Rz. 115

Bei behinderten, bedürftigen oder insolventen Angehörigen gibt es oft ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch nach großzügiger finanzieller Zuwendung zur ausreichenden Versorgung der Angehörigen und dem Schutz des Vermögens vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers oder der Gläubiger. Alle Fallgruppen haben gemeinsam, dass der zukünftige Erblasser sichergestellt wissen will, dass die dem Angehörigen zugedachten finanziellen Mittel auch tatsächlich nur diesem zugutekommen.

I. Grundproblematik bei der Nachfolgegestaltung?

 

Rz. 116

Bei allen Fallgruppen liegt die Problematik darin, dass ohne entsprechende Gestaltung den Angehörigen die ihnen zugewandten Vermögenswerte letztendlich nicht dauerhaft voll verbleiben.

1. Behinderte Angehörige

 

Rz. 117

Erwerbsunfähige behinderte Angehörige müssen vor einer weiteren Gewährung von Sozialhilfe zunächst das zugeflossene Vermögen aufbrauchen, bevor sie wieder Sozialhilfe erhalten, denn das Sozialhilferecht wird vom Nachranggrundsatz beherrscht. Gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII erhält keine Sozialhilfe, wer sich durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Bevor Sozialhilfe gewährt wird, ist daher grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen – mit Ausnahme des Schonvermögens – einzusetzen (§ 90 Abs. 1 SGB XII). Zum verwertbaren Vermögen zählen das als Erbe oder Vermächtnisnehmer Erlangte und auch der mit dem Erbfall entstandene Pflichtteilsanspruch eines Leistungsempfängers.

2. Bedürftige Angehörige

 

Rz. 118

Erwerbsfähige, aber dennoch bedürftige Angehörige erhalten erst wieder Arbeitslosengeld II, wenn Sie das zugeflossene Vermögen aufgebraucht haben, denn auch ALG II wird grundsätzlich nur nachrangig gewährt. § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte hilfebedürftig ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Auch hier ist also grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen – mit Ausnahme des Schonvermögens – einzusetzen (§ 12 SGB II). Auch hier zählen zum verwertbaren Vermögen das als Erbe oder Vermächtnisnehmer Erlangte und auch der mit dem Erbfall entstandene Pflichtteilsanspruch eines Leistungsempfängers.[158]

3. Überschuldete bzw. insolvente Angehörige

 

Rz. 119

Bei überschuldeten bzw. insolventen Angehörigen droht die Gefahr, dass die Gläubiger oder der Insolvenzverwalter sich aus dem Erb- oder Pflichtteil befriedigen und dadurch die Vermögenssubstanz für die Angehörigen und ihre Nachkommen nicht mehr zur Verfügung steht.[159] Daher werden bei der Gestaltung von Testamenten zugunsten überschuldeter oder insolventer Angehöriger üblicherweise folgende Ziele verfolgt:

Vermeidung der Pfändung und Verwertung durch die Eigengläubiger im Wege der Einzelvollstreckung
Vermeidung des Vermögenszugriffs des Insolvenzverwalters
keine Verletzung der Obliegenheitspflichten innerhalb der Wohlverhaltensphase (§ 295 InsO) um die Restschuldbefreiung nicht zu gefährden
möglichst umfassende Begünstigung des überschuldeten Erben nach der Beendigung der Überschuldung, insbesondere bei erfolgreicher Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens.
 

Rz. 120

Mit dem Erbfall geht im Wege der Universalsukzession und aufgrund des Prinzips des "Vonselbsterwerbs" automatisch die gesamte Erbschaft mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten auf den Erben über. Sind keine weiteren Anordnungen getroffen, so sind die im Nachlass befindlichen pfändbaren Vermögenswerte einer uneingeschränkten Pfändung durch die Gläubiger des Erben unterworfen. In dem Falle, dass der überschuldete Angehörige nur einen Erbteil erbt, ist dieser Erbteil pfändbar. Hat der Erblasser daher nicht durch eine entsprechende Testamentsgestaltung gegen diese Probleme vorgebeugt, so bleibt den Erben nur die Möglichkeit, in der sehr kurzen Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 2 BGB die Erbschaft auszuschlagen. Eine solche Ausschlagung ist aufgrund der Wertung des § 83 InsO zulässig, denn wenn sogar der in einem Insolvenzverfahren befindliche Erbe sanktionslos die Erbschaft ausschlagen kann, so muss dies erst recht dem Erben möglich sein, gegen den nur Einzelvollstreckungsmaßnahmen zu befürchten sind.[160]

 

Rz. 121

Nimmt der Erbe die Erbschaft oder das Vermächtnis an, fällt dies in die Insolvenzmasse. Der erbrechtliche Erwerb wird damit Massebestandteil. Er steht dann den Insolvenzgläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zu. Der Insolvenzverwalter selbst hat keine Möglichkeit mehr, die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft oder des Vermächtnisses selbst zu erklären oder zu beeinflussen. Er kann auch die Erbschaft nicht im Ganzen von der Insolvenz freigeben. Jedoch besteht gem. § 83 InsO gerade keine Ver...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge