§§ 103 ff. ZPO; §§ 154 ff., § 162 Abs. 1, § 173 S. 1 VwGO; § 48 RVG; Nrn. 3206, 3210 VV RVG

Leitsatz

Die Erstattungsfähigkeit von Rechtsanwaltsgebühren für das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union setzt nicht voraus, dass die dort entstandenen Kosten in der Kostengrundentscheidung des mitgliedstaatlichen Gerichts ausdrücklich erwähnt wurden.

BVerwG, Beschl. v. 27.4.2022 – 9 KSt 10/21

I. Sachverhalt

Die Kläger hatten sich vor dem BVerwG gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 27.9.2016 für den Neubau der Autobahn A 33/B 61 gewandt. Das BVerwG hat durch Beschluss das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union gem. Art. 267 AEUV um die Klärung mehrerer Fragen zur Auslegung der Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten vorgelegt. Der EuGH hat durch Urt. v. 28.5.2020 über die Vorlegungsfrage entschieden. Nach Fortsetzung des vor ihm anhängigen Rechtsstreits hat das BVerwG durch Urt. v. 30.11.2020 den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt und dem Beklagten "die Kosten des Verfahrens" auferlegt. In den Urteilsgründen hat das BVerwG ausgeführt, dass die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 2 VwGO beruht. Durch Beschl. v. 30.11.2020 hat das BVerwG den Streitwert auf 195.000 EUR festgesetzt.

Hieraufhin haben die Kläger die Kostenfestsetzung ihrer außergerichtlichen Kosten beantragt, und zwar sowohl für das Verfahren vor dem BVerwG als auch für das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. Dabei haben sie die Gebühren ihres Prozessbevollmächtigten nach einem Gegenstandswert von 195.000,00 EUR berechnet. Der Urkundsbeamte des BVerwG hat in seinem Kostenfestsetzungsbeschluss die Gebühren nur einmal berücksichtigt. Dies hat er damit begründet, das Verfahren vor dem BVerwG und das vor dem EuGH seien gebührenrechtlich eine Angelegenheit. Die Vorlage an den EuGH sei als Zwischenstreit gem. § 19 Abs. .1 S. 2 Nr. 3 RVG nicht gesondert zu vergüten. Hiergegen haben die Kläger Erinnerung eingelegt, die vor dem BVerwG Erfolg hatte.

II. Kostenerstattung

Gem. § 162 Abs. 1 VwGO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigungen notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. Gem. § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO gehören hierzu u.a. die gesetzlich bestimmten Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts. Das BVerwG hat darauf hingewiesen, dass sich die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung nach dem nationalen Recht bestimmt. Folglich obliege auch die Festsetzung der im Vorabentscheidungsverfahren angefallenen Anwaltskosten ebenso wie der Kostenausspruch dem nationalen Gericht (EuGH EuZW 2002, 95).

III. Anwaltsvergütung im Vorabentscheidungsverfahren

1. Besondere Angelegenheit

Nach § 38 Abs. 1 S. 1 RVG gelten in Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH die Gebührenvorschriften für das Revisionsverfahren in Teil 3 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 VV entsprechend. Das BVerwG hat ausgeführt, wegen seiner besonderen Bedeutung werde das Vorlageverfahren als eigenständiger Rechtszug behandelt, sodass dort für die daran beteiligten Rechtsanwälte gesonderte Gebühren (und Auslagen) anfielen (so BGH AGS 2012, 281 = RVGreport 2012, 462 [Hansens]). Hierzu hat das BVerwG auf die Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung des § 38 RVG, den § 113a BRAGO, verwiesen. Danach erfordere das Vorabentscheidungsverfahren nach Inhalt und Form regelmäßig ein umfangreiches Tätigwerden des Rechtsanwalts, das allein durch die Gebühren des Ausgangsverfahren nicht mehr angemessen abgegolten werde.

2. Gegenstandswert

Ferner hat das BVerwG darauf hingewiesen, dass sich der Gegenstandswert im Vorabentscheidungsverfahren gem. § 38 Abs. 1 S. 2 RVG nach den Wertvorschriften des Ausgangsverfahrens richtet. Somit bedürfe es einer besonderen Festsetzung des Gegenstandswertes für das Vorabentscheidungsverfahren nur dann, wenn dies ausdrücklich beantragt worden sei. Dies könne dann der Fall sein, wenn der Gegenstandswert des Vorlageverfahrens vom Gegenstandswert des Ausgangsverfahrens abweiche. Hierfür hat das BVerwG vorliegend keine Anhaltspunkte gesehen. Auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger sei ausweislich seines Kostenfestsetzungsantrags von einem in beiden Verfahren übereinstimmenden Gegenstandswert ausgegangen. Folglich sei der mit Senatsbeschl. v. 30.11.2020 festgesetzte Streitwert von 195.000,00 EUR auch für das Vorabentscheidungsverfahren maßgeblich (s. § 32 Abs. 1 RVG).

3. Verfahrensgebühr

Im erstinstanzlichen Vorabentscheidungsverfahren richtet sich die Verfahrensgebühr nach den Gebührentatbeständen für das Revisionsverfahren in Zivilsachen. Somit hat nach Auffassung des BVerwG der Prozessbevollmächtigte der Kläger zu Recht eine 1,6-Verfahrensgebühr entsprechend Nr. 3206 VV i.H.v. 3.220,80 EUR geltend gemacht. Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des Ausgangsverfahrens auf diese Verfahrensgebühr des Vorlageverfahrens ha...

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