Rz. 74

Legt man die bisherige Rechtslage zu Grunde, ergibt sich folgendes Bild:

Gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB ist österreichisches Erbrecht maßgeblich.[68] Nach § 757 Abs. 1 des österreichischen Erbrechts (ABGB) erhält der Ehegatte eine Erbquote in Höhe von ⅓.

 

Rz. 75

Die Ehegatten leben aber im deutschen gesetzlichen Güterstand. Das ergibt sich aus Art. 15 EGBGB: Die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe bestimmen sich nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB (i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB). Da die Eheleute verschiedene Staatsangehörigkeiten haben, kommt es auf das Recht des Staates an, in dem beide Ehegatten bei der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB). Der Güterstand richtet sich also nach deutschem Recht. Haben die Eheleute keinen Ehevertrag geschlossen, gilt über § 1363 BGB der gesetzliche Güterstand, also die Zugewinngemeinschaft.

 

Rz. 76

Das deutsche – hier also anwendbare – Güterrecht verschiebt aber die Rechtsfolge in das (deutsche) Erbrecht; deutsches Erbrecht ist jedoch gar nicht anwendbar, sondern österreichisches Erbrecht.

 

Rz. 77

Es stellt sich nun die Frage, ob das Gebilde der pauschalen Erhöhung des Erbteils des BGB unter das Erbstatut fällt oder unter das Güterrechtsstatut. Lässt man es dem Erbstatut unterfallen, so kann das Gebilde nicht angewendet werden, eben weil das deutsche Erbrecht in diesem Fall gar nicht berufen ist.

Ordnet man dagegen das Gebilde dem Güterrechtsstatut zu, findet § 1371 BGB Anwendung, denn Güterrechtsstatut ist hier deutsches Recht.

 

Rz. 78

Das Problem, welche Fragen welcher Kollisionsnorm zuzuordnen sind, stellt sich vor allem, wenn ausländische Institute, die dem deutschen Recht fremd sind, in die Systematik der deutschen Kollisionsregelungen einzuordnen sind (z.B. die Morgengabe des islamischen Rechtskreises). Es stellt sich aber auch, wenn ein Rechtsinstitut des deutschen Rechts zwischen zwei Rechtsgebieten zu verorten ist, oder aus Elementen zweier Rechtsbereiche besteht, z.B. die culpa in contrahendo.[69]

 

Rz. 79

Auch § 1371 Abs. 1 BGB berührt zwei Rechtsgebiete, nämlich das Güterrecht und das Erbrecht: Der Tatbestand der Vorschrift setzt einerseits sowohl den Tod voraus, andererseits das Vorliegen der Zugewinngemeinschaft, die Rechtsfolge betrifft das Erbrecht.

Es geht also darum, den sachlichen Anwendungsbereich der deutschen Kollisionsnormen gegeneinander abzugrenzen bzw. die Sachnorm dem Tatbestand einer Kollisionsnorm zuzuordnen; diesen Vorgang nennt man "Qualifikation".

 

Rz. 80

Die Qualifikation von § 1371 Abs. 1 BGB ist seit jeher und bis heute lebhaft umstritten.[70]

Z.T. wird vertreten, dass Erbrecht und Güterrecht in dieser Vorschrift so eng verzahnt sind, dass die Vorschrift keiner der beiden Kollisionsnormen (Art. 25 – Erbrecht, Art. 15 – Güterrecht) zugeordnet werden kann[71] (Theorie der Doppelqualifikation).

Das führt zu dem Ergebnis, dass die pauschale Erhöhung nur berücksichtigt wird, wenn deutsches Recht sowohl Erbstatut als auch Güterrechtsstatut ist. Auf den vorliegenden Fall bezogen kann daher nach dieser Theorie die österreichische Erbquote nicht um das deutsche pauschale ¼ erhöht werden.

 

Rz. 81

Da aber über Art. 15 EGBGB deutsches Güterrecht gilt, muss der güterrechtliche Ausgleich des Zugewinns erfolgen, wobei dann nur die Möglichkeit bleibt, den Ausgleich gem. § 1371 Abs. 2 BGB durchzuführen, d.h. im Wege der güterrechtlichen Ausgleichsforderung nach §§ 1373 ff. BGB.

 

Rz. 82

Die (bislang) herrschende Meinung[72] in Deutschland qualifiziert § 1371 Abs. 1 hingegen güterrechtlich im Wesentlichen mit den Argumenten, dass es sich primär um eine Sachnorm des deutschen Ehegüterrechts handelt und die güterrechtlichen Elemente der Vorschrift die erbrechtlichen überwiegen.

Qualifiziert man die Vorschrift so, ist die Erbquote des ausländischen Rechts um das pauschale ¼ des deutschen Güterrechts zu erhöhen.[73] Auf den vorliegenden Fall bezogen ergibt sich damit eine Erbquote von ⅓ (österreichische Erbquote) zuzüglich ¼ (deutsche "Güterrechtsquote". Damit erhält der überlebende Ehegatte eine Erbquote von 7/12, und damit mehr, als ihm beide Rechte zubilligen wollen: Unter Anwendung nur des deutschen Rechts käme der Ehegatte auf eine Quote von ¼ gem. § 1931 Abs. 1 BGB zuzüglich des weiteren Viertels aus § 1931 Abs. 1 i.V.m. § 1371 Abs. 1 BGB und damit insgesamt auf einen Erbteil von ½ Unter Anwendung nur des österreichischen Rechts beträgt die Quote ⅓.

 

Rz. 83

Dieses Dilemma wird z.T. so gelöst, dass die Quote im Wege der Anpassung auf den Erbteil gekürzt wird, den der Ehegatte nach beiden beteiligten Rechten höchstens bekommen kann (hier also ½),[74] z.T. aber auch so, dass die Erhöhung dennoch versagt wird und der überlebende Ehegatte auf den schuldrechtlichen Anspruch verwiesen wird.[75]

Es wird aber auch vertreten,[76] als Kompromiss den exakten rechnerischen Mittelwert der Güter- und Erbquoten der beteiligten Rechtsordnungen zu errechnen und dann diese "künstlich" gebildete Quote zugrunde zu legen (Mittelwert als Ideallösung).

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