A. Ausgangssituation
I. Geringe Attraktivität von Zweigniederlassungen
Rz. 1
Das europäische Recht der Zweigniederlassungen kann auf eine über dreißigjährige Geschichte zurückblicken.[1] Bereits im Jahr 1989 wurde in Europa die erste Zweigniederlassungsrichtlinie verabschiedet.[2] Ziel war es, die Errichtung von Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten zu erleichtern und den Rechtverkehr durch einheitliche Publizitätspflichten zu schützen. In der Folgezeit wurde die Richtlinie immer weiter fortentwickelt und ist im Jahr 2017 schließlich in die neue Gesellschaftsrechtsrichtlinie integriert worden.[3] Die im Jahr 2019 beschlossene Richtlinie zur Digitalisierung im Gesellschaftsrecht[4] soll die Errichtung von Zweigniederlassungen weiter erleichtern, die digitale Einreichung von Unterlagen ermöglichen und den grenzüberschreitenden Informationsaustausch weiter verbessern. In Deutschland sollen die entsprechenden Regelungen bis August 2022 umgesetzt werden.[5]
Rz. 2
Trotz dieser Bemühungen des Gesetzgebers haben Zweigniederlassungen von ausländischen Gesellschaften in der Praxis keine allzu große Bedeutung erlangt (abgesehen von einzelnen Branchen wie Banken und Versicherungen). Ein wesentlicher Grund für die vergleichsweise geringe Verbreitung von Zweigniederlassungen liegt sicherlich darin, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen schon immer sehr kompliziert, unübersichtlich und umstritten waren.[6] Ein kurzer Blick in die maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts (§§ 13d ff. HGB) bestätigt diesen Eindruck.[7] An der Schnittstelle zwischen dem (ausländischen) Recht der Hauptniederlassung und dem (inländischen) Recht der Zweigniederlassung ergeben sich viele ungeklärte Rechtsfragen.[8] Die notwendige Vorlage von zahlreichen Dokumenten, Bescheinigungen und Nachweisen (meist in beglaubigter Form, samt Überbeglaubigung in Gestalt einer Apostille oder Legalisation und Übersetzung) macht die Errichtung jeder Zweigniederlassung zu einem ungewöhnlich zeit- und kostenaufwändigen Vorgang. Entsprechendes gilt auch bei späteren Änderungen und Aufhebungen.
Rz. 3
Die meisten Unternehmen (und ihre Berater) sind daher bei der Errichtung von Zweigniederlassungen im Ausland eher zurückhaltend. Im Allgemeinen wird die Errichtung einer rechtlich selbstständigen Gesellschaft gegenüber einer unselbstständigen Zweigniederlassung als vorzugswürdig angesehen.
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