§ 14 RVG; Nrn. 4100, 4106, 4108 VV RVG

Leitsatz

Zur Festsetzung von Verfahrensgebühr und Terminsgebühr für den Nebenklägervertreter in einem amtsgerichtlichen Verfahren i.H.d. Mittelgebühr.

LG Ravensburg, Beschl. v. 16.5.2022 – 1 Qs 19/22

I. Sachverhalt

Die Rechtsanwältin war als Vertreterin des Nebenklägers in einem Strafverfahren tätig, das bei einem AG anhängig war. Dem Angeklagten war zur Last gelegt worden, eine vorsätzliche Körperverletzung und eine Sachbeschädigung zum Nachteil des Nebenklägers begangen zu haben.

Die Rechtsanwältin legitimierte sich im Ermittlungsverfahren als Vertreterin des Nebenklägers und beantragte Akteneinsicht, die ihr seitens gewährt wurde. Mit Aktenrückgabe beantragte sie die Übersendung einer Abschlussverfügung. Darüber hinaus reichte sie mit einem weiteren Schriftsatz die Rechnung für die Reparatur der vom Angeklagten beschädigten Brille des Nebenklägers ein.

Der Angeklagte erstattete hinsichtlich des ihm zur Last gelegten Sachverhalts seinerseits Strafanzeige gegen den Nebenkläger wegen Vortäuschens einer Straftat. Während die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellte, beantragte sie gegen den Nebenkläger beim AG den Erlass eines Strafbefehls. Diesem Antrag wurde entsprochen. Der Nebenkläger hat Zulassung der Nebenklage beantragt. Diese ist, nachdem der Angeklagte über seinen Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte, zugelassen worden. Von der Rechtsanwältin ist dann gegenüber dem Angeklagten Schadensersatz, Schmerzensgeld und außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. insgesamt 2.833,00 EUR geltend gemacht worden. Dem ist der Angeklagte mit Nachdruck entgegen getreten.

Im Hauptverhandlungstermin vom 9.11.2021, der von 10:00 Uhr bis 12:15 Uhr dauerte und an dem die Rechtsanwältin teilnahm, wurde das Verfahren gern. § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Nach Auflagenerfüllung ist das Verfahren dann endgültig eingestellt worden, wobei angeordnet wurde, dass der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen hat.

Die Rechtsanwältin hat im Kostenfestsetzungsverfahren die Grundgebühr (Nr. 4100 VV) sowie die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV) und für das gerichtliche Verfahren (Nr. 4106 VV) jeweils als Mittelgebühr – nach altem Recht – geltend gemacht. Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 4108 VV) hat sie die Festsetzung des oberhalb der Mittelgebühr liegenden Betrags von 320,00 EUR beantragt. Das AG hat die Grundgebühr auf nur 130,00 EUR, die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren auf nur 100,00 EUR und die Terminsgebühr auf die Mittelgebühr von 275,00 EUR festgesetzt. Das dagegen von der Nebenklägervertreterin eingelegte Rechtsmittel hatte Erfolg.

II. Bemessung der Rahmengebühren

Das Rechtsmittel hatte Erfolg, soweit es sich gegen die Bewertung des Verfahrens als kostenrechtlich unterdurchschnittliche Angelegenheit gewendet hat. Dagegen ist die Terminsgebühr nur i.H.d. Mittelgebühr erhöhten Terminsgebühr zu Recht unterblieben. Das LG verweist darauf, dass dann, wenn keine Umstände erkennbar sind, die eine Erhöhung oder Ermäßigung rechtfertigen, dem Verteidiger grds. die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zusteht (Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., 2021, § 14 Rn 41). Hier würden die vom AG zur Absetzung der Gebühren angeführten Gesichtspunkte im Ergebnis der gebotenen Gesamtschau aller Umstände des konkreten Einzelfalles nicht genügen, um von der Mittelgebühr abzuweichen.

1. Grundgebühr Nr. 4100 VV / Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV

a) Aktenumfang

Soweit vom AG auf den geringen Aktenumfang zum Zeitpunkt der Einsichtnahmegewährung Bezug genommen werde, sei die genannte Blattzahl irreführend, da der überwiegende Teil der Ermittlungsakte – insbesondere der Ermittlungsbericht und die Vernehmungsprotokolle – beidseitig bedruckt gewesen seien. Hinzu komme, dass diese Aktenteile in großem Umfang absatzlos als Fließtext abgefasst seien, was die Übersichtlichkeit und gedankliche Erfassung erschwere. Vor dem Hintergrund, dass die Verfahrensbearbeitung einen Abgleich der in entsprechender Weise niedergelegten Aussagen von drei Zeugen erforderlich machte, wiege dies besonders schwer. Ein einfach gelagerter Sachverhalt, der jeder tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit entbehre, lag schon nach der im Ermittlungsverfahren übersandten Verfahrensakte nicht vor.

b) Bedeutung der Angelegenheit

Unabhängig davon sei bei der Gebührenfestsetzung die konkrete Bedeutung der Sache für den Nebenkläger nicht in ausreichendem Maße in den Blick genommen worden. So sei die Bewertung des Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft und das AG in entscheidendem Maße davon abhängig gewesen, ob sich der Nebenkläger wegen des vom früheren Angeklagten erhobenen Vorwurfs des Vortäuschens einer Straftat zu verantworten haben würde. Der Angeklagte hatte insoweit nicht nur zeitnah Strafanzeige erstattet. Vielmehr sei aus einem in der Akte enthaltenen E-Mail-Ausdruck zu entnehmen, dass er – nach der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft – sein Anlieg...

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