Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsentgelt

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 25.11.1998; Aktenzeichen 5 AZR 450/98)

LAG München (Urteil vom 23.04.1998; Aktenzeichen 10 Sa 818/97)

 

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 114,43 (in Worten: einhundertvierzehn 43/100 Deutsche Mark) brutto zu zahlen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf DM 114,43 festgesetzt.

4. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist seit 2.10.1978 als Landarbeiter beim Beklagten in der staatlichen Versuchsgüterverwaltung Achselschwang beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für Landarbeiter (RTV) Anwendung. § 10 Ziffer 2 RTV gesteht dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts „nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) vom 27.7.1969” zu.

Im Februar 1997 war der Kläger vier Tage lang arbeitsunfähig. Für diesen Zeitraum erhielt der Kläger Lohnfortzahlung in Höhe von DM 457,71 brutto und damit nur eine achtzigprozentige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger trägt vor, nach § 10 Ziffer 3 RTV sei der Beklagte verpflichtet, einen Differenzbetrag in Höhe von DM 114,43 brutto zu einer hundertprozentigen-Lohnfortzahlung zu zahlen. Der Kläger ist der Ansicht, unabhängig von der gesetzlichen Neuregelung des § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG sei eine hundertprozentige Entgeltfortzahlung tarifvertraglich vereinbart.

Der Kläger beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 114,43 brutto zu zahlen.

Demgegenüber beantragt der Beklagte, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, bei § 10 Ziffer 2 RTV handle es sich um eine Verweisung auf die gesetzliche Regelung in der jeweils gültigen Form. Damit werde durch den Tarifvertrag über § 4 EFZG die Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts auf 80 % begrenzt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 7.4.1997 und 10.6.1997, sowie des Beklagten vom 21.5.1997 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat gemäß § 10 Ziffer 2 RTV einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % des Arbeitsentgelts. Er hat daher zusätzlich zu den bereits gezahlten DM 457,71 einen Anspruch auf Zahlung – der Höhe nach unstreitiger – DM 114,43 brutto.

Hierbei kann dahinstehen, ob § 10 Ziffer 2 RTV eine konstitutive oder eine deklaratorische Regelung darstellt, ob die Regelung also einen eigenständigen oder einen auf das Gesetz verweisenden Charakter hat. Selbst wenn es sich nur um eine deklaratorische Regelung handelt, bezieht sie sich ihrem klaren Wortlaut nach auf die bei Abschluß des RTV geltende, eine hundertprozentige Lohnfortzahlung vorsehende Regelung des § 1 Abs. 1 S. 1 des Lohnfortzahlungsgesetzes vom 27.7.1969, ist also eine statische deklaratorische Verweisung. Zachert (DB 96, 2078) weist zutreffend darauf hin, daß eine dynamische deklaratorische Verweisung oder Blankettverweisung, also eine Verweisung auf das Gesetz, die künftige Veränderungen des Gesetzes im Zweifel miteinschließt, von beiden Tarifvertragsparteien gewollt sein und im Tarifvertrag durch eine sogenannte Jeweiligkeitsklausel ihren Ausdruck gefunden haben muß.

Im vorliegenden Fall ist jedoch keine dieser beiden Voraussetzungen für die Annahme einer dynamischen Verweisung gegeben. Ganz im Gegenteil haben die Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen der letzten Monate auf der vollen Lohnfortzahlung bestanden und hierfür sogar Zugeständnisse bei Gratifikationen und Prämien gemacht. Es ist ausgeschlossen, daß die tarifschließende Gewerkschaft in Kenntnis des Umstandes, daß die Lohnfortzahlung auf 80 % reduziert werden würde, eine dynamische Verweisung vereinbart hätte.

Unzutreffend ist auch die Ansicht des Beklagten, eine Verweisung auf den Gesetzeswortlaut in einem Tarifvertrag müsse, wenn sie nicht als dynamische Verweisung verstanden werden wolle, ausdrücklich darauf hinweisen, daß sie unabhängig von einer gesetzlichen Neuregelung, also statisch, gelten solle. Umgekehrt muß vielmehr erkennbar sein, daß sich die Verweisung auch auf die geänderte Norm beziehen soll. Die Tarifvertragsparteien haben zwar bei einer deklaratorischen Verweisung auf das Gesetz keinen eigenen Normsetzungswillen, es kann aber auch nicht unterstellt werden, sie entäußerten sich mit der Verweisung auf das Gesetz ihrer eigenen Normsetzungsbefugnis und billigten von vorneherein jede beliebige Gesetzesänderung. Mit Zachert a.a.O. muß daher angenommen werden, daß sich aus der verweisenden Tarifvorschrift eindeutig ergeben muß, daß sie auch für den Fall einer Gesetzesänderung gelten solle. Was § 10 Ziffer 2 RTV betrifft, gibt es hierfür nicht den geringsten Anhaltspunkt.

Die Klage hatte daher Erfolg.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO i.V.m. §...

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