Rz. 120

Sofern die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie gemäß § 18 Abs. 1 und 2 KSchG zulässig wären, durchgeführt werden, bedarf es gemäß § 18 Abs. 4 KSchG einer erneuten Anzeige, wenn die Entlassung zu diesem Zeitpunkt (wieder) in einem Massenentlassungskontext steht.

 

Rz. 121

Das BAG hat bislang offengelassen, ob der Begriff der "Entlassung" auch in § 18 Abs. 4 KSchG unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass darunter die Kündigungserklärung zu verstehen ist.[241] Im Hinblick auf den Wortlaut der Regelung, der auf die "Durchführung" der Entlassung abstellt, mithin auf ein aktives Handeln, legt das BAG die Regelung allerdings dahingehend aus, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Kündigungen innerhalb der 90-Tage-Frist zu erklären. Nach Ablauf der sog. Freifrist muss der Arbeitgeber eine erneute Anzeige erstatten, wenn er von der Möglichkeit der Kündigungserklärung bis dahin keinen Gebrauch gemacht hat. Auf diese Weise werden "Vorratsanzeigen" verhindert, die dem Zweck des Gesetzes zuwiderliefen, die Agentur für Arbeit über das tatsächliche Ausmaß der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen ins Bild zu setzen.[242] Eine erneute Anzeige ist allerdings nur erforderlich, wenn der Arbeitgeber nach Ablauf der Freifrist eine Kündigung aussprechen will, nicht aber, wenn die Kündigungsfrist einer vor Ablauf der Freifrist ausgesprochenen Kündigung nach Ablauf der Freifrist abläuft.[243]

 

Rz. 122

Die 90-tägige Freifrist beginnt nach dem Gesetzeswortlaut mit dem Ablauf der Sperrfrist.[244] Der Hinweis in dem Merkblatt der Arbeitsagentur, der Arbeitgeber habe "nach Eingang der wirksamen Entlassungsanzeige bei der Agentur" 90 Tage Zeit, die angezeigten Entlassungen durchzuführen“, ist insoweit missverständlich. Nichts ­anderes ergibt sich aus der Entscheidung des BAG vom 22.4.2010,[245] in der das BAG mit demselben Wortlaut lediglich eine entsprechende Äußerung des Beklagten zitiert hatte.

 

Rz. 123

Eine erneute Anzeige ist auch dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber die Freifrist aus Gründen, die nicht von ihm zu vertreten sind, nicht eingehalten hat. Dies hat insbesondere Bedeutung für die Entlassung von Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz. Diese sind zunächst zum Zeitpunkt der Antragstellung in die Massenentlassungsanzeige aufzunehmen. Erteilt die zuständige Behörde die zum Ausspruch der Kündigung erforderliche Zustimmung erst nach Ablauf der Freifrist, muss der Ausspruch der Kündigung erneut angezeigt werden.[246]

 

Rz. 124

 

Hinweis

Ausgehend davon, dass Antragstellung und Kündigung bei besonders kündigungsgeschützten Arbeitnehmern jeweils eigenständige Entlassungstatbestände darstellen, ist eine erneute Anzeige (unabhängig von der Freifrist) auch dann erforderlich, wenn der Ausspruch der Kündigung in einen eigenständigen Massenentlassungskontext fällt.

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