Rz. 265

BGH, Beschl. v. 8.11.2011 – VI ZB 59/10, UV-Recht Aktuell 2012, 112

Zitat

ZPO § 148; SGB X § 12 Abs. 2

Erwägt das Gericht die Aussetzung nach § 148 ZPO unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Beteiligung des Schädigers am Sozialverwaltungsverfahren, hat es grundsätzlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Beteiligung gemäß § 12 Abs. 2 SGB X schlüssig dargelegt sind.

I. Der Fall

 

Rz. 266

Die klagende Berufsgenossenschaft machte als Unfallversicherungsträgerin gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche aufgrund eines Fahrradunfalls am 5.7.2006 geltend, den die geschädigte Versicherte aufgrund eines Zusammenstoßes mit dem Fahrrad des Beklagten erlitten haben wollte. Der Beklagte stellte die Aktivlegitimation der Klägerin in Frage. Er machte geltend, es habe sich nicht um einen Wegeunfall gehandelt, für den die Klägerin leistungspflichtig sei.

 

Rz. 267

Mit Urt. v. 26.2.2009 hat das LG einen gegen den Beklagten erlassenen Vollstreckungsbescheid über 10.179,19 EUR nebst Zinsen aufrechterhalten, den Beklagten verurteilt, an die Klägerin weitere 42,09 EUR nebst Zinsen zu zahlen, und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, darüber hinausgehende Aufwendungen der Klägerin zu zahlen. Während des Berufungsverfahrens erließ die Klägerin ohne Beteiligung des Beklagten einen an die Geschädigte gerichteten "Bescheid über Anerkennung eines Arbeitsunfalls" vom 26.1.2010, in dem sie den Unfall als Arbeitsunfall (Wegeunfall) anerkannte. Mit Schriftsatz vom 7.4.2010 teilte die Klägerin mit, der Bescheid sei bestandskräftig geworden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 9.4.2010 erhob der Beklagte Widerspruch gegen den Bescheid. Die Klägerin legte den Widerspruch als Antrag auf Beteiligung an dem Verwaltungsverfahren aus und lehnte eine Beteiligung des Beklagten am Sozialverwaltungsverfahren mit Bescheid vom 3.9.2010 ab. Dagegen hat der Beklagte Widerspruch eingelegt.

 

Rz. 268

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO ausgesetzt, bis über den Widerspruch des Beklagten gegen den Bescheid vom 26.1.2010 rechtskräftig entschieden worden ist. Dagegen wandte sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II. Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 269

Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Frage ab, ob der ohne Beteiligung des Beklagten erlassene Bescheid vom 26.1.2010 bestandskräftig sei und das Berufungsgericht gemäß § 118 SGB X binde. Insoweit seien das von dem Beklagten eingeleitete Verwaltungsverfahren und ein sich möglicherweise anschließendes sozialgerichtliches Verfahren vorrangig gegenüber dem vorliegenden Rechtsstreit. Ohne Aussetzung nach § 148 ZPO bestehe das Risiko sich widersprechender Entscheidungen der Sozial- und Zivilgerichte.

 

Rz. 270

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hatte auch in der Sache Erfolg, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO nicht vorlagen.

 

Rz. 271

Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt die Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung in dem Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus.

 

Rz. 272

Im Streitfall war eine solche Vorgreiflichkeit des Sozialverwaltungsverfahrens für den vorliegenden Rechtsstreit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht wegen des vom Beklagten mit dem Ziel einer Beteiligung am Sozialverwaltungsverfahren eingeleiteten Verfahrens gegeben.

 

Rz. 273

Nach § 118 SGB X ist ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X vom Geschädigten auf einen Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grundsätzlich gebunden. Damit soll verhindert werden, dass die Zivilgerichte anders über einen Sozialleistungsanspruch entscheiden als die hierfür an sich zuständigen Leistungsträger oder Gerichte. Sozialrechtliche Vorfragen sollen den Zivilprozess nicht belasten und deshalb vor den Zivilgerichten grundsätzlich nicht erörtert werden. Der im Wege des Regresses in Anspruch genommene Schädiger soll deshalb grundsätzlich nicht Einwendungen gegen die Aktivlegitimation des klagenden Sozialversicherungsträgers erheben können (vgl. Senatsurt. v. 5.5.2009 – VI ZR 208/08, VersR 2009, 995 Rn 13, 17 f.). Die danach gegebene Bindungswirkung erfasst grundsätzlich auch die Feststellung ...

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