§§ 312c, 312g, 355 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, 356 Abs. 3 S. 2 BGB

Leitsatz

  1. Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen hat, muss darlegen und beweisen, dass seine Vertragsschlüsse nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgen.
  2. Ist ein auf ein begrenztes Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt deutschlandweit tätig, vertritt er Mandanten aus allen Bundesländern und erhält er bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, kann dies bei einer über die Homepage erfolgenden deutschlandweiten Werbung im Zusammenhang mit dem Inhalt seines Internetauftritts für ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem sprechen.

BGH, Urt. v. 19.11.2020 – IX ZR 133/19

I. Sachverhalt

Der Kläger, ein Student, hatte vor dem VG Arnsberg zunächst selbst Klage gegen einen Notenbescheid der Fernuniversität Hagen erhoben. Der AStA hat dann den Kontakt zur Beklagten hergestellt. Bei dieser handelt es sich um eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei mit Hauptsitz in Köln und Kontaktstellen in Frankfurt a.M., Hamburg und München. Die Beklagte erhält monatlich bis zu 200 Neuanfragen von Mandanten. Auf ihrer Homepage bewirbt die Beklagte ihre Dienstleistungen und weist unter "Kontakt" darauf hin, dass sie jederzeit auch telefonisch und elektronisch bereitstehe. Unter "Mandatserteilung" erklärt sie, dass der Ortsbezug wegen der Spezialisierung immer mehr an Bedeutung verliere und die persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei. Im Anschluss an eine telefonische Beratung schlossen die Parteien auf elektronischem Wege eine Honorarvereinbarung über 5.000 EUR ab. Darauf zahlte der Kläger einen Vorschuss von rund 3.270 EUR.

Nach Beendigung des Mandats hat die Beklagte ihr restliches Honorar geltend gemacht. Der Kläger hat die Honorarvereinbarung widerrufen und den Vorschuss zurückverlangt. Das AG hat der entsprechenden Klage stattgegeben und die Widerklage der Beklagten auf Zahlung des Resthonorars abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben (vgl. LG Köln AnwBl 2019, 488). Dagegen hat der Kläger Revision eingelegt. Die Revision hatte Erfolg.

II. Anwaltsvertrag war Fernabsatzvertrag

Anders als das LG bejaht der BGH einen Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des geleisteten Vorschusses gem. § 355 Abs. 3 S. 1 BGB. Der Kläger habe den Anwaltsvertrag wirksam widerrufen. Bei dem geschlossenen Anwaltsvertrag handele es sich um einen Fernabsatzvertrag gem. § 312c BGB (vgl. dazu auch BGH AGS 2018, 105 = RVGreport 2018, 157 zu § 312b Abs. 1 BGB a.F.), da von den Parteien für Vertragsverhandlungen und -schluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet worden seien. Maßgeblich sei, dass die Parteien von der Vertragsverhandlung bis zum Abschluss des Vertrags für ihre Vertragsgespräche und -erklärungen zu keinem Zeitpunkt gleichzeitig körperlich anwesend waren. Nach dem unstreitigen Sachvortrag hätten die Parteien bis zum Abschluss der Honorarvereinbarung nur telefonisch und durch E-Mails miteinander in Kontakt gestanden, sodass dahinstehen könne, ob der Vertrag bereits bei der Erstberatung oder erst mit Abschluss der Honorarvereinbarung zustande gekommen sei.

III. Abschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems

Rechtsfehlerhaft meine das LG, der Anwaltsvertrag sei hier nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden. Ob ein solches System bestehe, hänge wesentlich davon ab, auf welche Art und Weise der Unternehmer in seinem Geschäftsbetrieb Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüsse ermögliche (vgl. BT-Drucks 17/12637, 50). Danach müsse er sein Unternehmen personell und sachlich so ausgestalten und organisieren, dass sowohl Vertragsverhandlungen als auch Vertragsschluss regelmäßig und ohne Weiteres unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jederzeit möglich seien. Sei diese Einrichtung derart ausgestaltet, dass er damit regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte bewältigen könne, und biete er diese Möglichkeit von sich aus aktiv an, liege ein entsprechendes System vor. Bei einem Rechtsanwalt sei dies etwa der Fall, wenn er seine Kanzlei so organisiert habe, dass gerade für die von ihm erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Rechtsanwalt erforderlich sei und der Anwalt eine Mandatserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewerbe. Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung sei hingegen unerheblich.

Unter welchen Voraussetzungen bei einem Anwaltsvertrag der Abschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolge, sei noch nicht abschließend geklärt. Der BGH habe bislang offengelassen (BGH AGS 2018, 10...

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