Rz. 4

Raiser und Rottleuthner zeigen, auf welche Themen sich die Rechtssoziologie bis heute konzentrierte: Es sind etwa die Verfahrenssoziologie (z.B. Dauer und Ablauf von Gerichtsverfahren), Richtersoziologie (z.B. soziale Herkunft der Richter) sowie die Effektivität und Selektivität der Strafverfolgung – das Erbrecht wird nicht erwähnt.[6]

Entsprechend stellt Leipold zutreffend fest, dass man auf dem Gebiet des Erbrechts bisher nur "in bescheidenem Umfang" auf rechtssoziologische Untersuchungen zurückgreifen kann.[7] Die rechtstatsächlichen Grundlagen sind sehr beschränkt.[8]

Leipold wertete Nachlassakten zur Frage der Testierhäufigkeit aus und stützt sich sonst auf allgemein zugängliche statistische Quellen, wie Statistische Jahrbücher.[9] Andere Darstellungen, wie die von Lüscher, beziehen sich fast ausschließlich auf allgemeine Zahlenwerke.[10]

Auch als Folge der dünnen Datengrundlage gibt es kein umfassendes Werk "Soziologie des Erbrechts". Beckert fasst zusammen: "Eine Soziologie der Erbschaft besteht in Deutschland allenfalls in Ansätzen."[11]

 

Rz. 5

In letzter Zeit hat sich etwa Bauer mit soziologischen Aspekten des Erbrechts in Bezug auf Reformvorschläge auseinandergesetzt und interessante Ergebnisse geliefert.[12] Aber auch er verweist darauf, dass zumeist nur auf allgemeine Daten der Demographie zurückgegriffen würde und Rechtstatsachenforschung vornehmlich im Hinblick auf das Testierverhalten vorläge.[13]

Weitere soziologische Arbeiten zeigen, dass sich Auseinandersetzungen um Reformen im Erbrecht meist auf Fragen des gesetzlichen Erbrechts, der Erbquoten (insbesondere dem Verhältnis zwischen Ehegatten- und Kindererbrecht) und der Testierfreiheit, aber nicht der Erbengemeinschaft beziehen.[14] Willutzki gibt einen Einblick in Reformdiskussionen, etwa bei Juristen- oder Rechtspflegertagen oder in Akademien.[15] Vollmer stellt ausführlich Hintergründe für das Ehegatten- und das Pflichtteilsrecht dar, wobei sie eigene Untersuchungen zum Verfügungsverhalten durchführte und auf Ergebnisse anderer Erhebungen zurückgreift.[16]

Beckerts Werk verspricht im Untertitel "Soziologie des Erbrechts" zwar zu viel, da er (allein mit Blick auf den Titel) "lediglich" vier Aspekte näher beleuchtet: Die Testierfreiheit, das Erbrecht der Familie, die Auflösung der Fideikommisse und die Besteuerung von Erbschaften. Diese Themen werden aber mit Blick auf die Lösungen und Entwicklungen in Deutschland, Frankreich und den USA behandelt. Die Gegenüberstellung bietet die Möglichkeit, nationale gesetzgeberische Lösungen auch als Entscheidung für bestimmte Werte bei grundsätzlich gleicher kultureller Ausrichtung der Staaten zu verstehen.[17]

Leipold behandelt mit den Themen Privatheit des Erbrechts, Ehegatten- und Verwandtenerbrecht, Testierfreiheit und Gesamtrechtsnachfolge Grundlagen des Erbrechts.[18]

 

Rz. 6

Andere Arbeiten beleuchten eher Teilaspekte. Einen mehr rechtstheoretisch-philosophischen Ansatz im Rahmen der Soziologie wählte Papantoniou, der die soziale Funktion des Erbrechts erörterte.[19] Hinsichtlich der Erbengemeinschaft wird die Zersplitterung von Produktionsmöglichkeiten problematisiert. Sie dient den Befürwortern der Testierfreiheit als Argument gegen Bestrebungen, Vermögen durch gesetzliche Vorgaben "gerecht" in der Familie zu verteilen. Das Spannungsfeld zwischen der "sozialen Zweckmäßigkeit des Testaments"[20] und der sozialen Verantwortung zur Versorgung der Familie sei zu beachten.

Soziologische Arbeiten betreffen in dem hier interessierenden Forschungsgebiet immer wieder psychologische Aspekte. Leider fristet "auch in der Psychologie das Thema Erbschaften … ein Außenseiterdasein", wie Schulte feststellt.[21] Einige Ansätze kann er aber darstellen, wenn sie auch für die Fragen der Erbengemeinschaft weniger relevant sind.

Ungleichheit beim Vererben und im Erbrecht wird von Kosmann insbesondere mit Blick auf das Geschlechterverhältnis beleuchtet.[22]

Interessante Ansätze bieten Untersuchungen zu der Motivation des Erblassers, welche von Stutz und Bauer erforscht bzw. dargestellt wurden,[23] und die Typisierung der Erben nach deren Einstellung zum und Verhalten beim Erben, wie sie Braun und andere für das Deutsche Institut für Altersvorsorge ermittelten.[24]

 

Rz. 7

Reichen die Ergebnisse der Rechtssoziologie nicht, kann auch auf Ergebnisse der Familiensoziologie zurückgegriffen werden,[25] in der – als Teil- oder Randaspekt – auch erbrechtssoziologisch interessante Fragen behandelt werden. Beispielhaft sei hier Schwägler genannt, der mit Analysen zur Groß- und Kleinfamilie Material für erbrechtssoziologische Diskussionen gibt.[26] Das Heraussuchen und das Herauslösen dieser Aspekte aus dem eigentlichen Kontext ist aber nicht nur mühsam, sondern bedarf auch hoher methodischer Sorgfalt.

Wenngleich nicht wissenschaftlich fundiert, gibt es inzwischen verschiedene (zum Teil "populärwissenschaftliche") Bücher, in denen Konflikte unter Erben beschrieben werden, meist mit dem Ziel, zugleich Ratgeber zu sein.[27] Sie geben zum ...

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