1. Ebenso wie gesetzliche Vergütungsregelungen sind auch gerichtliche Entscheidungen, die auf Vergütungsregelungen beruhen, am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfG v. 15.12.1999 – 1 BvR 1126/94, BVerfGE 101, 331 <347>; BVerfG v. 23.8.2005 – 1 BvR 46/05, BVerfGK 6, 130 <132 f>). So kann ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des betroffenen Anwalts vorliegen, wenn an sich vernünftige Gemeinwohlerwägungen mehrfach herangezogen werden, um weitere Kürzungen desselben Honoraranspruchs zu begründen (vgl. BVerfG, 17.12.2008 – 1 BvR 177/08, BVerfGK 14, 534 <538>).
  2. Zwar kann eine Vergütungskürzung neben dem Ziel der Schonung öffentlicher Kassen damit gerechtfertigt werden, dass der Anwalt bei der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr von einem verlässlichen solventen Gebührenschuldner profitiert. Doch obwohl diese Umstände vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls darstellen, ist das Allgemeininteresse schon durch die geringere Höhe der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr berücksichtigt. Eine nochmalige Berücksichtigung dieser Gemeinwohlziele scheidet daher aus.
  3. Hier:
  4. Der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, wendet sich gegen die Festsetzung von Gebühren in zwei sozialgerichtlichen Verfahren. Die Gebührenfestsetzungen beruhten auf der Anwendung von Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV i.d.F. v. 5.5.2004 neben Nr. 3103 VV), so dass bei ohnehin reduziertem Gebührenrahmen gem. Nr. 3103 VV die "Beratungshilfe-Geschäftsgebühr" gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV a.F. teilweise angerechnet wurde.
  5. Die angegriffene Auslegung und Anwendung der Vergütungsregelungen greift unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers ein.
  6. Die teilweise Anrechnung der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV a.F. kann weder durch Synergieeffekte aufgrund der Vorbefassung des Rechtsanwalts mit der Angelegenheit begründet werden, noch – wie dargelegt – mit der Solvenz des Staates als Gebührenschuldner oder der Schonung der öffentlichen Kassen.
  7. Vorliegend war daher der Anwendungsbereich von Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV a.F. im Hinblick auf dessen Normzweck einschränkend auszulegen, so dass keine teilweise Anrechnung der Beratungshilfe-Geschäftsgebühr auf die reduzierte Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV stattfindet. Dieses Ergebnis entspricht zudem der herrschenden sozialgerichtlichen Rspr. sowie der aktuellen Rechtslage gem. Anm. Abs. 2 zu Nr. 2503 VV i.d.F. v. 23.5.2011.
  8. Gegen eine Alternativlösung, die den normalen Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV heranziehen will, bestehen hingegen Bedenken.

BVerfG (1. Senat 2. Kammer), Beschl. v. 19.8.2011 – 1 BvR 2473/10 u. 1 BvR 2474/10

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