§§ 48, 55, 56 RVG; Nrn. 1000, 1003 VV RVG

Leitsatz

  1. Auch die erst nach Vergleichsschluss bewilligte Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts erfassen das gesamte Verfahren ab Klageerhebung bzw. ab Antragstellung. Dies gilt auch dann, wenn das beim Gericht eingeleitete Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe lediglich die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf einen Vergleichsmehrwert betrifft, dieser Vergleich aber erst vorbesprochen ist und das Gericht an seinem Zustandekommen und seiner Formulierung noch mitwirken muss.
  2. In einem solchen Fall kann der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt aus der Landeskasse nur eine 1,0-Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV nach dem Vergleichsmehrwert verlangen.

LAG München, Beschl. v. 23.2.2022 – 6 Ta 20/22

I. Sachverhalt

Mit seiner vor dem ArbG München erhobenen Klage hatte sich der Kläger gegen eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte gewandt und gleichzeitig die Bewilligung von PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt. Im Gütetermin haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung endete, die Beklagte die im Zusammenhang mit der Kündigung erhobenen Vorwürfe nicht mehr aufrecht erhielt und sich verpflichtete, dem Kläger eine Arbeitsbescheinigung zu erteilen. Ferner wurde der Kläger unter Fortzahlung der Vergütung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Außerdem enthielt der Vergleich eine Regelung über eine Abfindung i.H.v. 3.500,00 EUR brutto.

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert für den Rechtsstreit auf 5.950,00 und für den Vergleich auf 6.200,00 EUR festgesetzt.

Gut zwei Monate nach Vergleichsschluss hat das Arbeitsgericht dem Kläger ratenfreie PKH auch für den Vergleich bewilligt und Rechtsanwalt B als Prozessbevollmächtigten beigeordnet. Hieraufhin hat Rechtsanwalt B die Festsetzung der ihm aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung beantragt, darunter eine 1,5-Einigungsgebühr für den Mehrvergleich. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts hat insoweit lediglich eine 1,0-Einigungsgebühr festgesetzt. Die von Rechtsanwalt B hiergegen eingelegte Erinnerung hatte beim ArbG München Erfolg, das die Vergütung in Abänderung der Vorentscheidung antragsgemäß festgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete – vom Arbeitsgericht zugelassene – Beschwerde der Bezirksrevisorin hatte beim LAG München Erfolg.

II. Anspruch auf eine Einigungsgebühr

1. Gesetzliche Regelung

Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch des im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Erstreckt sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Einigungsvertrages i.S.d. Nr. 1000 VV oder ist die Beiordnung oder die Bewilligung der PKH hierauf beschränkt, umfasst der Anspruch gem. § 48 Abs. 1 S. 2 RVG alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen, die durch die Tätigkeiten entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind.

Nach Nr. 1000 Nr. 1 VV fällt für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, eine 1,5-Einigungsgebühr an. Wenn über den Gegenstand ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig ist, ermäßigt sich die Einigungsgebühr auf den Satz von 1,0. Dies gilt nach Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV auch dann, wenn ein Verfahren über die PKH anhängig ist, soweit nicht lediglich PKH für ein selbstständiges Beweisverfahren oder die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Einigungsvertrags erstreckt.

2. Umfang der Beiordnung

Nach Auffassung des LAG München handelt es sich auch unter Geltung der neuen Rechtslage, nach der § 48 Abs. 1 S. 3 RVG und Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV geändert wurde, jedenfalls bei einer mit der Klageerhebung beantragten und gewährten PKH nicht um eine PKH-Bewilligung zur Protokollierung eines Vergleichs. Die PKH sei hier nämlich für das gesamte gerichtliche Verfahren beantragt und auch bewilligt worden, auch wenn die Entscheidung erst nach Abschluss des Vergleichs erfolgt sei. Damit habe das ArbG München keine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Abschluss eines Einigungsvertrages i.S.v. Abs. 1 S. 1 der Anm. zu Nr. 1003 VV beschlossen. Auch die erst nach Vergleichsschluss bewilligte PKH solle nämlich den Prozessbevollmächtigten der Partei nicht allein zum Vergleichsschluss, also zum Abschluss eines Einigungsvertrages, beiordnen, sondern solle das gesamte Verfahren ab Klageerhebung bzw. ab Antragstellung abdecken. Dies gilt nach den weiteren Ausführungen des LAG München auch dann, wenn ein bei Gericht eingeleitetes Verfahren über die Gewährung von PKH lediglich die Erstreckung der PKH auf einen Vergleichsmehrwert betreffe, der Vergleich jed...

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