Rz. 42

Bei dürftigen Nachlässen ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen mangels einer den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich, §§ 1990, 1991 BGB i.V.m. § 26 InsO. Der Nachlasspfleger hat dann ohne die Einleitung eines Insolvenzverfahrens die Möglichkeit, die Haftung auf den Nachlass durch die Erhebung dieser Dürftigkeitseinrede zu beschränken.[45] Die Einrede gilt auch für Steuerverbindlichkeiten[46] oder bei Inanspruchnahme als Sanierungsverantwortlicher nach dem Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG).[47]

[45] Zur Dürftigkeitseinrede bei Mietschulden vgl. BGH v. 23.1.2013 – VIII ZR 68/12, NJW 2013, 933 = NZM 2013, 185 = ZEV 2013, 208; zur Dürftigkeitseinrede bei Wohngeldschulden vgl. BGH v. 5.7.2013 – V ZR 81/12, NJW 2013, 3446 = NZM 2013, 735 = ZEV 2013, 609 (m. Anm. Joachim) = ZErb 2013, 245.
[46] Vgl. App, DStR 1985, 31; Hartmann, ZEV 2009, 324 ff.; vgl. auch: FG Baden-Württemberg v. 11.5.2006 – 3 K 153/05, DStRE 2007, 500, 501; VG Köln v. 24. 8. 2010 – 14 K 1654/09, ZEV 2011, 93.
[47] Vgl. ausführlich: Joachim/Lange, ZEV 2011, 53, 58 ff.

a) Ausreichende Masse für Insolvenzverfahren

 

Rz. 43

Es muss damit nicht ausreichend Masse für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorhanden sein. Zu den Kosten des Insolvenzverfahrens gehören nach § 54 InsO die Gerichtskosten des Insolvenzverfahrens, die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Diese müssen für die gesamte Dauer des Insolvenzverfahrens gedeckt sein.[48]

In der Praxis wird ein solcher dürftiger Nachlass angenommen, wenn die Masse nach Abzug der Kosten der Nachlasspflegschaft (und – nach der hier vertretenen Ansicht – der Beerdigungskosten) ca. 4.000 EUR nicht überschreiten.[49]

 

Rz. 44

Die Praxis der Insolvenzgerichte ist jedoch unterschiedlich. Ggf. sollte sich der Nachlasspfleger bei seinem örtlich zuständigen Insolvenzgericht erkundigen. Da die Beerdigungskosten nach § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO im Insolvenzverfahren vorrangige Masseverbindlichkeiten sind, sollten auch diese Kosten zusätzlich angesetzt werden, bevor man von einem dürftigen Nachlass spricht. Auch in diesen Fällen ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens untunlich, denn dies würde dazu führen, dass die Beerdigungskosten hinter den Verfahrenskosten des Insolvenzverfahrens zurückstehen müssten.

 

Rz. 45

Es muss damit ermittelt werden, welche Masse zur Verfügung steht.[50] Insolvenzmasse im Sinne des § 26 Abs. 1 InsO ist die Zusammenfassung aller gegenwärtigen und zukünftigen liquidierbaren Vermögenswerte, beschränkt auf die pfändbaren Gegenstände. Maßgeblich ist damit die aktuelle Liquidität des Nachlasses, nicht die Aktiva zum Todestag.

[48] Vgl. Schröder, in: Schmidt, Hamburger Kommentar zum InsR, § 26 Rn 18 ff.
[49] Vgl. Zimmermann, Nachlasspflegschaft, Rn 589: 3.000 EUR – 6.000 EUR; Jochum/Pohl, 4. Aufl., Rn 515 und 509: 3.000 EUR – 8.000 EUR; zustimmend: du Carrois, Rpfleger 2009, 197, 198 f.
[50] Vgl. zum Ganzen: MüKo-InsO/Haarmeyer, § 26 Rn 20–22; Schröder, in: Schmidt, Hamburger Kommentar zum InsR, § 26 Rn 14 ff.

b) Treuhänderisch verwaltetes Vermögen

 

Rz. 46

Zu beachten ist aber, dass lediglich treuhänderisch verwaltetes Vermögen – auch im Hinblick auf die möglichen straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Folgen – immer vorrangig auszuzahlen ist. Dies gilt beispielsweise für Mietkautionen auf einem Treuhandkonto, wenn der Erblasser Vermieter war, oder für Lohnsteuer, wenn der Erblasser Arbeitgeber[51] war. Nicht aber für den Arbeitnehmeranteil am Gesamt-Sozialversicherungsbeitrag,[52] den der Erblasser als Arbeitgeber abzuführen hat. Dieser ist nicht privilegiert und wäre auch im Insolvenzverfahren anfechtbar.[53]

[51] Vgl. § 38 Abs. 1 S. 1 EStG: "Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten."; BGH v. 5.11.2009 – IX ZR 233/08, NJW 2010, 870, Rn 16 ff.
[52] Vgl. § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV: "Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht."
[53] BGH v. 7.4.2011 - IX ZR 118/10, NZS 2011, 783 = NZI 2011, 456.

c) Anfechtungsrechtliche Ansprüche, §§ 129 ff. InsO

 

Rz. 47

Hinzugerechnet werden müssen aber auch anfechtungsrechtliche Ansprüche nach §§ 129 ff. InsO, die nur ein Insolvenzverwalter wieder zur Masse ziehen kann. Zu prüfen sind insbesondere unentgeltliche Leistungen des Erblassers nach § 134 InsO, die in den letzten vier Jahren vorgenommen wurden. Dies können alle Schenkungen sein, die der Erblasser an Angehörige oder Dritte vorgenommen hat. So kann z.B. eine Immobilie an einen nahen Angehörigen übertragen worden sein, ohne dass dem eine wertgleiche Gegenleistung gegenübersteht. Es kann sich daher durchaus lohnen, auch bei einem überschuldeten Nachlass, bei dem die Angehörigen die Erbschaft ausgeschlagen haben, durch eine Anfrage beim Grundbuchamt nach historischem Eigentum des Erblassers zu ermitteln oder Kontobewegungen in der Vergangenheit zu prüfen.

 

Rz. 48

Die Ausschlagenden können auch standardmäßig zur schriftlichen Auskunft darüber aufgefordert werden, ob ...

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