Rz. 45

Ziegler und Cayukli (zfs 2013, 424 ff.) weisen bei ihrer Untersuchung von Schmerzensgeldern für den Verlust von Geschlechtsorganen, den Verlust der Zeugungsfähigkeit sowie den Verlust der Zeugungsfähigkeit in Verbindung mit Inkontinenz und Mastdarmentleerungsstörungen die Verfassungswidrigkeit dieser Schmerzensgeldrechtsprechung nach. Sie legen im Einzelnen dar, dass vergleichbare Verletzungsbilder bei Mann und Frau in der Schmerzensgeldbemessung völlig unterschiedlich von Gericht zu Gericht ausfallen und erblicken darin – zutreffend – einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG. Ebenso halten sie die Anknüpfung an Tabellenwerte nicht nur für subjektiv belastet, sondern im Wesentlichen für willkürlich. Ein weiterer Aspekt bei der Bewertung der bisherigen Schmerzensgeldrechtsprechung tritt noch hinzu. Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass die Schmerzensgeldtabellen nicht die tatsächliche Regulierungspraxis wiedergeben, weil außergerichtliche Vergleiche in den Tabellen nicht enthalten sind. Sie halten die Tabellenbeträge deshalb nicht für repräsentativ. Nach ihrer Auffassung muss die Höhe des Schmerzensgeldes ohne Tabellenbezug geschlechtsunspezifisch und nach nachvollziehbaren Kriterien im Einzelfall begründet werden, wobei sich die Autoren ebenfalls auch hier auf die oben genannte Entscheidung des Großen Zivilsenates aus dem Jahre 1955 beziehen. Die Autoren fordern – ähnlich wie im Strafrecht – Tagessätze zu installieren, die sich an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Beteiligten und den übrigen vom Bundesgerichtshof genannten Kriterien orientieren.

 

Rz. 46

Am 19.9.2013 hatte der BGH zum Az. III ZR 405/12 Gelegenheit, sich zum immateriellen Schadensersatzanspruch wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung zu positionieren. Vier Straftäter erhalten zwischen 49.000 EUR und 73.000 EUR wegen rechtswidrig nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung. Anspruchsgrundlage ist hier Art. 5 Abs. 5 EMRK. Danach haben die Betroffenen einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Freiheitsbeschränkung durch die öffentliche Hand, der vom Verschulden der handelnden Amtsträger unabhängig ist und auch den Ersatz immateriellen Schadens umfasst. Der BGH hat hier für jeden Monat nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung den Betrag von 500 EUR als immateriellen Schadensersatz ausgeurteilt. Damit hat der BGH erstmals das Zeitmoment – ein Monat = 500 EUR – zum Maßstab für die Bemessung eines immateriellen Schadensersatzanspruchs gewählt. Dies könnte der Beginn einer neuen Ära der Schmerzensgeldbemessung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden.

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