Rz. 574

Insbes. seit es ab dem 1.12.2001 die Möglichkeit gab, einen Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten zu stellen, nahmen die Verbraucherinsolvenzen massiv zu – in den Spitzenjahren gab es teilweise sogar über 120.000 eröffnete Verfahren pro Jahr.

In den letzten Jahren gehen die Zahlen jedoch wieder langsam zurück. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes wurden deutschlandweit im Jahr 2016 nur noch 75.169 Verbraucherinsolvenzen eröffnet, 2015 waren es hingegen noch 80.146.

 

Rz. 575

Das Verbraucherinsolvenzverfahren soll es ermöglichen, dass neben einer bestmöglichen Gläubigerbefriedigung auch natürliche Personen einen schuldenfreien wirtschaftlichen Neuanfang schaffen können und nicht bis zu Ihrem Tod verschuldet bleiben, sofern sie redlich sind.

 

Rz. 576

Das besondere Verfahren der Verbraucherinsolvenz wurde daher im 9. Teil der Insolvenzordnung (§§ 305314 InsO) eingefügt.

Durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren letztmalig zum 1.7.2014 umfassend reformiert.

Die seit dem 1.7.2014 geltenden Regeln sind jedoch nur für Verfahren anzuwenden, die ab dem 1.7.2014 beantragt wurden. Für die Altfälle gelten weiterhin die alten Bestimmungen. Es wird also über Jahre hinweg ein Nebeneinander beider Verfahren geben.

Lediglich das für das Verbraucherinsolvenzverfahren neu eingeführte mögliche Insolvenzplanverfahren gilt seit dem 1.7.2014 für beide Verfahren.

 

Rz. 577

Nachstehend wird das neue Verfahren dargestellt. Änderungen zum Altverfahren werden kurz skizziert. Im Übrigen wird auf die Vorausgaben des Allrounders verwiesen.

[Autor] Brunner-Ovadia

I. Grundsatz

 

Rz. 578

Das Verbraucherinsolvenzverfahren können grds. alle natürlichen Personen betreiben, die keine selbstständige Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben.

 

Rz. 579

Wenn der Schuldner jedoch eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hatte, so müssen seine Vermögensverhältnisse überschaubar sein. Dies wird vom Gesetzgeber gem. § 304 Abs. 2 InsO angenommen, wenn der Schuldner weniger als 20 Gläubiger hat. Hat der Schuldner 20 oder mehr Gläubiger, so unterliegt er nicht mehr dem Verbraucherinsolvenzverfahren und muss das Regelinsolvenzverfahren betreiben.

 

Rz. 580

Auch wenn der Schuldner überschaubare Vermögensverhältnisse hat (also weniger als 20 Gläubiger), unterliegt er dennoch dem Regelinsolvenzverfahren, sofern aus einer früheren selbstständigen Tätigkeit noch Forderungen aus Arbeitsverhältnissen gegen ihn bestehen. Hierunter fallen nicht nur die Forderungen seiner alten Arbeitnehmer, sondern eben auch offene Sozialversicherungsbeiträge, ausstehende Lohnsteuer und Berufsgenossenschaftsbeiträge.

 

Rz. 581

 

Praxistipp:

Es gibt durchaus auch die Fälle, in denen der Schuldner nur selbst krankenversichert oder freiwillig in der Berufsgenossenschaft versichert war und aus diesen Versicherungsverhältnissen Beiträge offen sind. In diesen Fällen kann er, sofern er weniger als 20 Gläubiger hat, das Verbraucherinsolvenzverfahren trotzdem betreiben. Bei der gerichtlichen Antragsstellung sollte jedoch ein entsprechender Hinweis erfolgen, dass dies Eigenversicherungen betrifft, damit keine unnötigen Zwischenverfügungen des Gerichts das Verfahren verzögern.

 

Rz. 582

Voraussetzung für das Verbraucherinsolvenzverfahren ist ferner, dass die natürliche Person zahlungsunfähig ist bzw. dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners droht. Dies liegt grds. vor, wenn der Schuldner fällige Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen kann, oder er diese zum späteren Zeitpunkt der Fälligkeit nicht erfüllen könnte.

II. Verbraucherinsolvenzverfahren bis zur Restschuldbefreiung

 

Rz. 583

Das eigentliche Ziel des Schuldners ist dabei die Restschuldbefreiung. Hierfür muss jedoch der Schuldner zunächst das Verbraucherinsolvenzverfahren durchlaufen. Dieses ist in drei unterschiedlichen Phasen eingeteilt:

1. Außergerichtlicher Einigungsversuch

 

Rz. 584

In dieser Phase wird versucht, eine außergerichtliche Einigung mit den Gläubigern zu erzielen.

Ein solcher Versuch mithilfe eines RA oder einer anderen fachkundigen Stelle (z.B. Schuldnerberatungsstelle) ist zwingende Voraussetzung für das weitere gerichtliche Insolvenzverfahren.

 

Rz. 585

Der außergerichtliche Einigungsversuch unterliegt vom Grundsatz her der Privatautonomie, d.h. die Gestaltung der Regelungen ist weitestgehend frei. Der außergerichtliche Einigungsversuch kann daher Ratenzahlungen, Einmalzahlungen, Stundungen und Zinsverzichte aber eben auch den weitverbreiteten "flexiblen Nullplan" enthalten.

 

Rz. 586

Besonders bei Schuldnern, die ein unpfändbares Einkommen haben, wird diese Variante häufig verwendet. Den Gläubigern wird dabei angeboten, dass der Schuldner sein jeweils pfändbares Einkommen nach einer festgelegten Quote an die Gläubiger auszahlt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung beträgt dieser Betrag jedoch Null. Durch entsprechende Anpassungsklauseln, wird eine Zahlungsverpflichtung des Schuldners im Fall einer Einkommensverbesserung vorgesehen.

 

Rz. 587

Der außergerichtliche Einigungsversuch ist gesetzlich nicht geregelt, daher ist hier im...

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