Rz. 16

Neben den speziellen Rechtfertigungsgründen gibt es allgemeine Rechtfertigungsgründe, die der EuGH in seiner Rechtsprechung "aus den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses" entwickelt hat. Für das Steuerrecht hat der EuGH die nachfolgenden Rechtfertigungsgründe dahingehend untersucht, ob sie als zwingende Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung der Beschränkung von Grundfreiheiten in Betracht kommen.

aa) Bekämpfung der Steuerflucht

 

Rz. 17

Die Bekämpfung der Steuerflucht zählt zu den legitimen und vom EuGH bislang nicht grundsätzlich abgelehnten Rechtfertigungsgründen. Allerdings werden für eine Anerkennung strenge Maßstäbe angesetzt. Das heißt, ein pauschaler Vortrag diesbezüglich wird vom EuGH nicht berücksichtigt. Dogmatisch verbunden sind damit die Rechtfertigungsgründe entsprechend der bereits in der Rechtssache Marks & Spencer[19] zur Verlustverrechnung im Konzern aufgestellten Grundsätze der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungshoheit zwischen den Mitgliedstaaten und der Vermeidung der doppelten Verlustberücksichtigung.

[19] EuGH, Urt. v. 13.12.2005, Rs. C-466/03 (Marks & Spencer), Slg. 2005, I-10837. Danach bedurfte es allerdings für die Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das britische Group Relief-System noch der kumulativen Anwendung von drei Rechtfertigungsgründen. Zutreffenderweise kann jeder der Gründe eine Beschränkung einer Grundfreiheit rechtfertigen.

bb) Kohärenz

 

Rz. 18

Ebenfalls anerkannt ist der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz. Aufgrund Kohärenz ist ein Eingriff gerechtfertigt, wenn Regelungen des nationalen Steuerrechts so miteinander verbunden sind, dass bei dem betroffenen Steuerpflichtigen zwischen dem steuerlichen Nachteil und einer diesen kompensierenden steuerlichen Begünstigung ein unmittelbarer, funktionaler Sachzusammenhang besteht.[20] Auch der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz ist in den wenigsten Fällen durch den EuGH anerkannt worden, da zwischen den relevanten Normen nicht nur eine unmittelbare, sachliche und inhaltliche Verbindung bestehen muss. Die Vor- und Nachteile müssen zudem bei demselben Steuerpflichtigen eintreten.[21]

[20] Schießl, NJW 2005, 850.
[21] EuGH, Urt. v. 6.6.2000, Rs. C-35/98 (Verkooijen), Slg. 2000, I-4071; Rödder, DStR 2004, 1630.

cc) Steuermindereinnahmen

 

Rz. 19

Der EuGH hat diesen, von den Mitgliedstaaten immer wieder vorgebrachten Grund, eine Regelung sei zur Erhaltung des Steueraufkommens notwendig, bislang nicht als Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der Grundfreiheiten ausreichen lassen.

dd) Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen

 

Rz. 20

Die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen ist als ein zwingender Grund des Allgemeininteresses und damit als Rechtfertigungsgrund anerkannt.[22] Allerdings ist im jeweils konkreten Fall zu prüfen, ob nicht der in der Amtshilfe-Richtlinie[23] vorgesehene Informationsaustausch zwischen den nationalen Steuerbehörden ausreicht.

[22] EuGH, Urt. v. 15.5.1997, Rs. C-250/95 (Futura Participations), Slg. 1997, I-2471.
[23] Richtlinie 77/799/EWG des Rates v. 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, ABl EG Nr. L 336, S. 15, mittlerweile ersetzt durch die Kooperationsrichtlinie (DAC) vom 15.02.2011, 2011/16/EU, ABl. Der EU L 64/1.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge