Die Entscheidung ist nur teilweise zutreffend. Sie zeigt hinsichtlich des vom OLG dargestellten Verhältnisses von Grundgebühr zur Verfahrensgebühr eklatante Lücken in den Gebührenkenntnissen des OLG, die zu einer für den Verteidiger erheblichen Mindereinnahme geführt haben (vgl. dazu IV. 2.).

1. Verbindung und Erstreckung

Zutreffend sind allerdings die Ausführungen des OLG zu den Fragen der Verbindung und/oder Erstreckung (§§ 15, 48 RVG). Sie entsprechen der h.M. in der Rspr. (vgl. die Kommentierungen zu § 48 Abs. 3 RVG bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., § 48 Abs. 3 und bei Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 171 ff. sowie Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 2313 ff. und Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV Einl. Teil 4 Rn 23 u. VV Vorb. 4 Rn 20 ff.) Dem ist nichts hinzuzufügen, außer: Zutreffend ist insbesondere der Hinweis des OLG darauf, dass Erstreckungsentscheidungen im Kostenfestsetzungsverfahren nicht mehr überprüft werden. Das wäre ja auch noch schöner, wenn der Urkundsbeamte, dem eine Erstreckungsentscheidung missfällt, weil sie – wie hier – zu erheblichen Gebühren für den Pflichtverteidiger führt – im Kostenfestsetzungsverfahren von ihm "repariert" werden könnte. Das kann im Erstreckungsverfahren geschehen, da dort Beschwerde eingelegt werden kann. Ist das nicht geschehen, ist die Erstreckungsentscheidung rechtskräftig und der Vergütungsfestsetzung ohne Wenn und Aber zugrunde zu legen.

2. Grundgebühr und Verfahrensgebühr

Grob fehlerhaft ist die Entscheidung des OLG allerdings im Hinblick auf das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Man ist erstaunt, dass man das, was das OLG an der Stelle ausführt, mehr als acht Jahre nach Inkrafttreten des 2. KostRMoG noch lesen muss. Denn dieses hat das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr, das bis dahin umstritten bzw. zumindest nicht eindeutig geklärt war, dahin geklärt, dass Grundgebühr und Verfahrensgebühr mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts immer nebeneinander entstehen (dazu eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4100 VV Rn 25 ff. m.w.N.). Das sollte sich inzwischen auch bis zum OLG Celle herum gesprochen haben, was aber offenbar leider nicht der Fall. Denn das, was das OLG dazu ausführt, hätte zur Rechtslage vor 2013 gepasst, es passt jetzt aber sicher nicht mehr. Ich erspare mir und dem gebührenkundigen Leser die weiteren Einzelheiten, lege aber dem OLG zu der Problematik dringend die Lektüre eines Gebührenkommentars und der dort angeführten Nachweise ans Herz, um dadurch in Zukunft solche (schweren) Fehler zu vermeiden. Zu der Frage hilft auch die vom OLG angeführte Entscheidung des OLG Jena (a.a.O.) nicht weiter. Abgesehen davon, dass sie aus 2004 stammt, also zum alten Recht ergangen ist, lässt sich aus ihr zu der Problematik nichts ableiten.

Für den Pflichtverteidiger ist dieser Fehler besonders ärgerlich, denn die dadurch eingetretene Mindereinnahme ist beträchtlich. Es hätten nämlich zusätzlich festgesetzt werden müssen: 21 Mal die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV, also – nach dem Recht vor Inkrafttreten des KostRÄG am 1.1.2021 – 21 x 132,00 EUR zzgl. 19 % USt, also insgesamt 3.298,68 EUR. Auf sie muss er nun wegen der mangelnden Gebührenkenntnisse des OLG verzichten. Das darf an sich nicht sein. Zwar mag, was dem ein oder anderen Beteiligten vielleicht nicht gefällt, die Gebührenforderung des Pflichtverteidigers recht hoch (gewesen) sein. Das liegt aber nicht am Verteidiger sondern daran, dass die Staatsanwaltschaft die vielen Verfahren eben für den Verteidiger "gebührengünstig" behandelt hat.

I.Ü.: Mich erschrecken solche Entscheidungen immer, weil sie eklatante Lücken aufzeigen. Zudem hätte das OLG nur mal mehr lesen müssen, um richtig zu entscheiden. Und: Wenn man schon so etwas Bahnbrechendes – falsch – entscheidet, sollte man seine abweichende Auffassung auch begründen. Das tut das OLG hier aber nicht, was dafür spricht, dass es möglicherweise gar nicht erkannt hat, dass es von einer neuen Gesetzeslage und einer dazu bestehenden h.M. abweicht.

Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

AGS 5/2022, S. 206 - 209

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