I. Geschäftsgebühr statt Vollstreckungsgebühr?

 

Rz. 123

In der Praxis ist nicht selten die Situation zu betrachten, dass ein Rechtsdienstleister auf verschiedenste Weise, im Ergebnis aber erfolglos, versucht hat, einen Vollstreckungstitel durchzusetzen. Der Gläubiger unternimmt nun nach einiger Zeit den Versuch, einen anderen RA mit der Durchsetzung zu beauftragen. In manchen Fällen werden die Forderungen auch verkauft, weil sich der bisherige Gläubiger der Angelegenheit abschließend entledigen will, ohne den Schuldner "davonkommen zu lassen". Weil der bisherige oder der neue Gläubiger sich von einer fortgesetzten Zwangsvollstreckung nur hohe Drittauslagen, aber keinen wirklichen Erfolg verspricht, beauftragt er den neuen RA nun nicht mit der Zwangsvollstreckung, sondern mit der außergerichtlichen Forderungsbeitreibung. Das wirft die Frage auf, welche Gebühren entstehen und welche Gebühren erstattungsfähig sind.

Im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem RA wirft diese Frage keine Schwierigkeiten auf. Nach dem Geschäftsbesorgungsvertrag war eine außergerichtliche Tätigkeit beauftragt, so dass die 0,5–2,5-Geschäftsgebühr unter Beachtung der 1,3-Schwellengebühr nach Nr. 2300 VV RVG anfällt.

Schwieriger beantwortet sich die Frage, ob der Schuldner diese oder nur eine 0,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG zu erstatten hat. Zunächst kommt nur eine Erstattung auf der Grundlage eines materiell-rechtlichen Anspruches, mithin des Verzuges nach §§ 280, 286 BGB in Betracht. Da in den außergerichtlichen Zahlungsaufforderungen mangels Auftrags keine Vorbereitung der Zwangsvollstreckung gesehen werden kann, kommt eine Kostenerstattung nach § 788 ZPO nicht in Betracht.

Nach §§ 280, 286 BGB ist der Verzugsschaden zu ersetzen, grundsätzlich also die entstandene Geschäftsgebühr. Diese könnte allerdings nach Maßgabe der Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB auf die Vollstreckungsgebühren nach Nrn. 3309, 3310 VV RVG zu kürzen sein, wenn man allein die Beauftragung der Vollstreckung als notwendig ansieht.

Das leuchtet auf den ersten Blick ein. Wie so häufig lohnt aber der zweite Blick vor einer vorschnellen Antwort. Die Frage, welcher Auftrag zweckmäßig und erforderlich ist, ist eine Frage des Einzelfalls und muss nach diesem beantwortet werden. Besteht keine begründete Hoffnung, dass eine Vollstreckungsmaßnahme zu einer vollständigen oder auch nur teilweisen Befriedigung der Forderung führt, kann die Beauftragung der Vollstreckung kaum als zweckmäßig angesehen werden. Diese Hoffnung fehlt aber, wenn über einen längeren Zeitraum verschiedene Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos geblieben sind und keine Anhaltspunkte für einen neueren Einkommens- oder Vermögenszuwachs vorliegen. Ziel des weiteren Vorgehens kann dann nur eine gütliche außergerichtliche Einigung auf der Grundlage überobligatorischer Anstrengungen des Schuldners sein, d.h. der Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung oder eines Abfindungsvergleiches, die der limitierten Leistungsfähigkeit des Schuldners Rechnung tragen.

Im Einzelfall muss auch ein konkreter Kostenvergleich vorgenommen werden. So mag zwar die Geschäftsgebühr nominell zunächst die Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG übersteigen. Zum einen kann die Gebühr nach Nr. 3309 VV RVG aber mehrfach anfallen, zum anderen dürfen die nicht unerheblichen Drittauslagen in Form vom Gerichts- und Gerichtsvollzieherkosten nicht übersehen werden. Für den Schuldner ist deshalb die Beauftragung der außergerichtlichen Forderungsbeitreibung trotz Titulierung und Anfall der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG im Einzelfall günstiger als eine Vollstreckung. Dies gilt jedenfalls bei kleineren Gegenstandswerten in den ersten Streitwertgruppen.

II. Mehrere Vollstreckungsmaßnahmen in einer Sache oder gegen mehrere Schuldner

 

Rz. 124

Zahlt der Schuldner auf die Titulierung nicht, wird regelmäßig nicht nur eine, sondern es werden mehrere Vollstreckungsmaßnahmen erforderlich. Die Kombination von gütlicher Einigung mit Vermögensauskunft und nachfolgender Forderungs- oder Sachpfändung entspricht heute dem üblichen Vorgehen in einer Standardsache. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG stellt jede dieser Vollstreckungsmaßnahmen eine eigene Angelegenheit dar, so dass jeweils gesondert eine 0,3-Verfahrensgebühr anfällt. Dies gilt auch dann, wenn die Vollstreckungsmaßnahmen in einem Vollstreckungsauftrag erteilt werden.

Voraussetzung des gesonderten Anfalls ist allerdings, dass es sich um unterschiedliche Angelegenheiten handelt. Daran fehlt es, wenn eine Vollstreckungsmaßnahme nur vorbereitet oder aufgrund weiterer Anträge oder Mitwirkungshandlungen fortgesetzt wird.

 

Rz. 125

 

Hinweis

Der Schuldner folgt der Ladung zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802c oder § 802d ZPO zunächst nicht, so dass ein Haftbefehl beantragt und dann die Verhaftung beauftragt werden muss. Hier wird lediglich die Vollstreckungsmaßnahme "Vermögensauskunft" fortgesetzt. In der Beantragung des Haftbefehls und der Beauftragung der Vollziehung liegt keine neue Angelegenheit. Gleiches gilt etwa, wenn zunächst die Vorpfändung und nachfolgend dann die Pfändung einer Forderung des Schuldn...

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