Rz. 57

Die vom BVerfG verworfene Rechtsprechung zur Wandelbarkeit der ehelichen Lebensverhältnisse hatte das Prinzip des Stichtags (Rechtskraft der Scheidung) aufgegeben:

 

BGH, Urt. v. 29.5.2009 – XII ZR 111/08

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "ehelichen Lebensverhältnisse" ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats allerdings nicht mehr im Sinne eines strikten Stichtagsprinzips auszulegen.

 

Rz. 58

Nach Rechtskraft der Scheidung eingetretene Änderungen wurden nach dieser mittlerweile überholten Rechtsprechung grds. berücksichtigt:

 

BGH, Urt. v. 28.1.2009 – XII ZR 119/07

Der Unterhaltsanspruch des Ehegatten bemisst sich gemäß § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Nach der neueren Rechtsprechung des BGH sind im Rahmen der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse auch spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens grundsätzlich zu berücksichtigen….

 

Rz. 59

Von dieser Rechtsprechung hat der BGH wieder Abstand genommen und ist zum Stichtagsprinzip zurückgekehrt. Jedoch können im Einzelfall auch nach Rechtskraft der Scheidung eingetretene Änderungen berücksichtigungsfähig sein:

 

BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09

Die ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB können aber auch durch solche Umstände beeinflusst werden, die erst nach Rechtskraft der Ehescheidung entstanden sind und mit der Ehe in Zusammenhang stehen.

Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest einen gewissen Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen voraus, damit die Auslegung noch vom Wortlaut des § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB gedeckt ist (BVerfG FamRZ 2011, 437 Rn 70). Solches ist bei Entwicklungen der Fall, die einen Anknüpfungspunkt in der Ehe finden, also gleichsam in ihr angelegt waren, oder die bei Fortbestand der Ehe auch deren Verhältnisse geprägt hätten (BVerfG FamRZ 2011, 437 Rn 70; BGHZ 153, 358 = FamRZ 2003, 590, 591 f.; Urt. v. 18.3.1992 – XII ZR 23/91, FamRZ 1992 – 1045, 1046 f.; Urt. v. 16.3.1988 – IV b ZR 40/87, FamRZ 1988, 701, 703). An dieser Rechtsprechung zur Berücksichtigung der bereits in der Ehe angelegten nachehelichen Veränderungen bei der Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse nach § 1578 Abs. 1 S. 1 hält der Senat fest (vgl. auch Borth, FamRZ 2011, 445, 446; Graba, FF 2011, 102, 103 und Born, FF 2011, 136, 138 f., 142).

Einfluss auf die Unterhaltsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen können nach Rechtskraft der Ehescheidung eingetretene Umstände also insbesondere dann haben, wenn sie auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären.

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