Rz. 77

Zum vereinbarten Termin – 21 Monate nach dem Unfall – trifft Frau G mit Herrn R ein. M bittet diese zunächst in Raum 1 zu warten. Kurze Zeit später kommt Herr S in Begleitung von Herrn GL, welche M ebenfalls bittet, noch eine kurze Zeit im anderen Warteraum 2 Platz zu nehmen. M führt dann die Medianten und ihre Begleitungen gemeinsam in das Mediationszimmer. Dort befinden sich drei bequeme, zweisitzige Sitzmöbel, welche in einem angedeuteten Kreis positioniert sind. Jeweils zur rechten und zur linken befindet sich ein Beistelltisch mit Getränken. Frau G nimmt neben Herrn R Platz, Herr S neben Herrn GL und M auf einem Doppelsitz alleine. Hinter ihm steht ein Flipchart, auf welchem bereits der formale Grobablauf des Mediationsverfahrens skizziert ist. M erklärt, dass er heute einen Verstehensprozess unterstützen möchte, der verschiedene Etappenziele beinhaltet. Er möchte alle Medianten verstehen, das Verstandene allen Medianten vermitteln und schließlich das Vermittelte unter den Medianten verhandelbar machen. M weist kurz darauf hin, dass im Zivilprozess die Verfahrensgrundsätze aus der Zivilprozessordnung gelten, davon abweichend im Mediationsverfahren jedoch andere Prinzipien vorherrschend seien. M benennt diese mit Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit, Neutralität, Informiertheit und Vertraulichkeit. Er bittet darum alles, was heute an Sachverhaltsinformationen vorhanden ist und dem, was die Medianten im Innersten bewegt, offen zu besprechen. Dieser Raum sei ein geschützter Raum, in dem das gesprochene Wort vertraulich behandelt wird. Er weist auf den Umstand hin, selbst keine Entscheidungsbefugnis zu haben und im Falle eines gerichtlichen Klageverfahrens nicht als Zeuge zur Verfügung zu stehen. Er unterstreicht noch einmal, neutral zu sein und nicht die Interessen der Medianten zu vertreten. Frau G und Herr GL versichern sich unter den Anwesenden, jeweils intern, d.h. Frau G mit ihrem Ehemann und Herr GL mit seinem Vorgesetzten, über den Inhalt des Mediationsverfahrens sprechen zu dürfen, jedoch unter Wahrung der Vertraulichkeit. M unterstreicht, dass jeder Mediant das Recht hat, die Mediation abzubrechen. Nichts müsse auf Biegen und Brechen bis zum Schluss durchgezogen werden. Daraus würden sich auch keine negativen Konsequenzen ergeben. M führt weiter aus, dass es sich bei dem Mediationsverfahren um ein strukturiertes und strukturierendes Verfahren handele. Die Mediation sei ergebnisoffen und die Medianten erarbeiten die Lösung selbst, wobei im Optimalfall am Ende ein Konsens stehe. M erklärt, er führe durch das Verfahren und bitte um Vertrauen in die tausendfach bewährte Struktur des Mediationsverfahrens. Für Herrn GL ist es wichtig, dass das Ergebnis im Einklang mit der Rechtsordnung steht, da er nur solche Ansprüche regulieren kann, die sich aus dem Gesetz ergeben. M weist auf die Tatsache hin, dass zwei Volljuristen auf Seiten der Medianten dabei seien, die sicher keine Lösungsansätze diskutieren werden, die contra legem sind.

 

Rz. 78

M hat gedanklich die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Mediationsverfahrens für sich bejaht. Er hält die Beteiligten sowohl für mediationsfähig als auch für geschäftsfähig. Ob eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit bei Frau G möglicherweise durch unfallbedingte Medikamentenversorgung vorliegt, will er im Verlaufe des weiteren Gespräches noch einmal beobachten. Derzeit sieht er keine Anhaltspunkte dafür. GL und R haben jeweils eine Vollmachtsurkunde zum Mediationsvertrag gereicht und GL hatte im Vorgespräch versichert, ausreichenden finanziellen Spielraum für die Schadensregulierung zu haben. Auf Nachfrage hatten die Medianten versichert, dass kein anderweitiges Verfahren wegen der heutigen Unfallsache anhängig ist.

 

Rz. 79

Nachdem sich alle im Raum Anwesenden bereit erklärt haben, nun gemeinsam das Mediationsverfahren zu durchlaufen, stellt M die fünf Phasen dieses Verfahrens vor, wobei er darauf hinweist, dass man sich bereits jetzt schon in Phase 1 befinde. Auf dem Flipchart ist notiert, dass es in der Phase 2 um die Bestandsaufnahme geht. Es solle genau erarbeitet werden, worüber gestritten wird. M führt aus, dass die jeweiligen Standpunkte und Sichtweisen, aber auch die Übereinstimmungen und Abweichungen in dieser Phase erarbeitet würden, so dass zum Schluss die Themen übrig bleiben, um die es dann im weiteren Verlauf der Mediation gehen würde.

 

Rz. 80

In der sich anschließenden Phase 3 gehe es dann darum, die hinter diesen Themen verborgenen Interessen herauszuarbeiten. M: "Wir wollen in dieser Phase gemeinsam Ihre Statements herausarbeiten. Es geht dabei um die Bedeutung hinter Ihren Aussagen, also das, was Sie wirklich meinen. Ich werde in dieser Phase ganz intensiv jedem Medianten zuhören und das Verstandene wiederholen, damit wir genau herausarbeiten, worum es jedem von Ihnen hier geht. Ich möchte dabei ganz sicher sein, dass ich Sie richtig verstehe und werde deshalb das, was Sie sagen, immer wieder zusammenfassen, wiederholen, paraphrasieren und v...

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