Rz. 103

Sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite können Personenmehrheiten im Rahmen einer sogenannten Streitgenossenschaft auftreten. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen einfacher und notwendiger Streitgenossenschaft.

 

Rz. 104

Bei der einfachen Streitgenossenschaft besteht nur eine äußere Verbindung mehrerer Kläger oder Beklagter durch das Prozessrechtsverhältnis. Hierbei können bereits Zweckmäßigkeitserwägungen, Kostengründe oder prozesstaktische Aspekte mit darüber entscheiden, ob eine Mehrheit von Personen klagt oder verklagt werden sollte.

 

Rz. 105

Für die Erhebung in Streitgenossenschaft können einerseits Kostenerwägungen eine Rolle spielen. Da gem. § 45 Abs. 1 GKG mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche wertmäßig zusammengerechnet werden, entstehen infolge der degressiv gestalteten Gebührentabellen kostenmäßige Vorteile gegenüber einer Geltendmachung in verschiedenen Prozessen. Bei der Vertretung mehrerer Kläger durch einen Rechtsanwalt entsteht lediglich die Mehrvertretungsgebühr gem. Nr. 1008 VV RVG, so dass sich auch hierdurch ein Kostenvorteil gegenüber der Geltendmachung in separaten Klagen ergibt.

 

Rz. 106

Prozesstaktischer Gesichtspunkt für die Erhebung einer Klage gegen mehrere Beklagte ist die Möglichkeit, hierdurch die Mitverklagten als Zeugen auszuschließen. Klassischer Fall ist hierbei die Klageerhebung nach einem Verkehrsunfall auch gegen den Fahrer des unfallverursachenden Fahrzeuges, um diesen als Zeugen auszuschließen.

 

Rz. 107

 

Hinweis

Für ein Beweisthema, das nur einen von mehreren Streitgenossen betrifft, können andere Streitgenossen als Zeugen gehört werden.[139]

 

Rz. 108

Voraussetzung für eine Streitgenossenschaft ist jedoch gem. § 59 ZPO, dass die Streitgenossen bezüglich des Streitgegenstandes in einer Rechtsgemeinschaft stehen (Alt. 1) oder sie aus demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grunde berechtigt oder verpflichtet sind (Alt. 2). Darüber hinaus kommt gem. § 60 ZPO eine Streitgenossenschaft bei Gleichartigkeit der Ansprüche in Betracht.

 

Rz. 109

Fälle der Rechtsgemeinschaft gem. § 59 1. Alt. ZPO können Gemeinschaften von Miteigentümern, Gesamthandsgemeinschaften, Gesamtschuldner oder Gesamtgläubigerschaften sein. Eine Rechtsgemeinschaft liegt ebenfalls vor in den Fällen der akzessorischen Haftung, wie z.B. zwischen Bürgen und Hauptschuldner, sowie in den Fällen anteiliger Haftung. Eine Streitgenossenschaft gem. § 59 2. Alt. ZPO liegt z.B. vor bei Ansprüchen aus einem gemeinsamen Vertrag oder aus derselben deliktischen Handlung, wie z.B. nach einem Verkehrsunfall oder bei Ansprüchen der Mutter und des nichtehelichen Kindes auf Unterhalt gegen den Vater.

 

Rz. 110

Die Streitgenossenschaft gem. § 60 ZPO erfordert gleichartige Ansprüche und einen im Wesentlichen gleichartigen Tatsachenstoff. (Hierzu ist es nicht erforderlich, dass der Tatsachenstoff auch nur teilweise identisch ist.) Bei Ansprüchen aus einer Mehrzahl von gleichartigen selbstständigen Lebenssachverhalten muss auf Beklagtenseite ein innerer Zusammenhang bestehen.[140] Im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 ZPO extensiv auszulegen.[141] Das Vorliegen der Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft gem. § 60 ZPO ist immer dann zu bejahen, wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig ist.[142] Beispiele sind: Ansprüche mehrerer Geschädigter aus dem gleichen Schadensereignis oder verschiedenen im inneren Zusammenhang stehenden Schadensereignissen,[143] Ansprüche aus gleichartigem Vertragstypus, Ansprüche mehrerer Unterhaltsgläubiger gegen den gleichen Unterhaltschuldner,[144] Klagen von geschädigten Kapitalanlegern gegen verschiedene Gegner.[145]

 

Rz. 111

Von der einfachen Streitgenossenschaft zu unterscheiden ist die notwendige Streitgenossenschaft gem. § 62 ZPO, bei der die Sachentscheidungen gegenüber mehreren Personen aus prozessrechtlichen oder materiell-rechtlichen Gründen einheitlich ergehen muss.

 

Rz. 112

Fälle der notwendigen Streitgenossenschaft aus prozessrechtlichen Gründen liegen dann vor, wenn bei getrennt geführten Prozessen die in dem einen Verfahren zu treffenden Entscheidungen Rechtskraft- oder Gestaltungswirkung auch für das andere Verfahren entfalten. Häufige Fälle sind z.B. Gestaltungsklagen.

 

Rz. 113

Die notwendige Streitgenossenschaft besteht zwischen Testamentsvollstrecker und Erben, wenn die Voraussetzungen des § 2213 BGB vorliegen,[146] oder bei Rechtskrafterstreckung gem. § 856 Abs. 4 ZPO im Rahmen einer Klage mehrerer Pfändungsgläubiger gegen einen Drittschuldner.[147]

 

Rz. 114

Häufigster Fall der notwendigen Streitgenossenschaft aus materiell-rechtlichen Gründen sind Aktiv- und Passivprozesse von Gesamthandgemeinschaften oder anderen Gemeinschaften von Mitberechtigten, bei denen sich bereits aus dem Fehlen einer Einzelprozessführungsbefugnis die Notwendigkeit eines gemeinschaftlichen Prozesses ergibt.[148]

 

Rz. 115

Rechtsfolge der notwendigen Streitgenossenschaft ist, dass einzelne säumige Streitgenossen im Prozess durch die nicht säumigen...

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