Die Entscheidung ist lediglich im Ansatz zutreffend.

1. Die Verfahrensgebühren von selbstständigem Beweisverfahren und Rechtsstreit sind aufeinander anzurechnen.

2. Auf die Reihenfolge kommt es nicht an. Eine Anrechnung findet unabhängig davon statt, ob das Beweisverfahren vor Anhängigkeit der Hauptsache oder während der Anhängigkeit der Hauptsache eingeleitet wird.

3. Hinsichtlich der Art und Weise der Anrechnung ist der Anwalt dagegen frei. Er kann die Verfahrensgebühr des Beweisverfahrens auf die des Rechtsstreits anrechnen oder auch die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits auf die des Beweisverfahrens. Das folgt eindeutig aus § 15a Abs. 1 RVG, wonach die anzurechnenden Gebühren jeweils selbstständig sind und der Anwalt jede dieser Gebühren verlangen kann, allerdings nicht mehr als das um die Anrechnung reduzierte Gesamtaufkommen.

Die eine oder die andere Vorgehensweise kann jeweils Vorteile haben. Sofern – wie in den Übergangsfällen 2006/2007 das Beweisverfahren noch in einem geringeren Umsatzsteuersatz abzurechnen ist, ist es für die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Partei günstiger, im späteren Verfahren anzurechnen.

Auch bei unterschiedlichen Kostenquoten ist auf die Anrechnung – wie hier – achtzugeben. Werden für das selbstständige Beweisverfahren und den Rechtsstreit unterschiedliche Kostenquoten ausgeworfen, so ist es stets günstiger, die Anrechnung in dem Verfahrensabschnitt vorzunehmen, in dem die Partei eine ungünstigere Kostenerstattungsquote erhalten hat.

4. Auf einen ganz entscheidenden Aspekt sind hier die Beteiligten und das Gericht allerdings nicht eingegangen. Es mutet nämlich sonderbar an, dass drei Gebühren aus einem Gesamtstreitwert von

 
Praxis-Beispiel
 
  17.877,95 EUR
  10.492,94 EUR
  18.326,00 EUR
Gesamt 46.696,89 EUR

in der Lage sein sollen, eine Verfahrensgebühr aus einem Streitwert von 159.634,60 EUR im Wege der Anrechnung zu eliminieren. Dass dies nicht sein kann, liegt auf der Hand. Der durch die verschiedenen Verfahren und die damit verbundene Auflösung der Degression entstandene Vorteil ginge infolge der Anrechnung völlig verloren.

Die Lösung liegt in der entsprechenden Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG.

Kommt es in einem gerichtlichen Verfahren zur Anrechnung mehrerer vorausgegangener Gebühren, die sämtlich anzurechnen sind, dann werden diese Gebühren zwar angerechnet, allerdings in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine Gebühr aus dem höchsten Gebührensatz nach dem Gesamtwert.[1]

Die vom OLG vorgenommene Anrechnung, die auch offenbar so beantragt war, hatte hier nämlich zur Folge, dass der Anwalt aus dem Mehrwert des gerichtlichen Verfahrens gar keine Verfahrensgebühr mehr erhielt.

Die günstigste Variante für die Kläger wäre gewesen, wie folgt anzumelden:

 
Praxis-Beispiel

Beweisverfahren 1 OH 13/05

 
Verfahrensgebühr 787,80 EUR
Postentgeltpauschale 20,00 EUR
Zwischensumme 807,80 EUR
46,44 % der Umsatzsteuer von 19 % in Höhe von 71,28 EUR
Gesamt 879,08 EUR
 
Praxis-Beispiel

Beweisverfahren 1 OH 14/06

 
Verfahrensgebühr 683,80 EUR
Postentgeltpauschale 20,00 EUR
Zwischensumme 703,80 EUR
46,44 % der Umsatzsteuer von 19 % in Höhe von 62,10 EUR
Gesamt 765,90 EUR
 
Praxis-Beispiel

Beweisverfahren 1 OH 14/08

 
Verfahrensgebühr 787,80 EUR
Postentgeltpauschale 20,00 EUR
Zwischensumme 807,80 EUR
46,44 % der Umsatzsteuer von 19 % in Höhe von 71,28 EUR
Gesamt 879,08 EUR

Hiervon hätten 100 % festgesetzt werden müssen, also 2.524,06 EUR.

 
Praxis-Beispiel

Hauptsacheverfahren 1 O 502/05

 
Verfahrensgebühr   2.160,60 EUR
anzurechnen aus Beweisverfahren 1 OH 13/05: 1,0 aus 17.877,95 EUR   -787,80 EUR
anzurechnen aus Beweisverfahren 1 OH 14/06: 1,0 aus 10.492,94 EUR   -683,80 EUR
anzurechnen aus Beweisverfahren 1 OH 14/08: 1,0 aus 18.326,00 EUR   -787,80 EUR
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,0 aus 46.696,89 EUR   -1.046,00 EUR
Terminsgebühr   1.994,00 EUR
Reisekosten   445,00 EUR
Postentgeltpauschale   20,00 EUR
Zwischensumme 3.573,60 EUR  
+ 46,44 % der Umsatzsteuer von 19 % in Höhe von   678,98 EUR
Gesamt   3.888,92 EUR

Hiervon hätten 54 % festgesetzt werden müssen, also 2.100,02 EUR.

Unter Berücksichtigung des unstreitigen Erstattungsanspruchs hinsichtlich der vorgelegten Gerichtskosten in Höhe von 15.420,46 EUR hätte sich damit ein Erstattungsanspruch in Höhe von 20.241,17 EUR ergeben.

Norbert Schneider

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