhaft sein, aber im Ergebnis offenbleiben. Eine Anpassungspflicht der A.-Werke ginge jedenfalls nicht über das hinaus, was seit dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes durch § 16 BetrAVG bestimmt wird.

a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die viermalige Anhebung der Renten in den Jahren 1958, 1962, 1965 und 1969 lasse für sich allein nach Treu und Glauben noch nicht die Annahme zu, der Arbeitgeber habe verbindlich zum Ausdruck gebracht, er werde auch künftig die Betriebsrenten der Geldentwertung oder den tariflichen Lohnsteigerungen anpassen. Das erkennbare Fehlen eines Bindungswillens folge bereits daraus, daß die A.-Werke die Renten angepaßt hätten, obwohl das in den Versorgungsrichtlinien nicht vorgesehen wurde. Zudem seien die Renten letztmals im Jahre 1969 angehoben, worden, also noch vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes; damals hätten die A.-Werke noch davon ausgehen dürfen, die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung seien bis zum Versorgungsfall verfallbar.

Der Kläger hält dem entgegen, die A.-Werke hätten ungeachtet einer gesetzlichen oder ausdrücklich durch Vertrag begründeten Pflicht wiederholt gegenüber dem Betriebsrat, bei Einstellungen von Arbeitnehmern, im Aufsichtsrat und in Betriebsversammlungen versichert, man werde nicht auf dem „Nominalprinzip” beharren, sondern die bisherige Anpassungspraxis fortsetzen. Dieser Vortrag läßt den Schluß auf eine betriebliche Übung zu. Ob er zutrifft, kann auf sich beruhen.

b) Geht man mit dem Kläger davon aus, daß die A.-Werke durch die tatsächlich vorgenommenen Anpassungen und die Begleitumstände in verbindlicher Form zum Ausdruck gebracht haben, die Anpassungspraxis künftig fortsetzen zu wollen, so könnte darin nur eine sehr allgemeine Verpflichtung gesehen werden. In Betracht käme dann nur eine sog. Blankett-Zusage, die von Fall zu Fall der Ausfüllung nach den Grundsätzen der Billigkeit bedurft hätte (§ 315 BGB) und die auch aus der Sicht der begünstigten Arbeitnehmer nicht mehr besagte, als daß von Zeit zu Zeit die betrieblichen Versorgungsleistungen zu überprüfen seien. Rentenerhöhungen zum vollen Ausgleich der Geldentwertung oder sogar entsprechend der Lohnentwicklung konnten die Betriebsrentner nach Treu und Glauben nur im Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer früheren Arbeitgeberin erwarten. Die Annahme einer Anpassungspflicht in regelmäßigen Abständen und nach festen Bezugsgrößen hätte einen deutlichen Ausdruck finden müssen, etwa in Gestalt einer mehr oder weniger konkreten Spannenklausel.

Seit Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes vom 19. Dezember 1974 (BGBl I, 3610) hat die vom Kläger behauptete betriebliche Übung eine gesetzliche Grundlage gefunden. Nach § 16 BetrAVG müssen alle versorgungspflichtigen Arbeitgeber im Abstand von drei Jahren prüfen und nach billigem Ermessen entscheiden, ob die Betriebsrenten an die Kaufkraftentwicklung anzupassen sind; sie müssen also ähnlich verfahren, wie es bei den A.-Werken schon vorher üblich gewesen sein soll. Auch § 16 BetrAVG sieht eine Anpassung der Betriebsrenten nur unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers vor. Das bedeutet, daß eine Rentenerhöhung abgelehnt werden kann, wenn und soweit dadurch eine übermäßige Belastung des Unternehmens verursacht würde (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 23. April 1985 – 3 AZR 156/83 –, zur Veröffentlichung bestimmt).

c) Die A.-Werke waren zu einer Anpassung der Betriebsrente des Klägers unstreitig außerstande. Schon kurz nach Eintritt des Klägers in den Ruhestand gerieten sie in eine wirtschaftliche Notlage, die schließlich zum Konkurs führte. Auch der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung, der die Versorgungsverpflichtungen übernehmen mußte, ist zu einer Anpassung der gesicherten Betriebsrenten nach den Grundsätzen der Billigkeit im allgemeinen nicht verpflichtet (BAG 42, 117 = AP Nr. 14 zu § 16 BetrAVG). Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn schon die Versorgungszusage eine bindende Spannenklausel enthalten hätte (BAG AP Nr. 3 zu § 7 BetrAVG). Das ist jedoch im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, wie ausgeführt wurde (vorstehend unter b).

II. Auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung kann der Kläger keinen Anpassungsanspruch herleiten.

Das Berufungsgericht hat festgestellt, bei den vom Kläger genannten Einzelfällen handele es sich um individuelle Zusagen, die aus besonderen Anlässen gegeben worden seien. Die Revision hat diese Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht nicht angegriffen. Der Senat ist daher an sie gebunden.

In dem vom Kläger ferner angezogenen Rechtsstreit A. ./. PSV hat das Landesarbeitsgericht Köln mit Urteil vom 11. Mai 1982 – 6 (19) Sa 188/81 – ebenfalls nur eine individuelle Anpassungszusage angenommen und eine betriebliche Übung des vom Kläger behaupteten Inhalts verneint. Die von den A.-Werken tatsächlich durchgeführten Anpassungen hat das Landesarbeitsgericht Köln lediglich als Maßstab für die Höhe des Teuerungsausgleichs betrachtet, der in dem zu beurteilenden Fall zugesagt war.

III. Schließlich läßt sich das Begehren des Klägers nicht mit der Begründung rechtfertigen, die Betriebsrente sei durch den Kaufkraftverlust seit dem Jahre 1976 um nahezu die Hälfte entwertet worden, so daß eine gesetzliche Anpassungspflicht des Beklagten aus § 242 BGB folge.

In seinem Urteil vom 22. März 1983 (BAG 42, 117, 120 = AP Nr. 14 zu § 16 BetrAVG, zu 1 c der Gründe) hat der Senat ausgeführt, daß eine Anpassungspflicht des PSV nach § 16 BetrAVG grundsätzlich nicht besteht. Lediglich für ungewöhnliche und umfassende Wirtschaftseinbrüche hat der Senat eine Ausnahme erwogen: Die deutsche Geschichte zeige, daß Inflationsraten denkbar seien, die so große Not verursachten, daß daran nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch der Träger der Insolvenzsicherung nicht vorbeigehen könne. Hieraus kann der Kläger aber nichts zu seinen Gunsten herleiten. Der Kaufkraftverlust, der seit Mitte der siebziger Jahre eingetreten ist, und den der Kläger nicht hinnehmen will, entspricht im wesentlichen der kontinuierlich verlaufenden Entwicklung seit Jahrzehnten. Die daraus folgenden Härten für die Versorgungsberechtigten sind vom Gesetzgeber erkannt und in § 16 BetrAVG abschließend geregelt worden. Für den Rückgriff auf § 242 BGB bleibt insoweit kein Raum.

 

Unterschriften

Dr. Dieterich zugleich für den Richter am Bundesarbeitsgericht Griebeling, der durch Urlaub an der Unterschriftsleistung verhindert ist., Dr. Peifer, Weinmann, Zilius

 

Fundstellen

Haufe-Index 951836

RdA 1986, 333

ZIP 1986, 1414

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge