Schriftlicher Vergleich ist kein schriftlicher Vergleich?

Anmerkung zu LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 20.7.2015 – L 7/14 AS 64/14 B – zu Bayrisches LSG, Beschl. v. 22.5.2015 – L 15 SF 115/14 E – und zu LSG NRW, Beschl. v. 11.3.2015 – L 9 AL 277/14 B

Der Streit um die fiktive Terminsgebühr im sozialgerichtlichen Verfahren endet nicht. Mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz hatte der Gesetzgeber den anscheinend untauglichen Versuch unternommen, den Rechtsanwälten im Sozialrecht dieselben gebühren zukommen zu lassen, wie in den übrigen Gebieten des Rechts. Gescheitert ist er – einmal wieder – an der Sozialgerichtsbarkeit.

Unter der Meinungsführerschaft des LSG NRW setzt sich in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung eine Auffassung durch, die für den Anfall einer fiktiven Terminsgebühr bei einem schriftlichen Vergleich entgegen dem Gesetzeswortlaut auch noch eine gerichtliche Protokollierung gem. §§ 202 SGG, 278 Abs. 6 ZPO fordert. Diese Auffassung ist rechtlich nicht vertretbar, sondern willkürlich.

Bei Abrechnung nach Wertgebühren gem. § 2 RVG fällt nach der Anm. zu Nr. 3104 VV-RVG eine Terminsgebühr an, wenn in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich abgeschlossen wird. Bekanntlich ist ein schriftlicher Vergleich gem. § 779 Abs. 1 BGB ein Vertrag. Ein Vertrag kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Eine Beteiligung des Gerichts am Zustandekommen des Vertrages ist nach den Vorschriften des BGB, aber auch nach dem RVG nicht erforderlich.

Auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung ist eine Beteiligung des Gerichts am Vergleich nicht erforderlich. Im Gegenteil: der Gesetzgeber wollte durch die fiktive Terminsgebühr gerade die Gerichtsentlastung prämieren. Deshalb war und ist in der Kommentarliteratur unbestritten, dass ein schriftlicher Vergleich unter den Parteien und ohne die Beteiligung des Gerichts immer die fiktive Terminsgebühr auslöst.[1]

Umstritten war, ob neben dem von den Parteien schriftlich geschlossenen Vergleich auch ein gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch das Gericht festgestellter Vergleich die fiktive Terminsgebühr auslösen könnte.[2] Der BGH hat im Jahr 2005 den Streit entschieden: auch ein gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch das Gericht festgestellter Vergleich lässt die fiktive Terminsgebühr entstehen.[3]

Was ist bei der Abrechnung nach Betragsrahmengebühren gem. § 3 RVG anders? Nichts.

§ 53 SGB X sieht vor, dass ein Vertrag auch im Sozialrecht zulässig ist. Ein Vergleichsvertrag ist deshalb unstreitig ebenfalls möglich. Auch § 101 Abs. 1 SGG schließt einen solchen schriftlichen Vergleich ohne Beteiligung des Gerichts nicht aus, sondern regelt fakultativ auch die Möglichkeit der Protokollierung des Vergleichs. Ein materiell- oder prozessrechtlicher Ausschluss des schriftlichen Vergleichs besteht im Sozialrecht also nicht.

Es gibt auch keinen Grund, warum das der Fall sein sollte. Ziel des Gesetzgebers war es schließlich, die Vergütung im Sozialrecht an diejenige in den übrigen Rechtsgebieten anzupassen.[4] Deshalb ist der Wortlaut der Anm. S. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV durch das 2. KostRMoG wörtlich an die bereits bestehende Fassung der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV angeglichen worden.[5]

Die drei Landessozialgerichte sehen dagegen allein den gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch das Gericht festgestellten Vergleich als einen schriftlichen Vergleich an. Sie weisen zur Begründung ihrer Rechtsansicht auf die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2005 hin und geben vor, durch ihre Ansicht eine Vereinheitlichung der Abrechnung im Sozialrecht mit der in anderen Rechtsgebieten zu erreichen.[6] Dieser Beschluss gibt die Auffassung der Landessozialgerichte aber gerade nicht her. Vielmehr ist durch die Entscheidung gerade festgestellt worden, dass nicht nur der schriftliche Vertragsschluss durch Schriftsätze der Parteien, sondern auch der gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch das Gericht festgestellte Vergleich die fiktive Terminsgebühr auslöst.

Die drei Landessozialgerichte nehmen die Auslegung nach der Entstehungsgeschichte, nach dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Gebührenziffer zu Hilfe. In ihrer weiteren Rechtsauslegung werden diese drei Auslegungsmethoden nicht unterschieden. Die Auslegung ist aber auch in keinem der von den drei Landessozialgerichten vorgenommenen Überlegungsschritte nachvollziehbar oder gar haltbar.

So wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber eine Vereinheitlichung der Abrechnung nach Nr. 3104 und 3106 VV gewollt habe und bei Abrechnung nach Nr. 3104 VV die fiktive Terminsgebühr nur bei einen durch das Gericht durch Beschluss festgestellten Vergleich entstünde. Das ist aber, wie bereits festgestellt, nicht der Fall.

Weiter wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber hinsichtlich des Anfalles der Einigungsgebühr gerade auf das Merkmal des gegenseitigen Nachgebens verzichtet habe. Bei Anerkennung jedes außergerichtlichen Vergleiches müssten die Gerichte deshalb bei der fiktiven Terminsgebühr wegen des Absch...

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