Rz. 13

Die Einordnung der Ehewohnungs- und Haushaltssachen sowie der Gewaltschutzsachen als der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterfallende Familiensachen oder "reine FamFG-Familiensachen"[11] ist sachlich zutreffend. Deshalb ist grundsätzlich der Allgemeine Teil des FamFG sowohl in Ehewohnungs- und Haushaltssachen als auch in Gewaltschutzsachen anzuwenden, die Sondervorschriften des § 113 FamFG gelten nicht.

 

Rz. 14

Dies gilt, obwohl sich die Beteiligten mit einer Ausnahme (§ 1361a Abs. 2 BGB) als Gegner gegenüber stehen und das Gericht über privatrechtliche Ansprüche entscheidet.[12] Der Zivilprozess ist nämlich nur dann die sachgemäße Verfahrensart – auch bei der Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche –, wenn die Parteien bzw. Beteiligten ihren Aufklärungsbeitrag nach den abstrakten Regeln der Darlegungslast leisten können. Hierzu müssen sie wissen, an welche Tatbestandsvoraussetzungen Rechtsfolgen im Gesetz geknüpft sind. Verzichtet das Gesetz auf die Normierung klarer Tatbestände, sind abstrakte Regeln für die Beibringung des Streitstoffs ungeeignet.[13] Die freiwillige Gerichtsbarkeit wurde deshalb über ihren ursprünglichen Bereich hinaus vorwiegend auf solche Streitsachen ausgedehnt, bei denen dem Richter ein Ermessen eingeräumt ist, so zum Beispiel in §§ 2 S. 1, 8 Abs. 1 HausratsVO a.F. Klare Tatbestände fehlen aber auch bei Anspruchsgrundlagen mit unbestimmten Rechtsbegriffe. Wegen der Vielzahl und Weite der in §§ 1361a, 1361b, 1568a, 1568b BGB, § 2 GewSchG verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffen, ist es für die Ehegatten kaum je möglich, den erforderlichen konkreten Sachvortrag von vornherein zu leisten, also ihrer konkreten Behauptungslast nachzukommen. Abstrakte Regeln eignen sich mithin für die Beibringung des Streitstoffs gerade in dem sensiblen Bereich von Ehewohnung, gemeinsamer Wohnung und Haushaltsgegenständen – zumal, wenn Kinder im Haushalt leben – nicht. Solche Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeiten, die Aufgaben des Zivilprozesses übernehmen, nennt man privatrechtliche Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit.[14]

 

Rz. 15

Sie gehörten schon herkömmlich und gehören auch unter der Geltung des FamFG zu den drei Arten der freiwilligen Gerichtsbarkeit[15] – neben den klassischen Fürsorgeverfahren (freiwillige Gerichtsbarkeit im materiellen Sinne) so zum Beispiel den Kindschafts-, Adoptions-. Betreuungs-, Nachlass- und Teilungssachen, Register- und unternehmensrechtlichen Verfahren, Urkundssachen, Verfahren in Freiheitsentziehungssachen sowie in Aufgebotsverfahren und den öffentlich-rechtlichen Streitsachen, wie zum Beispiel die Verfahren nach §§ 107 Abs. 1 bis 9 FamFG, §§ 23 ff. EGGVG, § 111 Abs. 4 BNotO und § 40 Abs. 4 BRAO.

 

Rz. 16

In privatrechtlichen Streitsachen (nicht selten auch echte Streitsachen genannt[16]) stehen sich die Beteiligten als Gegner gegenüber und verfolgen meist vermögensrechtliche Interessen privatrechtlicher Natur,[17] das Gericht entscheidet als neutrale Instanz verbindlich über Rechte und Rechtsverhältnisse zwischen den Beteiligten.[18] Der Begriff der privatrechtlichen Streitsache der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist dabei den Verfahren vorbehalten, auf die das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit uneingeschränkt Anwendung findet, obwohl der Verfahrensgegenstand auf Streitentscheidung gerichtet ist.[19] Er ist nämlich nicht nur in der Sache zutreffend, sondern erlaubt zudem die Abgrenzung zwischen privatrechtlichen Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit einerseits und Familienstreitsachen sowie Ehesachen andererseits.[20]

[11] So zutreffend MüKo-FamFG/Fischer, § 111 Rn 5.
[12] Ausführlich MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 7 f.
[13] Brehm, § 2 Rn 4; MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 7.
[14] Brehm, § 1 Rn 4, § 2 Rn 4 ff.; MüKo-FamFG/Pabst, § 1 Rn 16; MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 8.
[15] Brehm, § 1 Rn 4, § 2 Rn 1 ff.; Keidel/Sternal, § 1 Rn 30 f., 33 ff.
[16] Brehm, § 2 Rn 6, Fn 7 weist zutreffend darauf hin, dass das Attribut "echt" überflüssig ist, weil es keine unechten Streitsachen gibt.
[17] So BGH NJW 1994, 581.
[18] Brehm, § 2 Rn 6.
[19] Brehm, § 2 Rn 6: Keidel/Sternal, § 1 Rn 30 f., 33 f.; MüKo-FamFG/Pabst, § 1 Rn 16.
[20] Ausführlich MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 8.

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