Rz. 158

Ein gewissenhafter und ehrlicher Bevollmächtigter wird alles, was er aus dem Auftrag erlangt hat, dem Vollmachtgeber herausgeben. Ein vorausschauender Bevollmächtigter wird sich dies auch quittieren lassen, wenn er damit rechnen muss, dass die Erben des Vollmachtgebers eines Tages sein Handeln einer kritischen Überprüfung unterziehen werden. Dann ist dem Einwand der Erfüllung gem. § 362 BGB nur noch zu begegnen, indem man die Echtheit der Unterschrift oder die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers im Zeitpunkt der Unterschriftsleistung bestreitet. Dies zu beweisen fällt meistens schwer.

 

Rz. 159

In der Praxis kommt es aber viel häufiger vor, dass der Beauftragte die Erfüllung nicht ohne weiteres beweisen kann, weil gerade aufgrund der Nähe zum Vollmachtgeber nicht im Entferntesten an eine schriftliche Empfangsbestätigung gedacht wurde.

 

Rz. 160

 

Beispiel

Die Vollmachtgeberin erteilt ihrer Tochter eine formularmäßige Bankvollmacht, mit der diese über Jahre hinweg in unregelmäßigen Abständen Bargeld abholt und der Mutter übergibt. Die Mutter verwendet das Geld zum eigenen Lebensunterhalt, aber auch für großzügige Bargeldgeschenke an die Enkelkinder.

Nach dem Tod der Mutter stellt der miterbende Bruder die Barabhebungen fest und verlangt von seiner Schwester die Herausgabe der Beträge an den Nachlass. Die zuvor bevollmächtigte Schwester verweigert dies mit der Begründung, sie habe der Mutter das Geld ausgehändigt.

 

Rz. 161

Diese häufige Konstellation ist ein Stoff für Familiendramen, in denen die Rollenverteilung zwischen Gut und Böse selten klar ist: Die Erben werfen dem Bevollmächtigten regelmäßig Eigennutz und Raffgier vor, der Bevollmächtigte gibt den Vorwurf zurück und fällt aus allen Wolken: Er ist nicht nur enttäuscht von der Undankbarkeit der Erben, sondern verliert auch noch den Glauben an den Rechtsstaat, wenn er von seinem Rechtsanwalt erfährt, dass er zur Vermeidung eigener Haftung die Übergabe des Geldes beweisen muss.

 

Rz. 162

Falls keine direkten Zeugen für die Übergabe des Geldes bereitstehen, kann der Bevollmächtigte sich gleichwohl auf verschiedene Weise gegen eine Inanspruchnahme wehren.

a) Verkehrssitte

 

Rz. 163

Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung nicht nur nach Treu und Glauben, sondern auch nach der Verkehrssitte zu bewirken. Damit stellt sich die Frage, ob es auch zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem so etwas wie einen Handelsbrauch geben kann. Obwohl es sich meist um individuelle Beziehungen handelt, bei der sich Verallgemeinerungen eigentlich verbieten, hat das OLG Brandenburg[91] erkannt:

Zitat

Ebenso wie der Umfang der Rechenschaftspflicht gem. § 666 BGB sich nach Treu und Glauben, der Verkehrssitte und den Umständen des Einzelfalls richtet, sind auch die Anforderungen an den Beweis einer auftragsgemäßen Verwendung von Geldern an diesen Maßstäben zu messen.

Danach kann von der Beklagten nicht verlangt werden, dass sie die Verwendung jedes einzelnen abgehobenen Geldbetrages im Einzelnen nachweist. Es reicht vielmehr aus, dass die Beklagte durch Zeugenaussagen hinreichende Anknüpfungstatsachen bewiesen hat, die dem Senat gem. § 287 Abs. 2 ZPO eine Schätzung des Betrages ermöglichen, den die Beklagte verwandt hat

sei es durch Übergabe abgehobener Geldbeträge an die Erblasserin, die diese dann selbst für Geldgeschenke oder als Vergütung für Leistungen an die Beklagte oder Dritte nutzte,
sei es durch Verwendung von Geldern durch die Beklagte für Besorgungen der Erblasserin und deren Versorgung.“

Wer auf Seiten des Bevollmächtigten in Beweisnöten ist, findet hier eine gute Argumentationshilfe, insbesondere kann man auf die richterliche Schätzung gem. § 287 Abs. 2 ZPO dringen. Es sind dann allerdings hinreichende Anknüpfungstatsachen vorzutragen, z.B. zu den Lebensgewohnheiten des Vollmachtgebers, z.B. dessen Vorliebe für häufige Restaurantbesuche.

[91] OLG Brandenburg, Urt. v. 20.11.2013, Beck RS 2013, 21257, Openjur 2013, 44904.

b) Indizienbeweis

 

Rz. 164

Im Beispielsfall könnte die Tochter auch den Versuch eines Indizienbeweises unternehmen. Der BGH[92] hat in dem Anastasia-Urteil, in dem über den Erbanspruch der angeblichen Zarentochter Anastasia Romanow entschieden wurde, den Indizienbeweis so definiert:

Zitat

"Der unmittelbare Beweis hat tatsächliche Behauptungen zum Gegenstand, die unmittelbar und direkt ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als vorhanden ergeben sollen; der Indizienbeweis bezieht sich auf andere, tatbestandsfremde Tatsachen, also Hilfstatsachen, die erst durch ihr Zusammenwirken mit anderen Tatsachen den Schluss auf das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals selbst rechtfertigen sollen. Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Hauptstück des Indizienbeweises ist also nicht die eigentliche Indiztatsache, sondern der daran anknüpfende weitere Denkprozess, kraft dessen auf das Gegebensein der rechtserheblichen Tatsache geschlossen wird."[93]

 

Rz. 165

Die Tochter könnte somit also Hilfstatsachen vortragen, ...

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