Rz. 28

Infolge der Verdrängung der Sitz- durch die Gründungstheorie ist das Recht des Sitzstaates in seiner Wächterfunktion über die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Gesellschaften im Hinblick auf schutzwürdige Interessen Dritter, namentlich der Gläubiger, Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmer sowie des Fiskus, stark eingeschränkt.[87]

 

Rz. 29

Aus der Niederlassungsfreiheit, wie sie durch den EuGH ausgestaltet wurde, folgt nicht nur das Verbot spezifischer Restriktionen für europäische Auslandsgesellschaften, sondern die Unanwendbarkeit des deutschen (Gründungs-)Rechts einschließlich seiner einzelnen Komponenten wie etwa des Grundsatzes der realen Kapitalaufbringung. Damit scheidet aber auch eine Anwendung seiner einzelnen Ausprägungen wie etwa die Vorschriften über die verdeckte Sacheinlage oder die Anforderungen an Vorratsgründungen aus.[88] Die insolvenzprophylaktische Wirkung[89] dieser abstrakt-präventiv gläubigerschützenden Regelungen des deutschen Rechts kann sich damit im Hinblick auf Auslandsgesellschaften nicht entfalten.

 

Rz. 30

Aus der europarechtlich bedingten Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer Auslandsgesellschaft folgt zugleich, dass deren Personalstatut grundsätzlich auch in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer etwaigen diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist.[90] Selbiges gilt für die Sanktionen, die an die Nichterfüllung der Mindestkapitalvorschriften geknüpft sind, z.B. die Anordnung einer persönlichen Haftung der Geschäftsführer für den Fall, dass das Kapital nicht den im nationalen Recht vorgeschriebenen Mindestbetrag erreicht oder während des Betriebes unter diesen sinkt.

[87] Vgl. Müller, NZG 2003, 414, 415.
[88] Fischer, ZIP 2004, 1477, 1479.
[89] Terminus von Fischer, ZIP 2004, 1477, 1482.
[90] BGH, Urt. v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 im Hinblick auf Bestrebungen, die Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG auf die Direktoren einer englischen limited anzuwenden; eingehend hierzu Goette, ZIP 2006, 541 ff. Zu den Haftungsrisiken vgl. Wachter, DStR 2005, 1817 ff.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge