Der Entscheidung ist zuzustimmen.

1. Die Zusatzgebühr Nr. 1010 VV

Die Einführung der Zusatzgebühr Nr. 1010 VV ist von Anfang an ein "totgeborenes Kind". Man hat den Eindruck, der Gesetzgeber habe diese Gebühr eingeführt, um die Rechtsanwälte etwas zu beschwichtigen und dabei genau gewusst, dass sich deren Anwendungsbereich auf nur wenige Fälle erstrecken würde. Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass nur wenige Gerichtsentscheidungen zum Anfall der Zusatzgebühr Nr. 1010 VV bekannt geworden ist. Dies ist einmal die von dem OLG Hamburg herangezogene Entscheidung des OLG München (AGS 2020, 374 m. Anm. N. Schneider = zfs 2020, 467 m. Anm. Hansens = RVGreport 2020, 340 [Hansens]). Ferner ist auf den Beschluss der Rechtspflegerin des LG Ravensburg (AGS 2016, 393 = RVGreport 2015, 340 [Ders.]) zu verweisen, die – unzutreffend – ausgeführt hat, auch ein Ortstermin des Sachverständigen sei ein Termin i.S.d. Nr. 1010 VV. Und schließlich gibt es neben dem vorliegenden Beschl. v. 20.2.2024 noch eine Entscheidung des 4. ZS des OLG Hamburg (Beschl. v. 4.11.2022 – 4 W 96/22), in der zu der Frage Stellung genommen wird, ob der Formulierung "besonders umfangreiche Beweisaufnahme" eine eigenständige Bedeutung zukomme, oder ob die Zusatzgebühr auch im Falle einer nicht umfangreichen Beweisaufnahme anfällt, wenn der Rechtsanwalt an mindestens drei Terminen mitwirkt, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen worden sind. Dabei hat das OLG Hamburg der letztgenannten Alternative zugestimmt. Das ist dann aber auch schon alles.

Daraus wird ersichtlich, dass der Anwendungsbereich der Zusatzgebühr Nr. 1010 VV in der Praxis sehr beschränkt ist, was vom Gesetzgeber von Anfang an auch so beabsichtigt war. Dies belegt auch die nur drei Sätze umfassende Gesetzesbegründung (s. BT-Drucks 11/11471 (neu) v. 14.11.2012, 272):

Zitat

"Die vorgeschlagene Zusatzgebühr soll den besonderen Aufwand bei sehr umfangreichen Beweisaufnahmen ausgleichen. Durch diese Gebühr sollen aber keine Fehlanreize gesetzt werden, die dazu animieren könnten, zusätzliche Beweisaufnahmetermine zu provozieren. Die Hürde bis zu einem dritten Beweistermin erscheint hierfür ausreichend."

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen

Der Gesetzeswortlaut stellt zweimal auf eine "besonders umfangreiche Beweisaufnahme" ab. Zutreffend weist das OLG Hamburg darauf hin, dass der besondere Umfang der Beweisaufnahme dadurch gesetzlich indiziert ist, als es sich um mindestens drei gerichtliche Termine handeln muss, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen werden. Somit stellt der Gesetzgeber auf den einfach aus den Akten zu entnehmenden Sachverhalt ab, ob mindestens drei gerichtliche Termine stattgefunden haben, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen worden sind. Erstaunlicherweise hat der Gesetzgeber nicht in den Gesetzestatbestand aufgenommen, ob der Rechtsanwalt auch an allen drei solchen Terminen teilgenommen haben muss. Es dürfte jedoch auf jeden Fall genügen, dass der Rechtsanwalt an drei Terminen mitgewirkt hat, in denen jeweils ein Zeuge ganz kurz vernommen worden ist, sodass – anders als Schneider/Thiel, AGS 2013, 53, 54 meinen – die Beweisaufnahme insgesamt nicht besonders umfangreich gewesen sein muss.

Umgekehrt heißt dies jedoch, dass die Zusatzgebühr dann nicht anfällt, wenn der Rechtsanwalt nur an zwei gerichtlichen Terminen mitwirkt, in denen Zeugen oder Sachverständige vernommen worden sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um mehrstündige Vernehmungen oder um kurze Vernehmungen handelt. Selbst wenn die Vernehmungen an den beiden Tagen ganz besonders umfangreich gewesen sein sollten, löst dies die Zusatzgebühr nicht aus.

3. Keine entsprechende Anwendung

Angesichts dieser Regelungssystematik des Gesetzgebers kommt eine entsprechende Anwendung der Nr. 1010 VV auf die Fälle, in denen der Rechtsanwalt nicht an mindestens drei gerichtlichen Terminen teilgenommen hat, in denen Sachverständige oder Zeugen vernommen worden sind, nicht in Betracht. Zu Recht verweist das OLG Hamburg hier unter Hinweis auf die bereits erwähnte Entscheidung des OLG München, a.a.O., das ebenfalls entschieden hat, dass es an den Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung der Nr. 1010 VV auf andere als gesetzlich geregelte Fallgestaltungen fehle. Dies mag im Einzelfall unbefriedigend sein, aber das anwaltliche Gebührenrecht ist auch in sonstigen Fällen nicht immer gerecht.

4. Subjektive Voraussetzungen

Nach der Anm. zu Nr. 1010 VV entsteht die Zusatzgebühr für den durch besonders umfangreiche Beweisaufnahme anfallenden Mehraufwand. Da es sich um Anwaltsgebühren handelt, stellt der Gesetzgeber offensichtlich auf den Mehraufwand des Rechtsanwalts ab. Erstaunlicherweise erfordert die Vorschrift nicht, dass der Rechtsanwalt insoweit irgendeine Tätigkeit entfaltet haben muss. Das Gesetz bestimmt auch nicht, worin der "Mehraufwand" des Rechtsanwalts bestehen muss.

Dies widerspricht der sonst üblichen Gesetzessystematik im RVG. Für alle sonstigen Anwaltsgebühren hat der Gesetzgeber nämlich im R...

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