Rz. 5

Der Gesetzgeber misst der gütlichen Einigung eine besondere Bedeutung zu, was sich auch im Verfahrensrecht widerspiegelt, wie z.B.

im PKH-Bewilligungsverfahren gem. § 118 ZPO;
gem. § 278 ZPO, wonach das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits bedacht sein soll;
im Rahmen der Beweisaufnahme i.S.v. § 492 ZPO und auch
gem. § 802b ZPO bei der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher.

Häufig ordnet das Gericht im Rechtsstreit das persönliche Erscheinen der Parteien zum Verhandlungstermin an, um auf eine einvernehmliche Lösung hinzuwirken, oftmals mit den Argumenten höherer Kosten im Falle einer Beweisaufnahme und eines möglichen Rechtsmittelverfahrens sowie der wesentlich längeren Verfahrensdauer.

 

Rz. 6

Die Einigung ist in Forderungssachen nicht nur ein Mittel zur Beilegung eines Streits über Grund und Höhe des Anspruchs, sondern auch ein Beitrag zur Erfüllung der Zahlungsverpflichtung, vor allem, wenn der Schuldner finanziell nicht in der Lage ist, die Zahlung in einer Summe sofort zu bewirken. Wenn dem Schuldner gestattet wird, die Schuld in Raten zu tilgen, muss es im Interesse des Gläubigers liegen, seine Rechte zu wahren, z.B. abstraktes Schuldanerkenntnis zur Vermeidung von Beweisverlusten, verjährungsverlängernde Abreden, um den Verlust der Durchsetzbarkeit zu verhindern oder Einräumung von Sicherheiten. Auch für den Schuldner sind die zuletzt genannten Rechte nützlich, da er sich keinen Maßnahmen des Gläubigers ausgesetzt sieht, weil z.B. der Gläubiger zur Titulierung gezwungen ist, damit der Anspruch nicht zu verjähren droht, oder die Kosten eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vermieden werden können bei Gewährung einer Einkommensabtretung.

 

Rz. 7

Jede Partei, die vor der Entscheidung steht, ob der präsentierte Einigungsvorschlag eine akzeptable Lösung bietet, oder die selbst die Unterbreitung eines Regelungsangebotes beabsichtigt, muss abwägen und in Alternativen denken. Ein solcher Abwägungsprozess kann bei der Bearbeitung von Forderungsangelegenheiten in allen Verfahrensabschnitten auftreten.

 

Rz. 8

 

Beispiele

Rechtfertigt das Ablehnen eines geringen Entgegenkommens die Kosten und das Beweisrisiko einer ansonsten bevorstehenden gerichtlichen Geltendmachung?
Besteht die Gefahr, den Rechtsstreit ganz oder teilweise zu verlieren?
Wird zur Beweisführung ein Sachverständigengutachten benötigt und welches zusätzliche Kostenrisiko ist zu kalkulieren?
Ist es wirtschaftlich sinnvoll, dass durch eine Einigung im Rechtsstreit zwar weniger Gerichtskosten (1,0 Gerichtsgebühr statt 3,0), aber RA-Einigungsgebühren (1,0) entstehen?
Kann der zahlungspflichtige, aber in wirtschaftlich misslichen Verhältnissen lebende Schuldner durch ein Nachgeben in dem Vergleich, z.B. des Zinsanspruchs bei Erfüllung der Ratenzahlungsvereinbarung, zu lückenlosen Teilzahlungen motiviert werden?
Besteht das Risiko, dass bei langer streitiger Verfahrensdauer der Zugriff auf pfändbares Einkommen oder Vermögen nicht mehr möglich ist, weil der Schuldner bis zur Vorlage des vollstreckungsfähigen Titels über diese Einnahmen oder das Vermögen nicht mehr verfügt?
Ist es sinnvoll, sich auf Teilzahlungen einzulassen, wenn in diesem Vergleich Regelungen enthalten sind, die zeit- und kostenaufwendige Vollstreckungsverfahren entbehrlich machen?

I. Einigungsgebühr

1. Motivation für den RA

 

Rz. 9

Der RA soll für die Mitwirkung am Abschluss eines Vertrages honoriert werden, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird (Anm. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 1000 VV RVG). Letztlich wird damit die Justiz entlastet. Andererseits muss das erhöhte Haftungsrisiko gesehen und vergütet werden.

2. Voraussetzungen für den Anfall der Einigungsgebühr

 

Rz. 10

Aus dem Wortlaut der Gebührenvorschrift lässt sich nachfolgende Checkliste zum Prüfen der Voraussetzungen des Anfalls der Einigungsgebühr herleiten, wobei die Fragen sämtlich mit "ja" zu beantworten sind:

Besteht ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien?
Wird durch den Abschluss des Vertrages oder einer Zahlungsvereinbarung ein Streit oder eine Ungewissheit beseitigt?
Ist die getroffene Einigung wirksam und endgültig?
Ist die Einigung aufgrund der Mitwirkung des RA zustande gekommen?

a) Bestehen eines Rechtsverhältnisses der Parteien

 

Rz. 11

Der Begriff des Rechtsverhältnisses kann im weitesten Sinne verstanden werden. Darunter fallen schuld- oder sachenrechtliche, familien-, erb- und öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse, auch aufgrund Gesetzes entstandene[2] (z.B. Schadensersatzforderungen gem. §§ 823 ff. BGB) sowie vorvertragliche Pflichten und vertragliche Nebenpflichten.

Das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien muss zum Zeitpunkt der Einigung bereits bestanden haben oder zumindest eine Partei behauptet, dass ein Rechtsverhältnis besteht,[3] und leitet daraus Rechte ab und die andere Partei bestreitet dies. Nicht ausreichend ist es, wenn das Rechtsverhältnis erst nach der Einigung begründet wird. Wirkt ein RA bei der Gestaltung eines noch nicht bestehenden Rechtsverhältnisses mit, z.B. Erstellung eines Miet-, Kauf- oder Werkvertrages, kan...

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