Rz. 97

Als Zielrechtsformen bei einem Herausformwechsel kommen diejenigen Gesellschaftsformen in Betracht, die der Zuzugsstaat für einen Formwechsel vorsieht.[270] Hingegen kommt es nicht wie bei einem innerstaatlichen Formwechsel auf § 191 Abs. 2 UmwG an, sondern nur auf das Recht des Zuzugsstaates.[271] Allerdings gilt die Einschränkung des § 191 Abs. 3 UmwG (Möglichkeit des Formwechsels bei aufgelösten Rechtsträgern, wenn ihre Fortsetzung in der bisherigen Rechtsform beschlossen werden könnte) auch bei einem Herausformwechsel.[272] Dem steht Art. 54 Abs. 1 AEUV auch nicht entgegen, da nur gewerblich noch tätige Gesellschaften dem Schutz der Niederlassungsfreiheit unterfallen können.[273]

 

Rz. 98

Einer GmbH im Auflösungsstadium ist es nicht grundsätzlich untersagt, ihren Sitz zu verlegen.[274] Allerdings gibt insofern § 69 GmbHG vor, dass sie ihren Sitz jedenfalls dann nicht verlegen kann, wenn dies dem Wesen der Liquidation widerspräche.[275] Ist letztere durch eine Sitzverlegung nicht gefährdet, bedarf eine dahingehende Satzungsänderung jedoch darüber hinaus eines nachvollziehbaren Grundes, muss also die Liquidation sogar fördern.[276] Teilweise wird insofern vertreten, Art. 8 Abs. 15 SE-VO analog anzuwenden und die Verlegung zu untersagen, wenn gegen die Gesellschaft ein Verfahren wegen Liquidation, Zahlungsunfähigkeit oder vorläufiger Zahlungseinstellung eröffnet worden ist.[277] Für die GmbH als Ausgangsrechtsträger vermag dies jedoch nicht zu überzeugen:[278] Um durch eine analoge Anwendung der SE-VO auf die GmbH diese nicht zu benachteiligen, ist vielmehr die nationale Sonderregel des § 69 GmbHG anzuwenden und die Sitzverlegung auch grenzüberschreitend unter den dort genannten Voraussetzungen zuzulassen. Dennoch sind hier Einschränkungen jedenfalls dann zu beachten, wenn im Rahmen einer sog. Firmenbestattung mit der Sitzverlegung allein eine missbräuchliche Zuständigkeitsbegründung für ein mögliches Insolvenzverfahren bezweckt werden soll.[279] Ein Indiz hierfür kann sein, dass sich die GmbH in größeren wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet und nicht mehr über hinreichende liquide Mittel verfügt, um eine gewerbliche Tätigkeit auszuüben.[280] In einem solchen Fall kann das Handelsregister unionsrechtskonform der GmbH die Satzungssitzverlegung untersagen, da die primärrechtliche Niederlassungsfreiheit nur gewerblich tätige Gesellschaften erfasst.[281]

[270] Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059; Melchior, GmbHR 2014, R 311; Hushahn, RNotZ 2014, 137, 144; Behme, in: MünchHdbGesR VIII, § 39 Rn 43.
[271] Knaier, in: Würzburger Notarhandbuch, Teil 5 Kap. 6 Rn 398.
[272] Ausführlich zu den Einschränkungen Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059.
[273] Korte, in: Calliess/Ruffert, Art. 54 AEUV, Rn 9; Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059; a.A. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 54 AEUV, Rn 4 ff.; zur Sitzverlegung zum Zwecke der wirtschaftlichen Neugründung Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059 f.
[274] OLG Thüringen v. 8.11.2005 – 6 W 206/05, ZInsO 2005, 1277, Rn 20; ebenso Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059.
[275] In jedem Fall darf die entsprechende Sitzänderung nicht rechtsmissbräuchlich sein, K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 69 Rn 14; siehe auch LG Berlin v. 23.4.1999 – 98 T 9/99, ZIP 1999, 1050, 1051.
[276] H.-F. Müller, in: MüKo-GmbHG, § 69 Rn 8; zu möglichen Gründen Heckschen, ZIP 2015, 2049 2059.
[277] Melchior, GmbHR 2014, R311 f.
[278] Ebenso Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859, 863.
[279] So auch Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059, m.w.N.
[280] Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059.
[281] Ausführlich in diesem Kontext Heckschen, ZIP 2015, 2049, 2059.

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